SPD-Kritik an Ampelkoalition Klare Kante gegen den Abwärtstrend
Die Kritik innerhalb der SPD - auch am Kanzler - wächst. Der Abgeordnete Schäfer sieht die Existenz der Partei in Gefahr, das Umfragetief sei hausgemacht. Bei der heutigen Fraktionsklausur dürfte es auch um Gegenmaßnahmen gehen.
Axel Schäfer ist sicher kein besonders wichtiger Abgeordneter, keiner aus der ersten Reihe. Niemand, der die Politik in verschiedenen Bereichen prägen kann. Aber er ist so etwas wie das sozialdemokratische Gewissen der Fraktion. Jemand, der Dinge ausspricht, die andere noch nicht in den Mund nehmen.
Schäfer hat seinen Kolleginnen und Kollegen in der Fraktion in dieser Woche einen Neujahrsbrief geschrieben, der dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt. Darin zitiert der Bochumer SPD-Abgeordnete den Bochumer Musiker Herbert Grönemeyer. Im Lied "Der Weg" habe Grönemeyer getextet: "Wir haben versucht auf der Schussfahrt zu wenden. Nichts war zu spät". Schäfer schreibt, dass genau das nun die Aufgabe in der Ampelkoalition sei. Es gehe nämlich bergab.
"Eigene Fehler im Regierungshandeln"
Die SPD, die Regierung und die Demokratie insgesamt stünden unter enormem Druck. Die deutsche Sozialdemokratie hole in aktuellen Umfragen rund elf Prozentpunkte weniger als bei der Wahl 2021. Das habe Gründe, und die seien vor allem hausgemacht. Schuld daran laut Schäfer: im Wesentlichen die "eigenen Fehler im Regierungshandeln", die "offenen täglichen Streitigkeiten in der Ampel", und das "Infragestellen von Kompromissen, die man gerade unter drei Partnern noch eingegangen war."
Die Menschen in Deutschland seien grundsätzlich zufrieden mit dem eigenen Leben, trotzdem stehe dieser Zufriedenheit eine "kaum fassbare Unzufriedenheit" mit der Regierungspolitik gegenüber.
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Axel Schäfer bei einer Rede im Plenum.
Schäfer sieht Existenz der SPD in Gefahr
Schäfer spricht aus, was immer mehr SPD-Abgeordnete denken. Die Existenz der Partei sei wieder in Gefahr. Der Frust über die schlechte Wahrnehmung der SPD-Regierungsarbeit ist bei den Bundestagsabgeordneten der Partei inzwischen oft groß. Sie berichten in internen Runden, dass die Wut der Menschen in den Wahlkreisen inzwischen deutlich zu spüren sei. Die Unzufriedenheit wächst.
Intern wird in Chatgruppen über die richtige Strategie diskutiert. Auch Kritik am Kanzler ist inzwischen wieder weit verbreitet. In erster Linie sind die Genossinnen und Genossen zwar frustriert über das Verhalten der Koalitionspartner FDP und Grüne. So könne es zum Beispiel nicht sein, dass die SPD in Streitereien zwischen Grünen und FDP zerrieben werde.
Man ist sauer darüber, dass gerade geschlossene Kompromisse oft schnell wieder in Frage gestellt werden. Als aktuelles Beispiel wird das Abrücken von Christian Lindner vom Haushaltskompromiss genannt. Alle müssten sich endlich mal am Riemen reißen. Wenn immer alles hinterfragt werde, könne das nichts mehr werden in den kommenden knapp zwei Jahren.
Direkte Kritik an Kanzler Scholz
Aber die Kritik richtet sich eben auch gegen den Kanzler. Dessen propagierter Stil immer alles erst intern zu besprechen, passe nicht zu den undisziplinierten Koalitionspartnern. Außerdem ist man in der Fraktion frustriert, dass wichtige Entscheidungen immer in der Dreierrunde aus Scholz, Habeck und Lindner getroffen würden. Gerade in der Haushaltspolitik sei das nicht länger vermittelbar. Das Budgetrecht habe der Bundestag.
Den Bundeskanzler müsse man oft zum Jagen tragen. Es fehle an Empathie, guter Kommunikation und Orientierung. Man müsse die Menschen besser einbinden. Warum habe es zum Beispiel keinen Bauerngipfel gegeben? Das nütze am Ende alles nur den Populisten. Das hört man, wenn man mit Fraktionsmitgliedern spricht.
Treffen zwischen Abgeordneten und Scholz
Einiges davon dürfte auch der Kanzler heute zu hören bekommen. Um 16:30 Uhr ist eine interne Beratung angesetzt. Zugelassen sind dann nur Abgeordnete, keine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Man will im möglichst kleinen Kreis diskutieren. Soweit das geht, bei insgesamt 207 Abgeordneten.
Der Titel des Tagesordnungspunktes: "Ausblick auf die zweite Hälfte der Legislaturperiode. Gespräch mit Bundeskanzler Olaf Scholz." Zweieinhalb Stunden sind für diese Aussprache angesetzt. Danach geht es zum Fraktionsabend in eine Eventlocation im Bezirk Prenzlauer Berg.
Am Ende auch Lob für die Ampel
Ganz am Boden ist die Stimmung in der Fraktion aber nicht. Immer wieder wird in Gesprächen auch auf die Erfolge der Koalition verwiesen: Mindestlohn, Bürgergeld, die Reaktion auf die hohe Inflation. Eigentlich sei die Ampel richtig fürs Land. Sie verkaufe sich nur unter Wert.
Deshalb stimmen viele dem Bild von Axel Schäfer auch zu. Der definiert am Ende seines Briefes auch genauer, was er mit "Auf der Schussfahrt wenden" meint. Das sei ein Bild aus dem alpinen Sport, man müsse die Skier kanten, um die Richtung zu ändern. Klare Kante sei also notwendig, um sich dem Abwärtstrend entgegenzustellen. Damit meint Schäfer neben den Abgeordneten wohl auch den SPD-Bundeskanzler.