Koalitionen nach den Landtagswahlen Wagenknechts rote Linien
Sahra Wagenknecht macht Wahlkampf in Thüringen und Sachsen und knüpft eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei an immer mehr Bedingungen. Nun kündigt sie an, sich persönlich in mögliche Verhandlungen einzubringen.
Sahra Wagenknecht sieht sich bestätigt. Sie spüre eine "große Sehnsucht nach einer anderen Politik", sagt sie am Dienstagabend. Gerade hat sie den dritten von elf Wahlkampfauftritten für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) in Thüringen und Sachsen absolviert. Mehrere Hundert Menschen haben ihr in Zwickau und wenige Stunden zuvor in Altenburg zugehört.
Bei den Landtagswahlen in anderthalb Wochen könnte die nach ihr benannte Partei laut Umfragen in Sachsen drittstärkste Kraft werden, in Thüringen auch zweitstärkste. Eine Regierungsbeteiligung steht im Raum. Wäre da nicht Sahra Wagenknecht.
Sie hat in den vergangenen Monaten mehrere Bedingungen aufgestellt, die wenig mit Landespolitik zu tun haben: Eine Landesregierung müsste sich etwa für sofortige Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine, gegen die Waffenlieferung an Letztere und gegen die geplante Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland aussprechen.
Das Hauen übernimmt Wagenknecht
Dabei würde am Ende nicht die Parteichefin mitregieren, sondern die BSW-Politikerinnen und -Politiker vor Ort. Personen wie die Thüringer Spitzenkandidatin und ehemalige Eisenacher Oberbürgermeisterin Katja Wolf.
Wolf steht am Dienstagnachmittag in Altenburg zunächst mit einigen Mitstreitern auf der Bühne und stellt das Bündnis als konstruktive Kraft vor. "Wir sind anders als die anderen", sagt sie. Mit dem BSW werde es im Landtag wieder um Sachargumente gehen. Am Ende lobt die kleine Runde sich selbst: "Wir kommen aus, ohne auf andere einzuhauen."
Das Hauen übernimmt die Parteichefin. Sahra Wagenknecht, gebürtige Jenaerin, ist zurück im Land "meiner Kindheit". Die Nostalgie verfliegt schnell. Sie redet über den Thüringer CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt, über Bundeskanzler Olaf Scholz, Vizekanzler Robert Habeck, Gesundheitsminister Karl Lauterbach. "Wir werden nie Teil dieses Sumpfes sein", ruft Wagenknecht.
"Bravo" und "Yee-haw!"
Ihre Rede hat zwei zentrale Momente. Der erste ist eine Form ostdeutscher Selbstbehauptung. Wagenknecht erzählt von einer westdeutschen Journalistin, die sie gefragt habe, warum der Osten "so komisch" wähle, also so viel AfD und BSW. "Gefährde das nicht die Demokratie?", zitiert sie die Journalistin.
Die Frage sei nicht exakt so gefallen, räumt Wagenknecht später auf Nachfrage ein. Aber es gebe so viel verzerrende und eigenartige Berichterstattung über Ostdeutschland. Es wisse also jeder, was gemeint sei.
Auf den Marktplätzen kommt nach einem kurzen Einschub, dass die AfD natürlich gefährlich sei, Wagenknechts Pointe: "Die Menschen im Osten haben sich das eigenständige Denken bewahrt." Jubel. "Bravo!", ruft einer in Altenburg, "Yee-haw!" jemand in Zwickau.
Angst vor dem Krieg
Das andere Argument ist Angst. Wagenknecht redet gegen die Raketen-Stationierung an. Damit würde Deutschland in das "Zielrohr" russischer Raketen geraten. Eine Eskalation ließe sich dann im Ernstfall nicht mehr aufhalten. Auch der Krieg in der Ukraine müsse sofort durch Verhandlungen beendet werden.
"Die meisten Menschen haben Angst, dass dieser Krieg irgendwann zu ihnen kommt", ruft Wagenknecht in Altenburg. Sie breitet die Arme so weit nach vorne aus, als rüttle sie die Menge.
Doch die Angst ist längst da. "Ihr jungen Männer seid als Erste dran", sagt eine ältere Altenburgerin - und meint damit nicht nur den Reporter, sondern auch ihre zwei Enkel.
Sie sei "absolut gegen diesen Krieg" und gegen Putin. Es müsste aber dringend verhandelt werden. Ihr Mann rät dem BSW dennoch, notfalls Kompromisse einzugehen. Für Thüringen sei "am Ende sei wichtig, dass eine Regierung steht", sagt er.
Immer neue Bedingungen gestellt
Sahra Wagenknecht hat die Hürde für eine Koalition ganz langsam aufgebaut. Als sich die ewige Oppositionspolitikerin kurz nach der Parteigründung offen für Koalitionen auf Landesebene zeigte, galt das noch als Überraschung.
Die Umfragewerte stiegen. Bei der Europawahl landete das BSW auf Anhieb auf Platz drei in Ostdeutschland. Anfang Juli sprach Wagenknecht von "relevanten Verbesserungen" in der Bildungs-, Wirtschafts- und Gesundheitspolitik. Damals sagte sie selbst, dass viele Änderungen "hauptsächlich auf Bundesebene" möglich seien.
In dieser Zeit zeigte sich die CDU noch sehr offen für eine mögliche Koalition. Selbst Parteichef Friedrich Merz räumte einer solchen auf Landesebene den Weg frei.
Rote Linien
Wagenknecht ging einen Schritt weiter. Plötzlich forderte sie, dass die CDU in Thüringen die BSW-Spitzenkandidatin Katja Wolf zur Ministerpräsidentin wählen müsste, sollte das BSW am Ende vor der CDU landen und sollte Michael Kretschmer in Sachsen die Unterstützung ihrer Partei erhalten wollen.
Kurz darauf schaltete sich Wagenknecht mit den Landesspitzen zusammen, um weitere rote Linien zu diskutieren. Zuvor hatten Bundesregierung und US-Regierung den Plan für eine Raketen-Stationierung bekannt gemacht.
Aufgrund internationaler Verträge können diese Raketen nicht in Ostdeutschland stationiert werden. Eine Landesregierung könnte sich zu diesem Thema genau wie zu Waffenhilfen an die Ukraine bestenfalls symbolisch im Bundesrat positionieren. Das hielt Wagenknecht nicht davon ab, nun auch diese Forderungen aufzustellen. Bedingungen, die mögliche Koalitionspartner wie CDU und SPD selbst bei Wohlwollen kaum mit ihren Bundesparteien einigen könnten.
"Werde mich sehr persönlich einbringen"
Die CDU ist mittlerweile auf Distanz gegangen. Im Fokus steht Wagenknecht selbst. In Sachsen sagt Michael Kretschmer in diesen Tagen: "Die Zeiten vom Politbüro sind vorbei."
Mario Voigt, Spitzenkandidat in Thüringen, geht noch weiter und knüpft Verhandlungen mit dem BSW daran, dass dessen Landesverband frei handle. "Solange Frau Wagenknecht hier die Ansagen macht, habe ich mit dem BSW keine Gesprächsgrundlage", so Voigt.
Wagenknecht will es darauf ankommen lassen. "Ich werde mich sehr persönlich einbringen", so die Parteichefin im Gespräch am Abend. Sie schließt ausdrücklich nicht aus, persönlich an den Gesprächen in Erfurt und Dresden teilzunehmen. "Das erwarten die Leute."
Die Landesverbände in Thüringen und Sachsen planen bislang allerdings nur Parteitage kurz nach den Wahlen, um über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen zu beraten. Dazu soll dann auch die Parteichefin kommen.
Ausgerichtet ist dabei alles auf die CDU. Anträge der AfD im Landtag will das BSW zwar nicht grundsätzlich ablehnen, Gespräche mit der AfD schließen Wagenknecht und ihre Landesspitzen aber aus.
Finden sich Kompromisse?
Vielleicht lässt sich am Ende ein Formelkompromiss finden. Vielleicht nicht. In einem Koalitionsvertrag müsse verankert sein, "dass diese Koalition die Meinung der großen Mehrheit vertreten wird", sagt Wagenknecht. Ihre "friedenspolitische Position" sei dabei aber eine "absolute Bedingung".
Auf die von der sächsischen Spitzenkandidatin Sabine Zimmermann erhobene Bedingung, die Schuldenbremse in Sachsen zu lockern, reagiert Wagenknecht hingegen eher allgemein: Es wäre "wünschenswert", wenn sich eine Regierung auf Bundesebene für eine Reform einsetze.
Und wenn am Ende eine Koalitionsbildung auch ihrer Forderung scheitert? Gerade in Thüringen ist nach fünf Jahren rot-rot-grüner Minderheitskoalition der Wunsch groß, wieder eine stabile Regierung zu bekommen.
Wagenknecht spricht wieder über die Erwartungshaltung der Menschen und über das, was sie selbst als "Demokratiegefährdung" versteht. Die CDU solle ihre Mitverantwortung sehen. "Wer sich einer guten Regierung entgegenstellt, der sorgt für weitere Demokratiemüdigkeit bei den Wählern."