Corona-Lockerungen Bund überlässt Ländern die Verantwortung
Der Bund will den Ländern weitgehend freie Hand für die Corona-Maßnahmen geben - allerdings mit Rückfall-Klausel. Zuvor waren mehrere Länder mit eigenen Plänen vorgeprescht - zum Unmut anderer Ministerpräsidenten.
Der Bund will den Ländern weitgehend freie Hand für die Corona-Maßnahmen geben - allerdings mit Rückfall-Klausel. Zuvor waren mehrere Länder mit eigenen Plänen vorgeprescht - zum Unmut anderer Ministerpräsidenten.
Etliche Bundesländer waren bereits vorgeprescht, dabei sollte erst heute im Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel über weitere Lockerungen der Corona-Maßnahmen beraten werden. Aus einer Beschlussvorlage für die Gespräche geht nun hervor, dass der Bund die Verantwortung für weitere Lockerungen der Corona-Beschränkungen weitgehend den Ländern überlassen will. Er besteht aber auf einer Obergrenze von Neuinfektionen, ab der wieder härtere Beschränkungen greifen müssen.
"Zweiter großer Öffnungsschritt"
Die Länder sollten demnach sicherstellen, dass in Landkreisen oder kreisfreien Städten mit mehr als 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern innerhalb der vergangenen sieben Tage sofort wieder ein konsequentes Beschränkungskonzept umgesetzt werde. Gerade wenn weitreichende Öffnungen erfolgt seien, steige die Gefahr einer dynamischen Entwicklung. "Ab einer gewissen Relevanz muss auf eine regionale Dynamik mit hohen Neuinfektionszahlen und schnellem Anstieg der Infektionsrate sofort vor Ort mit Beschränkungen reagiert werden", heißt es in der Vorlage.
Besonders sensibel seien Lockerungen bei den Schulöffnungen, in der Gastronomie und bei den Hotels. Denn dann komme es wieder zu Reisen in Deutschland, und die Gefahr von neuen Infektionsgeschehen nehme zu, so die Kanzlerin.
In der Vorlage ist von einem "zweiten großen Öffnungsschritt" nach den Corona-Lockerungen vom 20. April die Rede. Seit damals sei "die Zahl der Neuinfektionen niedrig geblieben", schreibt der Bund. "Stand heute ist keine erneut einsetzende Infektionsdynamik erkennbar." Deshalb seien nun weitere Lockerungen möglich - wobei der Mindestabstand von 1,50 Metern beim Aufenthalt in der Öffentlichkeit "noch für lange Zeit" gelten werde.
"Föderalismus bietet uns eine Chance"
Mit seinem Konzept legt der Bund mehr Verantwortung in die Hände von Ländern und Landkreisen. In den vergangenen Tagen waren viele Landesregierungen mit eigenen Lockerungsbeschlüssen vorgeprescht. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer befürwortete das regionale Vorgehen bei den Lockerungen. Deutschland sei "sehr gut durch diese Krise gekommen. Wir haben einen Flächenbrand gemeinsam ausgetreten", sagt der CDU-Politiker im ZDF. Jetzt habe man aber eine neue Situation. Die Ansteckungswahrscheinlichkeit sei deutlich geringer geworden. Jetzt müssten der Einzelne wieder mehr in die Verantwortung genommen und regionale Gegebenheiten stärker berücksichtigt werden.
Ähnlich äußerte sich Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow. "Der Föderalismus bietet uns eine Chance - nämlich die Chance, dass wir unterschiedliche Wege gehen können", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. In der "Süddeutschen Zeitung" rief er zugleich zu Besonnenheit auf. "Die Entwicklung der Pandemie ist regional sehr unterschiedlich, auch in den Bundesländern selbst. Entscheidungen, die im Landesinneren funktionieren, führen an den Ländergrenzen zu Problemen." Man müsse gemeinsam die "Generallinie" halten - "und die lautet noch immer: Zurückhaltung".
"Flickenteppich schafft Verwirrung"
Doch es gibt auch Kritik am uneinheitlichen Vorgehen. In den vergangenen Tagen hatten mehrere Ministerpräsidenten Lockerungen angekündigt, die über die zuvor ausgehandelten Vereinbarungen von Bund und Ländern hinausgingen. So erklärten gestern etwa Mecklenburg-Vorpommern und Bayern, Gaststätten und Hotels noch im Laufe des Monats öffnen zu wollen.
"Ein zusammenhangloser Flickenteppich schafft Verwirrung", warnte Gesundheitsminister Jens Spahn im ZDF-"Morgenmagazin". Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann mahnte zu Geschlossenheit. "Ich bin ein absoluter Anhänger eines bundesweit abgestimmten Vorgehens, nur das schafft Klarheit und Vertrauen bei den Bürgern", sagte er. "Zusammen kann man nicht bleiben, wenn jeder schon vorher beschlossen hat, was er macht." Er sehe es kritisch, wenn einzelne Länder vorpreschten.
Profifußball soll noch im Mai loslegen können
In der Vorlage für das heutige Treffen wird nun auch auf den deutschen Profifußball eingegangen. Hier will der Bund die Wiederaufnahme des seit Mitte März ausgesetzten Spielbetriebes in der 1. und 2. Bundesliga erlauben. "Dem Beginn des Spielbetriebs muss eine zweiwöchige Quarantänemaßnahme, gegebenenfalls in Form eines Trainingslagers, vorweggehen", heißt es in der Beschlussvorlage. Als voraussichtlicher Termin für den Beginn der Geisterspiele ohne Zuschauer gilt der 15. oder der 21. Mai - ein genauer Termin ist in der Beschlussvorlage offen gelassen.
Der Bund will zudem den Sport- und Trainingsbetrieb im Breiten- und Freizeitsport in Deutschland unter freiem Himmel unter Bedingungen wieder erlauben.
Konzept für Schulen und Kitas
Ein weiteres Thema der Beratungen sind Lockerungen der Auflagen für Schulen und Kitas. Allen Schülern soll schrittweise unter Auflagen bis zu den Sommerferien eine Rückkehr an die Schulen ermöglicht werden. Schüler mit besonderem Unterstützungsbedarf etwa wegen der häuslichen Situation oder der technischen Ausstattung sollten "möglichst umgehend gezielte pädagogische Präsenzangebote an den Schulen erhalten."
Um die schwierige Situation von Familien mit Kindern zu erleichtern, kann zudem vom 11. Mai an eine erweiterte Notbetreuung in allen Bundesländern eingeführt werden. Dazu gehören vordringlich unter anderem Kinder mit besonderem pädagogischen oder Sprachförderbedarf, Kinder die in beengten Wohnverhältnissen leben - etwa wenn ein eigenes Kinderzimmer fehlt - sowie Kinder, die am Übergang zur Vorschule oder Schule stehen. Die Einzelheiten sollen die Länder regeln.
FDP-Chef sieht "Kehrtwende"
FDP-Chef Christian Linder sprach im ZDF-"Morgenmagazin mit Blick auf die Beschlussvorlage von einer "Kehrtwende" der Regierung. Diese erfolgt seiner Meinung nach aber zu spät: Er hätte sich eine solche Politik bereit "vor 14 Tagen" gewünscht, sagte Lindner. Merkel habe durch ihr zögerliches Vorgehen zunächst "die Ausfahrt verpasst", weshalb verschiedene Bundesländer dann jeweils alleine Öffnungsschritte beschlossen hätten. Als "absolut richtig" bezeichnete Lindner aber die geplante Regionalisierung der Corona-Bekämpfung.