Ukrainische Soldaten haben vor Bachmut Stellung bezogen
Analyse

Krieg gegen die Ukraine Mehr Diplomatie wagen - aber wie?

Stand: 24.03.2023 09:10 Uhr

Mehr als die Hälfte der Bevölkerung befürwortet Friedensverhandlungen, um den Ukraine-Krieg zu beenden. Aber wie soll das gehen, ohne Russlands Präsident Putin durch Zugeständnisse für seinen Angriffskrieg zu belohnen?

Eine Analyse von Kai Küstner, ARD Berlin

Frieden in der Ukraine klingt aus heutiger Sicht wie ein sehr ferner Traum. Denn dass der Mann, der diesen Zustand herbeiführen könnte, an Frieden ein Interesse hat, dafür gibt es nicht das geringste Anzeichen: Wladimir Putin ist bislang nicht einen Millimeter von seinen Kriegszielen abgerückt, weshalb es aus Sicht des Politikexperten Gustav Gressel auch - Stand heute - keine Chancen auf Verhandlungen gibt. "Zum jetzigen Zeitpunkt gar nicht. Putin spielt auf Sieg", meint Gressel von der Denkfabrik European Council on Foreign Relations im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio.

Und in der Tat: Das von Putin ausgegebene Ziel der "Denazifizierung" der Ukraine ist nicht viel mehr als eine Chiffre für eine Russland genehme Marionettenregierung. Und "Demilitarisierung" hieße: Eine wehrlose Ukraine, die dem Putinschen Vernichtungskrieg schutzlos ausgeliefert wäre. "Die Ukrainer sind auch nicht dumm und wissen, was die Konsequenzen sind", sagt Gressel.

"Was ist das für ein Frieden?"

In Teilen der deutschen Öffentlichkeit ist der Wunsch nach Frieden dennoch so groß, dass der Vorwurf an die Politik laut wird, nicht genug auf Diplomatie zu setzen - bis hin zu Ideen, die Ukraine möge doch bitte auf von Russland geraubte Gebiete verzichten, damit dieser Krieg aufhört.

"All diejenigen, die jetzt sagen: 'Die Waffen müssen nur schweigen, weil dann haben wir Frieden', denen möchte ich deutlich sagen: Was ist das für ein Frieden, wenn man unter russischer Besetzung leben muss? Wenn man jeden Tag die Sorge hat, dass man kaltblütig ermordet, vergewaltigt oder als Kind verschleppt wird", entgegnete Außenministerin Annalena Baerbock im Februar den Unterzeichnern des sogenannten "Manifests für den Frieden" von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer.

Von anderer Seite wurde die Initiative dafür kritisiert, dass ihre Forderung nach einem Stopp von Waffenlieferungen einen Frieden eher in weite Ferne rücke, weil Putin sich ermutigt fühlen könnte und mit dem militärischen Sieg vor Augen zu Verhandlungen erst recht nicht bereit sein werde.

Geredet wird weiterhin

Der Vorwurf, dass zwischen dem Westen und Moskau gar nicht mehr geredet wird, stimmt nicht so ganz: Beim G20-Treffen in Indien sprachen Anfang März US-Außenminister Antony Blinken und Russlands Sergej Lawrow miteinander. Nach dem Absturz einer Drohne über dem Schwarzen Meer telefonierten die Verteidigungsminister beider Staaten, Lloyd Austin und Sergej Schoigu. Und auch der Bundeskanzler redet - wenn auch selten - mit Russlands Präsident Putin.

Natürlich wird bei solchen Gesprächen jedes Wort des Gegenübers wie unter einem Mikroskop betrachtet, wird ausgelotet, ob sich auch nur im Ansatz Verhandlungsbereitschaft erkennen lässt. Bislang offenbar ohne erkennbaren Erfolg.

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Ralf Stegner beklagt, dass in der Debatte über eine Beendigung des Krieges zu sehr die militärischen Mittel im Fokus stünden: "Ich finde, es muss auch Initiativen geben, dass dieser Krieg eben nicht ewig dauert", forderte der SPD-Linke bei Anne Will in der ARD und schlug vor, mit China zu reden, das ja zweifellos Einfluss auf Putin habe.

Frieden am Verhandlungstisch

Nun leugnet kaum ein seriöser Beobachter, dass dieser Krieg am Verhandlungstisch beendet werden muss - die Frage ist nur: Wann? Wie? Und unter welchen Bedingungen?

Bereits gegen Ende vergangenen Jahres ließ eine Geschichte in der "Washington Post" aufhorchen: Demnach soll die Regierung von US-Präsident Joe Biden die Ukraine inoffiziell gedrängt haben, Bereitschaft zu Verhandlungen zu signalisieren. Auch weil eine beharrliche Weigerung Teile des globalen Südens in Asien, Afrika, Lateinamerika verschrecken könnte.

Schon machten Gerüchte die Runde, Ziel der USA sei es, die Ukraine mit Waffenlieferungen noch einmal in die Lage zu versetzen, eine Offensive zu beginnen und weitere Gebiete zu befreien, um Kiew eine bessere Position für Verhandlungen zu verschaffen - und die Ukraine dann irgendwann auch zu solchen Gesprächen zu bewegen. Einen Beleg dafür gibt es nicht.

Putin an den Verhandlungstisch zwingen

Doch selbst wenn es so wäre - der Weg dahin wäre noch weit, der Katalog ungeklärter Fragen lang. Angefangen damit, wer der Ukraine genau welche Sicherheitsgarantien gibt, damit die nicht über kurz oder lang erneut angegriffen wird - wie nach 2014. "Die Lehre auf ukrainischer Seite aus den vergangenen Minsk-Waffenstillständen lautet, dass diese eben nur Vorbereitungen eines weiteren Krieges waren", gibt Politikexperte Gressel zu bedenken.

Der Leiter des Ukraine-Sonderstabs im Bundesverteidigungsministerium, Christian Freuding, äußerte im Interview mit dem ARD-Hauptstadtstudio die Befürchtung, dass Putin seinen Krieg als langfristiges Projekt betrachtet - und auf die zunehmende Erschöpfung des Westens bei der Unterstützung der Ukraine setzt.

So betrachtet gibt es zu den Waffenlieferungen und den beständigen Signalen an Moskau, dass man nicht einknicken werde, keine Alternative, weil nur die Einsicht, dass es für ihn militärisch kein Vorankommen mehr gibt, Putin an den Verhandlungstisch zwingen könnte. "Nur Druck, nur das Zurückdrängen Putins wird dazu führen, dass er überhaupt Interesse an Verhandlungen hat", sagt die Frankfurter Politik-Professorin Nicole Deitelhoff. Bislang gibt es bei Putin dafür aber keine Anzeichen - und damit auch kaum Aussichten, dass der Traum von Frieden in der Ukraine rasch in Erfüllung gehen könnte.   

Kai Küstner, Kai Küstner, ARD Berlin, 24.03.2023 09:20 Uhr