Debatte über Schuldenbremse Keine Weihnachtsruhe bei der SPD
In der SPD rumort es bei der Frage, ob die Schuldenbremse 2024 ausgesetzt werden soll. Die umfragengeschwächte Partei sorgt sich um Verteilungskämpfe. Dabei geht ausgerechnet der besonnene SPD-Fraktionschef Mützenich voran.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich ist von der eher selteneren Sorte Politiker, die nicht das Rampenlicht suchen. Schon gar nicht das Etikett des Schlagzeilenkönigs. Umso auffälliger ist, dass er nun deutlich vernehmbar seine Stimme erhebt, um sich zum wirklich größten wochenlangen Zankapfel der Ampelkoalition zu äußern, dem möglichen Aussetzen der Schuldenbremse beim Bundeshaushalt 2024.
Dabei ist vor allem der Zeitpunkt so brisant: Denn gerade vor gut einer Woche hatten sich die Koalitionsspitzen Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner auf eine Streichliste geeinigt, die nötig war, weil das Bundesverfassungsgericht die Umwidmung von Coronamitteln in den Klimafonds für "nichtig" erklärt hatte. Eigentlich wollten sie sich mit der Einigung wenigstens ein paar geräuschlosere Wochen über den Jahreswechsel ermöglichen, bis sich dann die Koalitionsfraktionen und der Haushaltsausschuss mit der Umsetzung befassen.
Dass diese politische Einigung zu Mitte Dezember noch gelang, war einem sehr schwierigem und zeitweise unwägbaren Verhandlungsprozess geschuldet. Am Ende stand die Entscheidung zugunsten des kleinsten Koalitionspartners FDP, dass die Schuldenbremse für 2024 zunächst nicht wegen der Definition einer Notlage erneut ausgesetzt werden sollte.
Ein bis zwei offene Türchen beinhaltete der Kompromiss der Koalitionsspitzen jedoch: Eine Ausnahme werde für die Ahrtalhilfe geprüft, ebenso könne diese für Ukrainehilfen im Falle einer Verschlechterung der Lage etwa durch sich verringernde US-Unterstützung kommen.
Doch Finanzminister Lindner war es wichtig, für seine FDP-Klientel zunächst einmal die Botschaft verkünden zu können: Wir halten an der Schuldenbremse für 2024 nach Ausnahmejahren durch Pandemie und Krieg wieder fest.
SPD-Fraktion unzufrieden mit der Einigung
In der SPD-Fraktion glaubt allerdings kaum jemand, dass es so kommen wird. Dort hält man die Einigung schlicht für falsch. Und fordert vielmehr eine Reform der Schuldenbremse, unterstützt vom jüngsten gerade erst vollzogenen SPD-Parteitagsbeschluss. Das Instrument passe in dieser Form nicht mehr in die Zeit - nichts anderes spricht Mützenich nun aus. Es ist davon auszugehen, dass auch SPD-Kanzler Scholz diese Haltung in den Verhandlungen vertrat, aber nicht gegen die FDP durchsetzen konnte.
Mützenichs skeptische Haltung zur Schuldenbremse ist bekannt. Die Frage ist, warum ein besonnen auftretender, erfahrener Politiker wie Mützenich, der sich an anderer Stelle durchaus oft um das uneinheitliche öffentliche Bild der Ampelkoalition sorgt, nun dennoch mit Nachdruck die Öffentlichkeit sucht. Schließlich brüskiert er damit die Verhandler der Einigung, zu denen auch Scholz gehört und die der SPD-Kanzler als guten Kompromiss vertreten hat. Es könnte auch wie ein Affront gegen Scholz ankommen.
Es ist wohl eher der Versuch seitens Mützenich, authentisch zu bleiben. So wird es aus seinem Umfeld erklärt. Er wolle sich nicht im neuen Jahr fragen lassen müssen: Warum habt ihr das nicht gleich gesagt? Es ist radikale Ehrlichkeit, sozusagen SPD pur versus Kompromisskanzler. Aber sicher nicht nur zum Selbstzweck: Damit will der langjährige SPD-Politiker vermutlich auch Druck auf die FDP machen.
Das Parlament beschließt den Haushalt
Denn in SPD-Fraktionskreisen wird Lindners sehr konsequente Haltung zur Schuldenbremse für 2024 so gedeutet, dass er sie mindestens bis zum Ende der Mitgliederbefragung der FDP nicht korrigieren kann. Derzeit stimmen auf Antrag der FDP-Basis FDP-Mitglieder über den Verbleib in der Ampelkoalition ab - die Antragstellenden sprechen sich dagegen aus.
Das Ergebnis ist aber nicht bindend für die Parteispitze. Danach, glaubt man in der SPD, könne Lindner wieder moderater in Verhandlungen mit den beiden anderen Ampelfraktionen auftreten - denn verhandeln müssen er und seine Fraktion. Beschlossen wird der Haushalt vom Parlament, nicht vom Finanzminister. Darauf weist Mützenich gebetsmühlenartig hin. Er will die größte Koalitionsfraktion, die er in der Frage hinter sich weiß, auch mal als eigenständigen Akteur zeigen.
Er finde, "dass auch die FDP ein bisschen fantasiebegabter sein könnte", sagte Mützenich dem Deutschlandfunk, und zwar bei der Frage, die die staatlichen Hilfen und Leistungen beim Umbau der Industriegesellschaft, aber auch bei den internationalen Hilfen angehe.
Der Fraktionschef spricht hier auch für seine Partei. Beide SPD-Parteivorsitzenden äußern sich schon länger ähnlich zu Haushalt und Schuldenbremse. Die Jusos warben auf dem SPD-Parteitag gar für ihr gänzliches Abschaffen.
Sorge vor gesellschaftlichem Großkonflikt
Damit wird in diesen Wochen eine große finanzpolitische Differenz zwischen SPD und FDP in der Ampelkoalition überdeutlich. Bisher verliefen die Debatten oft eher zwischen FDP und Grünen. Es ist ein gewisses Aufatmen der Grünen zu vernehmen, gerade nicht so im Fokus des Interesses zu stehen - inhaltlich sind sie mit der SPD bei der Frage der Schuldenbremse einig.
Für Mützenich sind es keine parteipolitischen Spielchen, jetzt auf mögliche Mehrausgaben und Konsequenzen für die Schuldenbremse 2024 hinzuweisen. Er sorgt sich um einen gesamtgesellschaftlichen Großkonflikt, um aufkommende Verteilungskämpfe, wenn etwa die Kosten für die militärische Unterstützung der Ukraine zu Lasten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gehen.
Dass etwas kippt in der Mitte der Gesellschaft, spüren SPD-Abgeordnete im Gespräch mit Bürgerinnen und Bürgern, aber auch mit Unternehmerinnen und Unternehmern in ihren Wahlkreisen, und auch SPD-Landeschefs. Die Umfragewerte der SPD liegen derzeit bei 14 Prozent.
"Es ist Zwei vor Zwölf"
Gleichzeitig definiert die Partei auch den Begriff Generationengerechtigkeit anders als Lindners FDP, der damit das Festhalten an der Schuldenbremse rechtfertigt. "Wir sehen gerade die Uhr Zwei vor Zwölf", sagt die 36-jährige SPD-Abgeordnete Verena Hubertz, eine von Mützenichs Stellvertreterinnen.
"Was bringt es der nächsten Generation, ein Blankokonto zu haben, wenn sie gleichzeitig in maroden Schulen unterrichtet wird und nicht mit der besten Ausbildung herauskommt?", fragt Hubertz. Sie sehe aber auch Wege, sich mit der FDP auf neue Finanzierungswege zu einigen - etwa auf einen Deutschlandfonds, der "stärker privates Kapital hebelt."
Alles in allem wirkt die Mützenich-Offensive so, als wolle die SPD endlich auch mal lauter und erkennbarer werden in der Ampelkoalition. Bisher waren FDP und Grüne ganz gut darin.