Thüringen vor der Landtagswahl Auswege aus der Blockade
In Thüringen droht eine Reform der Verfassung zu scheitern. Der Landtag hat sich wieder mal verhakt. Damit sich das nach der Landtagswahl ändert, öffnet sich die Linkspartei für ein Bündnis mit der CDU.
Der Debatte im Erfurter Landtag fehlt es nicht an Vorwürfen. Die Demokratie werde "missbraucht und missachtet", sagt die Rednerin der Linkspartei Richtung AfD und CDU. "Ein Griff ins Klo" kommt's von der CDU zurück. Die FDP warnt alle vor "Kindergarten".
Auch wenn es an diesem Freitag nicht den Eindruck macht: Hier wird eine Reform der Thüringer Verfassung beraten. Es geht um ein Bündel an Vorhaben. Das Ehrenamt und Nachhaltigkeit sollen gestärkt, Volksbegehren und Bürgeranträge erleichtert werden. Auch die elektronische Verkündung von Rechtsakten steht zur Diskussion.
SPD drängt auf Einigung
Vor vier Jahren wurde extra ein Ausschuss gebildet. Doch rund ein halbes Jahr vor der Landtagswahl am 1. September fehlt eine Einigung zwischen der Minderheitskoalition von Linkspartei, SPD und Grünen sowie FDP und CDU. Daran ändert bislang auch ein Brief von 21 Verbänden nichts, die auf die Reform drängen - darunter von Gewerkschaften bis Feuerwehren die versammelte Kernklientel aller Parteien.
"Die Leute verstehen nicht, warum wir nicht liefern", sagt Dorothea Marx im Gespräch mit tagesschau.de. Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD sitzt seit 2009 im Landtag. Ihre Ausführungen beendet sie mit einem lakonischen "Das ist eben Thüringen".
Dabei herrsche bei vielen Punkten Einigkeit mit der CDU, so Marx, etwa beim Ehrenamt. Rot-Rot-Grün habe sich zudem von einer gewünschten Absenkung des Wahlalters auf 16 verabschiedet und sei der CDU bei einer besseren Absicherung kommunaler Finanzen entgegengekommen.
An Letzteres hatte die CDU zunächst ihre Zustimmung geknüpft. 2021 schien eine Reform vor der verabredeten Neuwahl des Landtags greifbar. Dann aber scheiterte die Neuwahl und mit ihr zerbrachen viele Absprachen.
Debatte um dritten Wahlgang
Eine zunächst hinten angestellte CDU-Idee wurde nun ebenfalls zur Bedingung: die Neuregelung des dritten Wahlgangs bei der Ministerpräsidentenwahl. Denn aus Sicht der CDU und einiger Rechtsexperten ist die bisherige Regelung unklar.
Demnach könnte sich Björn Höcke, sollte die AfD ab Herbst die größte Fraktion stellen, zum Ministerpräsidenten wählen lassen, wenn sich im Rest des Landtags keine Mehrheit für einen gemeinsamen Kandidaten findet. Der zähe Lagerstreit, dem die Thüringer Landespolitik oft erlegen ist, hat diesmal einen besonders gravierenden Anlass. Die Fallhöhe ist groß.
Auch Georg Maier, SPD-Innenminister, plädierte zuletzt für eine Änderung der Wahlregel. Ministerpräsident Bodo Ramelow lehnt die allerdings ab. Bewegung gibt es keine. CDU und Rot-Rot-Grün sind sich uneins darüber, wie konkret bisherige Einigungen auf Reformpunkte waren - und darüber, wie Experten im Ausschuss diese bewertet haben.
"Die jetzige Verfassung sagt: Ihr müsst aus der Deckung kommen", sagt Dorothea Marx. Ein von der CDU gemachter Vorschlag zur Wahländerung würde im schlimmsten Fall aber zu wiederholten Neuwahlen und damit Instabilität führen. Und überhaupt gebe "keinen vernünftigen Grund" die anderen Vorhaben daran zu koppeln.
Rot-Rot-Grün will nun "die Erpressung der CDU" (Marx) aufbrechen und bei der nächsten Landtagssitzung einzelne Änderungen zur Abstimmung stellen. Die CDU müsste sich dann positionieren. Der Druck hat einen Grund: Nach der Landtagswahl dürfte eine nötige Zwei-Drittel-Mehrheit ohne AfD-Stimmen wohl nicht mehr zu stellen sein.
AfD will Rot-Rot-Grün blockieren
So sieht es auch Stefan Möller, Abgeordneter der AfD. Sein als gesichert rechtsextremistisch eingestufter Landesverband liegt seit Monaten bei über 30 Prozent in den Umfragen. Möller führt ihn gemeinsam mit Höcke.
Sollte die AfD ein Drittel oder mehr der Abgeordneten stellen, würde sie die Verfassung vor dem "ideologischen Zugriff von Rot-Rot-Grün", vor einer "DDR-isierung" schützen, sagt Möller. Der Ausschuss, dessen Mitglied Möller ist, habe zuletzt aufgrund der gegenseitigen Blockaden ohnehin "vor sich hin vegetiert".
Unterstützenswert sei aus AfD-Sicht kaum ein Vorschlag. Selbst die Ehrenamtsregelung könne in der jetzigen Form nicht von der AfD unterstützt werden, sagt Möller, da nicht gesichert sei, dass "nur neutrale Institutionen" gefördert würden. "Neutral" hieße in diesem Fall wohl, sich nicht gegen die AfD zu engagieren. Bei der elektronischen Ausfertigung könne die AfD hingegen zustimmen.
Sollte es allerdings tatsächlich zu einer offenen Abstimmung kommen, und käme dann eine Verfassungsänderung mit AfD-Stimmen durch, wäre der folgende Eklat samt gegenseitiger Schuldzuweisungen absehbar. Thüringen eben.
CDU sieht Uneinigkeit von Rot-Rot-Grün als Ursache
Vorerst steht CDU-Fraktionschef Mario Voigt im Zentrum der Vorwürfe. Er besteht darauf, die Verfassung nur einmal zu ändern - oder gar nicht. Voigt gibt sich staatsmännisch: Alle Beteiligten sollten sich "der gemeinsamen Verantwortung bewusst werden" und parteipolitisches Klein-Klein hinter sich lassen, sagt er. Das gebiete der Respekt vor der Verfassung.
Die CDU sei in den letzten vier Jahren stets der proaktive Part gewesen. Mit der Vorlage eines Ehrenamtsgesetzes habe sie zudem im Januar gezeigt, wie wichtig ihr das Thema so oder so sei. Die Diskussion um den dritten Wahlgang zeige laut Voigt das eigentliche Dilemma: "Es ist passiert, was unter Rot-Rot-Grün halt passiert: Die waren sich untereinander nicht einig."
Hängepartie dank Unvereinbarkeitsbeschluss
Ein Grund für die Thüringer Hängepartie: CDU und Linke sind aufeinander angewiesen, arbeiten aber nicht dauerhaft zusammen. Eine mögliche Koalition wurde 2019 verworfen, auch weil die CDU einen Unvereinbarkeitsbeschluss für "Koalitionen und ähnliche Formen der Zusammenarbeit" mit der Linken hat.
Dazu bekennt sich auch Voigt. Die Linke sei aus seiner Sicht "in zentralen Politikfeldern programmatisch entleert" und insgesamt "ermattet und ermüdet". Eine Diskussion über den Unvereinbarkeitsbeschluss, etwa auf dem CDU-Bundesparteitag im Mai, brauche es nicht.
In Umfragen liegen allerdings sowohl eine von Voigt angestrebte CDU-SPD-FDP-Koalition als auch eine Neuauflage von Rot-Rot-Grün weit von einer Mehrheit entfernt. Die Linke streckt deshalb die Hand zur CDU aus.
Hoff schlägt CDU "Koalition" ohne Koalitionsvertrag vor
Ein Vorschlag, wie eine Zusammenarbeit ab Herbst aussehen könnte, kommt von Benjamin-Immanuel Hoff. Der Chef der Thüringer Staatskanzlei ist ein enger Vertrauter Ramelows. Er sagt, die Leute in Thüringen hätten genug von Minderheitskoalitionen - egal, wer diese führe. Die Politik dürfe sie nicht aufgrund von Unvereinbarkeitsbeschlüssen "in die Geiselhaft politischer Instabilität" nehmen.
Hoff schwebt eine Koalition ohne Koalitionsvertrag vor. Linke und CDU würden sich nur auf einige zentrale Vorhaben einigen, etwa bei Digitalisierung, Infrastrukturausbau, Fachkräftegewinnung, Gestaltung der Energiewende. So eine grundsätzliche Einigung könne eher ein verbindliches Bündnis schaffen als ein Koalitionsvertrag, meint er.
Über das genaue Konstrukt - und damit auch Personalfragen - müssten Bodo Ramelow und Mario Voigt "vertrauensvoll" gemeinsam entscheiden. Allerdings müsse Voigt zuerst die CDU-Fraktion unter Kontrolle bekommen, so Hoff.
Voigt: "Will nicht mit AfD Stimmen gewählt werden"
Hoff erinnert daran, dass es Rot-Rot-Grün und CDU trotz aller Schwierigkeiten gelungen sei, gemeinsam mehrere Haushalte und ein verfassungskonformes Corona-Hilfspaket durchzubringen, das ließe sich auch "als positive Demokratie-Geschichte erzählen".
Genau auf diese Einigungen begründet Voigt allerdings auch seinen Anspruch auf das Ministerpräsidentenamt. "Ich will nicht mit den Stimmen der AfD gewählt werden", sagt er für den Fall, dass es für seine Wunschkoalition nicht reicht. Dann müssten die anderen Parteien und Fraktionen "zeigen, wo sie stehen". Nur eine Zusammenarbeit mit der Linken, das wolle er eben nicht.
Die Gespräche für eine Verfassungsreform wollen derweil alle Seiten vorerst fortsetzen.