Streit über "Wachstumschancengesetz" Union wirft Ampel "geballte Regierungsunfähigkeit" vor
Die Blockade des "Wachstumschancengesetzes" zeigt aus Sicht von CDU und CSU die Unfähigkeit der Ampelkoalition, einen gemeinsamen Kurs zu finden. Auch aus der Wirtschaft kommt Kritik. Doch für die Ampel ist das - zumindest offiziell - viel Lärm um nichts.
Es ist ein bemerkenswerter Vorgang: Eine Ministerin blockiert im Kabinett ein Gesetz eines anderen Ministers, obwohl der Entwurf im Vorfeld - wie üblich - zwischen verschiedenen Ressorts abgestimmt worden war. So geschehen am Mittwoch, als die grüne Familienministerin Lisa Paus dem "Wachstumschancengesetz" von FDP-Finanzressortchef Christian Lindner durch ihr Veto einen Riegel vorschob. Von internem Streit will die Ampelkoalition trotzdem nichts wissen, doch das kommt bei der Opposition und Wirtschaft ganz anders an.
Für CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stellt sich das Hin und Her um Lindners Gesetzespläne quasi als Bankrotterklärung der Ampelkoalition dar. "Offensichtlicher kann man geballte Regierungsunfähigkeit und mangelnden gemeinsamen Regierungswillen kaum zur Schau stellen", kritisierte er in der "Augsburger Allgemeinen" und setzte nach: "Die Streit-Ampel geht in die nächste Runde."
Alexander Dobrindt (CSU) spart nicht mit Kritik an der Ampelregierung.
Auch die CDU spart nicht mit Vorwürfen in Richtung Ampelparteien. Von "Machtspielchen", mit denen "Vertrauen zerstört" werde, sprach etwa der Generalsekretär des Wirtschaftsrates der CDU, Wolfgang Steiger.
Und CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann mahnte in der "Neuen Osnabrücker Zeitung": "Deutschland ist nicht mehr nur der kranke Mann Europas, sondern der Welt. Die Bürger und Unternehmen erwarten völlig zu Recht vom Bundeskanzler, dass er endlich die Führung übernimmt, die er versprochen hat, und unser Land nach vorne bringt."
Wirtschaftsverbände sehen Scholz in der Pflicht
Doch nicht nur von der Union kommen scharfe Reaktionen auf die Gesetzesblockade durch Paus. Auch in der Wirtschaft mehren sich die kritischen Stimmen - immerhin sollte das Gesetzespaket aus dem Hause Lindner die eigene Branche um jährlich rund 6,5 Milliarden Euro entlasten - ein Vorhaben, dem Paus Parteikollege, Wirtschaftsminister Robert Habeck, ausdrücklich zugestimmt hat.
Für den Bundesverband mittelständische Wirtschaft (BVMW) kommt das Ampel-interne Gerangel um das "Wachstumschancengesetz" zur Unzeit. "Während Deutschland anders als andere Länder in eine tiefe Rezession rutscht, leistet sich die Bundesregierung einen Kampf persönlicher Eitelkeiten einzelner Minister", prangerte der Vorsitzende der BVMW-Bundesgeschäftsführung, Christoph Ahlhaus, an. Er drängte darauf, dass sich Bundeskanzler Olaf Scholz mittels seiner Richtlinienkompetenz in den Streit einschalte.
Auch die Präsidentin der Familienunternehmer, Marie-Christine Ostermann, sieht den Kanzler in der Pflicht. Bei der Ende August anstehenden Kabinettsklausur im brandenburgischen Meseberg müsse Scholz "endlich Ruhe in seine chaotische Mannschaft bringen".
Kubicki wirft Paus "Erpressung" vor
Die Blockade von Familienministerin Paus sorgt auch in den Reihen der Ampelparteien selbst für Unmut. "Das ist unprofessionell, so sollten wir nicht zusammen arbeiten", sagte FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai bei Welt-TV. FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki meinte: "Sie hat ihrem Anliegen einen schlechten Dienst erwiesen, denn Erpressungen, die die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes massiv beeinträchtigen, können in der Fortschrittskoalition keine Zukunft haben."
Diesen Vorwurf weist die Grünen-Politikerin jedoch klar von sich. Es sei keinesfalls ihr Ziel gewesen, mit ihrem Veto gegen das "Wachstumschancengesetz" mehr Geld für eines der Kernprojekte ihres eigenen Hauses - die Kindergrundsicherung - herausschlagen zu wollen.
Mit der Kindergrundsicherung will Paus verschiedene Leistungen wie Kindergeld und Kinderzuschlag bündeln und leichter zugänglich machen - ein Vorhaben, das so im Koalitionsvertrag steht. Streitpunkt dabei ist schon lange das Geld.
Paus rückt von finanziellen Forderungen ab
Ursprünglich hatte die Ministerin zwölf Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung vorgesehen. Doch von dieser Summe rückt Paus nun offenbar deutlich ab. "Die Kindergrundsicherung ist das wichtigste sozialpolitische Projekt der Bundesregierung", sagte Paus der Zeitung "Welt". Dafür brauchen man Einigkeit, daher sei sie gesprächsbereit. Ihr Haus habe verschiedene Varianten durchgerechnet, über die die Bundesregierung jetzt im Gespräch sei. In der "Welt" und im "Spiegel" nannte sie nun einen Korridor "von zwei bis sieben Milliarden Euro".
Bundesfinanzminister Lindner selbst hatte der Familienministerin mit seinem Entwurf für den Bundeshaushalt 2024 die Kürzungen quasi verordnet. Denn in dem Entwurf sind bisher gerade einmal zwei Milliarden jährlich für die Kindergrundsicherung vorgesehen.
Darum soll Paus im Kabinett laut Regierungskreisen auch kritisiert haben, man könne nicht so viel Geld in die Wirtschaft stecken, aber nicht mehr in die Kindergrundsicherung zur Unterstützung von Familien mit wenig Geld.
Kanzler will Gesetz noch in diesem Monat beschließen
Bundeskanzler Scholz gibt sich im Ringen um das 'Wachstumschancengesetz'" betont gelassen und zeigte sich beim NRW-Unternehmertag in Düsseldorf überzeugt, dass das Vorhaben noch in diesem Monat beschlossen werde. Es gehe darum, Unternehmen angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Herausforderungen auf breiter Front zu entlasten.
Scholz setzt für einen Kompromiss auf die Kabinettsklausur, die Ende August im brandenburgischen Meseberg stattfinden soll. Die wenigen Tage bis dahin werde man nutzen, um das Gesetz "noch ein bisschen schöner zu machen", versicherte der Kanzler.