Ein Wähler wirft in einem Wahllokal seinen Stimmzettel für die Bundestagswahl in eine Wahlurne.
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Bundestag Wie die Wahlwiederholung in Berlin abläuft

Stand: 02.01.2024 17:23 Uhr

Im Februar sind Wähler in 455 Berliner Stimmbezirken aufgerufen, erneut ihre Stimme für den Bundestag abzugeben. Wer darf noch einmal wählen? Und was ändert das an der Zusammensetzung des Bundestags?

Von Tina Handel, ARD-Hauptstadtstudio

Darf es Wahlkampf nur dort geben, wo noch einmal gewählt wird?

Die Parteien wollen ihren Wahlkampf zumindest so führen, dass vor allem Wiederholungswähler angesprochen werden. "Es wird schwieriger, weil wir nicht alle zur Wahl aufrufen können", sagt Torsten Einstmann, der ein zweites Mal in Berlin-Reinickendorf für die SPD antritt. "Wir haben Listen da und werden es an den Infoständen genau erklären müssen. Bei uns geht es um etwa 35 Prozent der Stimmbezirke."

Angst vor Ordnungswidrigkeiten muss sein Wahlkampfteam dabei nicht haben: Es ist laut Landeswahlleiter erlaubt, überall in Berlin Plakate zu hängen, Infostände zu machen oder Flyer zu verteilen. Die Parteien müssen also nicht straßengenau planen. Trotzdem wollen sie dort präsent sein, wo es um etwas geht.

Wer darf noch einmal wählen?

Rund 590.000 Berliner sind noch einmal zur Wahl aufgerufen. Da die ursprüngliche Wahl länger als sechs Monate her ist, wurde ein neues Wählerverzeichnis erstellt. Es zählt, wer jetzt wahlberechtigt ist - und nicht, wer es 2021 war. Wer aus Berlin weggezogen ist, darf also nicht teilnehmen. Andererseits sind Menschen wahlberechtigt, die erst seit Kurzem in der Hauptstadt leben oder gerade volljährig geworden sind - immer vorausgesetzt, sie wohnen in einem betroffenen Stimmbezirk, also bestimmten Vierteln oder Straßenzügen.

Besonders wahrscheinlich ist das in Berlin-Pankow: Dort werden mehr als 80 Prozent der Wahlberechtigten noch einmal aufgerufen. Das zeigt, dass eine Wahlwiederholung immer auch ein Dilemma ist und neue Gerechtigkeitsfragen aufwirft: Einige Wähler werden insgesamt mit zwei Stimmen zum Bundestag beitragen. Andere werden gar nicht mehr repräsentiert sein, weil sie beispielsweise von Pankow ins kaum betroffene Köpenick umgezogen sind.

Wie finde ich heraus, ob ich dabei bin?

Mit der Wohnadresse kann man auf der Seite des Berliner Landeswahlleiters suchen, ob man zu den 455 betroffenen Stimmbezirken gehört. Wer sich überraschen lassen will, kann auch abwarten: Bis zum 21. Januar bekommen die Wiederholungswähler ihre Benachrichtigung per Post.

Wer tritt an und sehen die Wahlzettel genauso aus wie 2021?

Grundsätzlich gilt, dass laut Bundeswahlgesetz eine Wiederholungswahl mit denselben Wahlvorschlägen stattfindet. Wer also damals Direkt- oder Listenkandidat war, ist es auch 2024. Es gibt nur wenige Ausnahmen: Zum Beispiel können Verstorbene nicht auf dem Stimmzettel bleiben. Außerdem sind Namensanpassungen zulässig, etwa wenn eine Bewerberin inzwischen geheiratet oder einen Doktortitel erworben hat.

Neue Parteien oder Kandidaten werden zur Wahl im Februar nicht zugelassen. Auch Bewerber, die aus einer Partei ausgetreten sind oder die Partei gewechselt haben, stehen für ihre alte Partei auf dem Wahlzettel. Das könnte Linke-Politiker betreffen, falls sie sich nun für das Bündnis Sahra Wagenknecht engagieren.

Ist es möglich, dass in einem Wahlkreis das Direktmandat wechselt?

In mehreren Wahlkreisen ist das rechnerisch möglich. Am wahrscheinlichsten ist es in Pankow und Reinickendorf.

In Pankow hat Stefan Gelbhaar für die Grünen mit vier Prozent Vorsprung vor dem SPD-Kandidaten gewonnen. Weil dort ein Großteil noch einmal wählt, kann das Ergebnis sehr anders ausfallen. "Wir wollen das erste grüne Direktmandat in Ostdeutschland verteidigen", sagt Gelbhaar. "Die Mitbewerber vor allem von CDU und SPD schlafen nicht." Unklar ist, wer der Hauptkonkurrent wird - folgt man dem Bundestrend, könnte auch die Union heranrücken.

In Reinickendorf wird nicht in so vielen Stimmbezirken wiederholt, doch das damalige Ergebnis war denkbar knapp: 1,4 Prozent lag Monika Grütters von der CDU vor Torsten Einstmann von der SPD. "Ich rechne mir tatsächlich eine Chance aus", sagt Einstmann. "Es wird aber ein ordentlicher Akt werden, in diesem kurzen und kalten Wahlkampf die Leute zu mobilisieren."

Die beiden bisher direkt Gewählten, Gelbhaar und Grütters, sind ohnehin auch über die Landesliste abgesichert. Das heißt: Egal, wie es ausgeht - sie sind wieder im Bundestag. Aber für die Landesparteien und einzelne Bundestagsfraktionen könnte es um einen Sitz mehr oder weniger gehen.

Welche Rolle spielt die Wahlbeteiligung?

Experten wie der Berliner Politikwissenschaftler Thorsten Faas prognostizieren wenig Wählerinteresse: "Die Wahlbeteiligung in den 455 Stimmbezirken wird dramatisch niedriger sein als 2021", glaubt Faas. Damals lag sie bei etwa 75 Prozent. Schon die erneute Abgeordnetenhauswahl im Februar 2023 zeigte, dass Wiederholungswahlen kein Renner sind. Für 2024 würde er auf 40 Prozent Wahlbeteiligung tippen, so Faas. "Entsprechend geringer wird die Repräsentanz von Berlin im Bundestag ausfallen."

"Alle Berliner Landesparteien haben ein Interesse daran, dass es keine Geisterwahl wird", sagt deshalb auch Stefan Gelbhaar von den Grünen. Denn es geht nicht nur um Berliner Direktmandate. Neben der Erst- wird auch die Zweitstimme wiederholt und dann aufs ganze Bundesgebiet umgerechnet. Berlin könnte bei schlapper Beteiligung Mandate verlieren.

Besonders gefährdet sind Abgeordnete, die als Letzte über ihre Landesliste in den Bundestag eingezogen sind: Bei den Grünen betrifft das Nina Stahr, bei der AfD Götz Frömming und bei der SPD muss Nachrückerin Ana-Maria Trăsnea zittern.

Kann es auch Auswirkungen außerhalb Berlins geben?

Es kann zu "länderübergreifenden Verschiebungen bei der Sitzverteilung" kommen, so technisch formuliert es die Berliner Landeswahlleitung: "Auch in anderen Bundesländern können neue Mandatsgewinne oder -verluste entstehen."

Mandate, die Berliner Landesverbände verlieren, könnten also an ihre Parteifreunde in anderen Bundesländern wandern. Es gibt sogar Berechnungen, nach denen Abgeordnete anderer Bundesländer unter bestimmten Voraussetzungen ihr Mandat verlieren.

Worum wird es im Wahlkampf gehen?

Wohl kaum um die Themen, die 2021 eine Rolle spielten. Vor allem die CDU will aus der Wiederholungswahl eine Abstimmung über die Ampel machen: "Berlin, Deine Chance. Zeig der Ampel das Stopp-Zeichen", steht auf ihren Plakaten. "Deutschland kann zwei Jahre in dieser Form nicht weiter regiert werden", findet CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann.

Die Grünen scheinen die Herausforderung durchaus anzunehmen. Sie wollen bewusst mit der Bilanz der vergangenen zwei Jahre Wahlkampf machen: "Damit wir mehr davon machen können, brauchen wir Ihre Stimme", heißt es in einem Aufruf des Berliner Landesverbands. "Es ist die erste Wahl des Jahres!", so sieht es Stefan Gelbhaar. Das könne schon ein Signal setzen.

Die SPD hat 2021 stark geworben mit dem Ziel, den Mindestlohn auf zwölf Euro zu erhöhen. Das hat die Koalition inzwischen umgesetzt. Die neuen SPD-Flyer brauchen andere Wahlkampfversprechen.

Wird das alte Wahlkampfmaterial noch einmal benutzt?

In vielen Straßen wird es ähnlich aussehen wie 2021. "Wir haben schon damit gerechnet, dass es zu einer Wiederholungswahl kommen könnte und haben vorsorglich jede Menge Wahlplakate aufgehoben", sagt AfD-Bundestagsabgeordneter Götz Frömming. 2.000 Stück mit Slogans wie "Null Toleranz für Asylbetrug" hat die Partei eingelagert. "Passt immer", finden die AfD-Wahlkämpfer.

SPD-Kandidat Torsten Einstmann wird zumindest seine alten Fotos noch einmal benutzen, hat damit aber neue Plakate drucken lassen: "Zwei Jahre sind ins Land gegangen, aber der Typ ist noch derselbe", sagt er mit Blick aufs damalige Motiv. "Ich habe eine andere Brille, das fällt vielleicht auf."

CDU und Grüne werden kaum alte Plakate wieder benutzen können: Beide Parteien haben in den letzten Monaten neue Farbkonzepte und Logos erarbeitet.

Insgesamt kostet der erneute Wahlkampf alle Parteien ordentlich Geld: Die Grünen gehen etwa mit 270.000 Euro Budget ins Rennen. Die FDP plant mit einem "niedrigen sechsstelligen Betrag".

Wie schnell wird sich der Bundestag ändern?

Normalerweise dauert es nach einer Wahl bis zu sechs Wochen, bis das neue Parlament zusammenkommt. Dieses Mal geht die Legislatur einfach weiter. Wenn das Endergebnis feststeht, beschließt der Ältestenrat des Bundestags "unverzüglich von Amts wegen", wer seinen Sitz verliert, erklärt die Bundeswahlleitung.

"Da würde ganz viel Veränderung auf mich einstürzen", sagt SPD-Bewerber Torsten Einstmann. Seine Arbeitsstelle in einem Bundesministerium müsste ruhen. "Ganz schnell ein Wahlkreisbüro einrichten und Personal suchen", sieht er als erste Aufgaben. "Das krempelt alles um - aber das ist auch gut so."