Polizeiskandal in Hessen "Dinge werden unterm Radar gehalten"
Werden in Hessen Ermittlungen gegen mutmaßlich Rechtsextreme in den eigenen Reihen vertuscht? "Denkbar", sagt der Polizist Oliver von Dobrowolski. Im tagesschau.de-Interview spricht er über Korpsgeist, rechte Netzwerke und Abschottung.
tagesschau.de: In Hessen häufen sich Fälle von Datenabfragen von Polizeirechnern, die in Zusammenhang mit rechtsextremistischen Drohschreiben stehen könnten. Warum laufen die Ermittlungen so schleppend?
Oliver von Dobrowolski: Wir haben hier ja zunächst mal einen mittelbaren Zusammenhang. Es sind Drohungen bei verschiedenen Leuten eingegangen und dann hat man festgestellt, dass von Polizeirechnern auf deren Datensätze in den EDV-Melderegistern zugegriffen wurde. Eigentlich lässt sich leicht klären, wer das gemacht hat und ob es eine Rechtsgrundlage dafür gab.
Jetzt haben wir allerdings den Fall, dass ein beteiligter Polizeikollege lediglich als Zeuge und nicht als Beschuldigter im Verfahren geführt wird. Hier redet sich offenbar jemand raus, indem er sagt, das ist zwar von meinem Account passiert, aber ich war es nicht. Das ist schon ein wenig fragwürdig.
Oliver von Dobrowolski ist Vorsitzender der Berufsvereinigung "PolizeiGrün", die sich als linksliberal und antirassistisch versteht. Außerdem ist er Kriminalhauptkommissar bei der Polizei Berlin.
"Die Ausrede ist etwas schwach"
tagesschau.de: Ist es denn vorstellbar? Wie genau könnte ein solcher Missbrauch überhaupt passieren?
Von Dobrowolski: Ich kann es schwer nachvollziehen, denn eigentlich werden Polizisten sehr stark sensibilisiert für das Thema Datenschutz und unrechtmäßige Abfrage von Daten, wenn auch die Regeln dazu in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich sind.
Eigentlich gibt es nur zwei Möglichkeiten: Man loggt sich ja mit einem Ausweis oder einer Kennung ein und braucht dann noch ein Passwort. Entweder hat sich also jemand missbräuchlich mit diesen Anmeldedaten eingeloggt. Oder die Person, die jetzt als Zeuge geführt wird, war eingeloggt, hat dann aber den Raum verlassen und den Rechner nicht gesperrt.
So oder so ist die Ausrede etwas schwach. Wenn Internetkriminelle erwischt werden, fruchtet die Ausrede ja auch nicht, dass sich da jemand ins W-Lan gehackt hat. Da greift die Sorgfaltspflicht jedes Einzelnen.
"Es gibt ein Bemühen, Dinge unter dem Radar zu halten"
tagesschau.de: Halten Sie es für möglich, dass Einzelne oder Teile der Polizei versuchen, die Aufklärung zu verhindern?
Von Dobrowolski: Ja, das halte ich für möglich. Gehen wir mal davon aus, dass die Täterin oder der Täter aus der Polizei kommt, und das ist ja momentan der wahrscheinlichere Fall. Dann ist das erstmal ein normaler Reflex, sich herauszureden.
Aber, wenn so jemand als Beschuldigter geführt würde, hätte der Rechtsstaat ganz andere Mittel, um Beweise zu erheben - oder auch um jemanden zu entlasten. Den Verdacht, dass hier nicht richtig aufgeklärt werden soll, verstehe ich. Ob dann Polizisten selbst solche Drohschreiben verfassen oder die Daten an Dritte weitergeben, steht auf einem anderen Blatt.
tagesschau.de: Polizeipräsident Udo Münch ist bereits zurückgetreten, weil er Informationen über die Vorgänge nicht weitergegeben hat. Deutet das auf ein strukturelles Vertuschen?
Von Dobrowolski: Es ist ein grundsätzliches Problem, nicht nur in Hessen, sondern bei der deutschen Polizei überhaupt, dass es keine externen und unabhängigen Beschwerdeinstrumente gibt. Interne Stellen bemühen sich in der Regel, Dinge erstmal unter dem Radar zu halten, einfach, um das Prestige der Polizei und das Vertrauen der Bevölkerung nicht zu beschädigen.
Vielleicht war das auch hier der Fall, was natürlich fatal wäre. Da hat man auf die falsche Karte gesetzt und das kommt jetzt wie ein Bumerang zurück.
"Das zieht sich quer durch die Republik"
tagesschau.de: Hat die Polizei Hessen hier ein spezielles Problem oder ist es Zufall, dass sich diese Vorkommnisse gerade dort häufen?
Von Dobrowolski: Es ist schon auffällig und frappierend, dass Hessen jetzt so betroffen ist, nachdem es hier ja schon vorher andere Vorfälle gab: auffällig gewordene Chatgruppen, die Polizeistation in Schlüchtern, wo am Holocaust-Gedenktag Fahnen verkehrtherum gehisst wurden. Und der NSU 2.0 ist ja auch kein neues Phänomen.
Andererseits haben wir auch in anderen Landespolizeien, in Berlin, in Baden-Württemberg oder in Schleswig-Holstein solche Fälle. Man denke nur an die Verwicklung von Polizisten in die "Nordkreuz"-Preppergruppe. Das zieht sich quer durch die gesamte Republik.
Und es ist auch bezeichnend, dass diese Fälle meist nicht durch eigene Ermittlungen oder Geheimdienste an die Öffentlichkeit geraten, sondern durch Investigativjournalisten. Die Mittel, die Journalisten haben, hätten die Sicherheitsbehörden ja erst recht. Das lässt durchaus den Schluss zu, dass die Sicherheitsbehörden nicht wirklich daran interessiert sind, solche Umtriebe in den eigenen Reihen aufzuklären.
"Solche Vorfälle häufen sich in den vergangenen Jahren"
tagesschau.de: Sind rechte Netzwerke in der Polizei verbreitet?
Von Dobrowolski: Ab wann man von Netzwerken sprechen kann, ist strittig. Es gibt viele Chatgruppen von Polizistinnen und Polizisten, die sich austauschen über Dienstpläne oder ähnliches. Und die werden natürlich auch verwendet, um Dinge ohne dienstlichen Bezug auszutauschen. Einen solchen Zusammenschluss könnte man schon als Netzwerk bezeichnen.
Die Frage ist nur, inwieweit gibt es rein polizeiliche Netzwerke, ähnlich wie bei "Nordkreuz", wo Polizisten in Chatgruppen eben nicht den nächsten Spätdienst planen, sondern ein Bild von einem Hakenkreuz verschicken oder darüber sprechen, dass die Feindeslisten mal wieder ein Update brauchen.
Ich kann das nicht sagen, ich weiß es schlicht nicht. Aber es ist zu befürchten, dass es das gibt, weil sich die Vorfälle mit solchen rechtsextremen Chatnachrichten doch sehr häufen in den vergangenen Jahren.
"Vorwürfe werden grundsätzlich abgewehrt"
tagesschau.de: Gibt es einen Korpsgeist unter Polizisten, durch den solche Dinge gedeckt werden?
Von Dobrowolski: Das ist durchaus ein Thema. Viele Menschen, die zur Polizei gehen, haben einen Traum, eine Motivation. Sie wollen Menschen helfen, hört man häufig. Die Polizei ist ja eine Institution für die Menschen. Doch von diesem Ideal entfernen sich immer mehr Kollegen.
Ich habe den Eindruck, dass die Polizei oftmals stark mit sich selbst beschäftigt ist. Dass es darum geht, die eigenen Fleischtöpfe zu sichern, die Personalausstattung, die Besoldung. Und da werden Vorwürfe, sei es Polizeigewalt oder irgendein Fehlverhalten, grundsätzlich abgewehrt. Man begibt sich gern in eine Opferrolle und das führt zu Zusammenhalt.
Viele Polizistinnen und Polizisten verstehen sich als Familie. Und diese Blase, die da entsteht, reagiert sehr empfindlich auf Kritik jeder Art. Je schwerer die Vorwürfe, desto stärker die Abschottung. Eine unabhängige und transparente Ermittlung von außen wird nicht befürwortet, stattdessen hört man immer wieder das Schlagwort "Generalverdacht" und dass Polizisten zu "Freiwild" würden.
"Ratte, Nestbeschmutzer, Kollegenschwein"
tagesschau.de: Sie äußern sich immer wieder öffentlich kritisch gegenüber dem eigenen Berufsstand. Welche Anfeindungen erleben Sie?
Von Dobrowolski: Man hat wirklich große Akzeptanzprobleme, wenn man den Rücken durchdrückt und sagt: Hier gehe ich nicht mehr mit, das ist diskriminierend. Oder wenn Dinge getan werden, die Polizisten einfach nicht dürfen. Dann hat man schnell einen Stempel weg. Ich persönlich werde fast täglich als Ratte, Nestbeschmutzer, Kollegenschwein beschimpft. Mir wurde auch schon gesagt, ich soll mich doch bitte mit meiner Dienstwaffe erschießen. Das ist hart.
Aber in meinem Fall kommt das zu 95 Prozent von Kolleginnen und Kollegen, die mich nicht persönlich kennen und mich in sozialen Netzwerken aus der Anonymität heraus beschimpfen. Im direkten Kollegenkreis erlebe ich auch viel Zuspruch.
Das Interview führte Sandra Stalinski, tagesschau.de.