Vor Kabinettsklausur in Meseberg Worüber die Ampel gerade streitet
Verkehrspolitik, Energiepolitik und Haushaltsfragen: Vor der Klausurtagung in Meseberg knirschte es in der Ampelkoalition. Wo ist das Problem?
Beziehungsstatus: Es ist kompliziert. So könnte das Verhältnis der Ampel-Koalition beschrieben werden. "Die Statik der Ampel schwankt", fürchtet Politikwissenschaftlerin Andrea Römmele von der Hertie School of Governance.
Die Koalitionspartner selbst versuchen in der Öffentlichkeit ein anderes Bild darzustellen. Der stellvertretende Regierungssprecher Wolfgang Büchner sagte vergangenen Freitag: "Die Arbeitsatmosphäre in dieser Koalition ist eine gute. Wenn man auch sachlich zu bestimmten Fragen unterschiedliche Positionen hat." Um die Themen, die momentan in der Koalition diskutiert werden, würde es nur am Rande der Klausur in Meseberg gehen.
Ist es vorbei mit der rot-grünen Liebe?
Dass es zwischen SPD, FDP und den Grünen keine Liebesbeziehung ist, sondern eher eine "Zweck-Ehe" war für Politikwissenschaftler Antonios Souris von der Freien Universität Berlin von Beginn an klar. "In den letzten eineinhalb Jahren ist die Liebe der Koalitionspartner zueinander auch nicht weiter gewachsen. Die Koalitionspartner merken vermehrt, dass ihre politischen Positionen manchmal diametral entgegengesetzt sind und versuchen parallel zu der Regierungsverantwortung und der Koalitionsverantwortung auch noch ihren jeweiligen Wählergruppen gerecht zu werden, während Krieg in Europa herrscht." Eine große Aufgabe.
Nach der Wahlwiederholung in Berlin lässt sich mit Gewissheit sagen: Hier ist es vorbei mit der rot-grünen Liebe. Diese Woche gaben CDU und SPD bekannt, dass sie Koalitionsverhandlungen führen wollen. Die Spitzenkandidatin der Grünen, Bettina Jarasch, wirft der SPD-Führung vor, mit "Dreck" um sich geworfen zu haben.
Enttäuscht sei auch ein Teil der Sozialdemokraten, so Ülker Radziwill von der Berliner SPD und Co-Bundesvorsitzende des "Forums Demokratische Linke 21". Ihr Ziel: linke Kräfte in der SPD bündeln. In Berlin hätte sie sich gewünscht, dass die rot-grüne Zusammenarbeit hält. Doch: "Ich stelle immer wieder fest, dass man sich deutlich entfremdet. Und diese Entfremdung ist definitiv nicht sinnvoll."
Ein Rosenkrieg in Berlin, der auch zeigt, wie das Verhältnis auf Bundesebene bröckelt. Die Grüne Jugend hat eine klare Erwartungshaltung an die SPD auf Bundesebene, sagt Sprecher Timon Dzienus: "Ich glaube, man kann wieder zusammenkommen, wenn die SPD aufhört nur am Seitenrand zu stehen (...), sondern indem sich die SPD endlich mal wieder positioniert gerade beim Klimaschutz, Kindergrundsicherung und bei der Verkehrswende."
Dauerbrenner: Verkehrs- und Energiepolitik
Der relevanteste Streitpunkt in der Koalition ist für Politikwissenschaftlerin Römmele ein Grundkonflikt zwischen FDP und Grünen: "Verkehr versus Klima - die Verkehrsprojekte von Volker Wissing müssen mit den Klimaanforderungen eines Robert Habeck in Einklang gebracht werden." Die FDP versuche, ihr Profil neu zu schärfen. Nach den schlechten Ergebnissen der letzten Landtagswahlen würden die Liberalen um die "parlamentarische Existenz bangen", wenn sich die Abwärtsspirale bei den Landtagswahlen in Bremen, Hessen und Bayern in diesem Jahr fortsetzen sollte.
Bei der Profilierung fokussieren sich die Liberalen auf das deutsche Lieblingskind: das Auto. Die FDP setzt sich auf EU-Ebene für eine Ausnahme für sogenannte E-Fuels ein, während die grüne Bundesumweltministerin Steffi Lemke das geplante Verbot für neue Autos mit Verbrennungsmotor ab 2035 unterstützt. Zudem möchte die FDP mit Verweis auf die Verkehrsprognosen Straßen schneller ausbauen, während die Grünen mehr Anstrengung im Verkehrssektor fordern, um die Klimaziele zu erreichen.
Konflikt zwischen Klimaschutz und Freiheit
Das Auto als Sinnbild eines Dauerkonflikts der Koalitionspartner. Das sei besonders schwierig zu lösen, schätzt Politikwissenschaftler Souris: "FDP und Grüne haben entgegengesetzte politische Positionen, die sich auf die Grundsätze der Parteien besinnen. Die FDP verbindet das Auto mit individueller Freiheit, die Grünen sehen im Auto eher ein Hindernis für die Mobilitätswende. So entsteht eigentlich ein Konflikt zwischen Klimaschutz und Freiheit. Das erschwert Kompromisslösungen zwischen den Koalitionspartnern."
Außerdem stellt sich die FDP quer bei den Plänen von Wirtschaftsminister Habeck zu einem möglichen vorgezogenen Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen. Politische Beobachter sind gespannt, ob Scholz in Meseberg bei diesen Streitthemen als Vermittler auftritt, um die Koalition zusammenzuhalten.
Die Debatte um den Haushalt
Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner sind zudem aneinandergeraten, als es um den Bundeshaushalt 2024 ging. Die FDP hält an der Schuldenbremse fest, während die Grünen offenbar besorgt sind, dass für ihre Projekte nicht mehr genug Bundesmittel zur Verfügung stehen könnten. Ein Beispiel: der Streit um die Kindergrundsicherung.
Mehr Geld möchte auch der Bundesverteidigungsminister von der SPD, um die Bundeswehr zu modernisieren. Wünsche, um die Lindner gemeinsam mit seinen Koalitionspartnern ringen muss. Mitte März beginnen die Haushaltsberatungen. Es bleibt also noch ein wenig Zeit, um die Wogen in der Koalition zu glätten.
"Ich gehe davon aus, dass man versuchen wird, anhaltende Streitigkeiten in Meseberg zu lösen, um als Regierung wieder ein einheitliches Bild abzugeben", sagt Politikwissenschaftler Souris. Ihn stimmt optimistisch, dass die Koalition trotz der rhetorischen Störfeuer in der Vergangenheit auch pragmatische Wege gefunden habe zusammenzuarbeiten. Auch wenn der Beziehungsstatus der Koalition im Moment auf "es ist kompliziert" steht, eine Scheidung ist längst nicht in Sicht.
Mehr dazu im "Bericht aus Berlin" um 18 Uhr im Ersten.