Streit über Zurückweisungen Was will die Ampel? Was will die Union?
Die irreguläre Migration soll stärker begrenzt werden - zumindest darin sind sich Regierung und Opposition weitgehend einig. Wie ist derzeit die Lage an den Grenzen? Was hat die Ampel vor, was die Union? Ein Überblick.
Viele Kommunen fühlen sich bei der Integration von Geflüchteten alleingelassen und überlastet. Es geht um das Bereitstellen von Wohnraum, von Schul- und Kitaplätzen. Zudem hat sich die Debatte über irreguläre Migration nach Gewalttaten wie dem terroristischen Messerangriff in Solingen zuletzt verschärft.
Angesichts dieser Gemengelage will die Ampelkoalition auf noch mehr Grenzkontrollen setzen. Außerdem hat Bundesinnenministerin Faeser einen Vorschlag für beschleunigte Rücküberstellungen von Asylsuchenden in andere EU-Länder vorgestellt. Am Donnerstag soll über ein sogenanntes Sicherheitspaket im Bundestag erstmalig beraten werden.
Wie ist die Lage an den deutschen Grenzen aktuell?
Im Schengen-Raum der Europäischen Union (EU) sind feste Grenzkontrollen eigentlich nicht vorgesehen. Dennoch hat Faeser 2015 begonnene Kontrollen an der Grenze zu Österreich mehrfach verlängert. Temporäre Kontrollen wurden Mitte Oktober 2023 auch für die Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz angeordnet.
Von Montag an soll es nun auch an den restlichen Grenzabschnitten feste Kontrollen geben. Das betrifft die Landgrenzen zu Frankreich, Dänemark, Belgien, den Niederlanden und Luxemburg.
Was haben diese Kontrollen bislang gebracht?
Die Zahl der Asylbewerber in Deutschland ist zuletzt zurückgegangen. In den ersten acht Monaten dieses Jahres stellten 160.140 Menschen erstmalig einen Asylantrag. Das sind 21,7 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Manche Experten führen diesen Rückgang unter anderem auf die zusätzlichen Grenzkontrollen zurück - auch, weil für Schleuser mit den Kontrollen das Risiko steigt, entdeckt und strafrechtlich verfolgt zu werden.
Dazu besteht bei Kontrollen an den Grenzen die Möglichkeit, Menschen direkt zurückzuweisen. Das passiert derzeit aber nur, wenn gegen eine Person eine Einreisesperre verhängt wurde oder wenn jemand kein Asylgesuch vorbringt. Im ersten Halbjahr wies die Bundespolizei 21.661 Menschen an den Grenzen zurück - im Vergleich zum Vorjahreszeitraum war dies ein Anstieg um 72 Prozent.
Was schlägt die Ampelkoalition vor?
Der Plan der Ampelkoalition sieht vor, in grenznahen Einrichtungen ein beschleunigtes Dublin-Verfahren durchzuführen. In diesem Verfahren wird geprüft, ob Deutschland für den Asylantrag eines Geflüchteten überhaupt zuständig ist. Denn in der EU ist der Mitgliedsstaat für einen Asylantrag zuständig, in dem ein Flüchtling zuerst europäischen Boden betreten hat. Die Koalition will mit dem beschleunigten Verfahren die rechtlich gebotene Prüfung ermöglichen und gleichzeitig möglichst schnell Asylsuchende in den zuständigen EU-Staat zurückschicken.
Dafür sollen die Bundesländer in Grenznähe Abschiebehaft-Plätze zur Verfügung stellen und Verwaltungsrichter ständig erreichbar sein. Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) sollen sich um eine rasche Bearbeitung der Verfahren kümmern. Außerdem bietet Innenministerin Faeser an, dass Bundespolizisten die komplette Rückführung übernehmen.
Laut einem Sprecher des Bundesinnenministeriums sind für die Pläne voraussichtlich keine Gesetzesänderungen notwendig. Es gehe vor allem um die Durchsetzung geltenden europäischen Rechts.
Wie erfolgversprechend sind die Pläne?
Die Maßnahmen der Ampelkoalition könnten dazu führen, dass Fristen seltener versäumt werden. Dadurch würden womöglich mehr Menschen in das EU-Land zurückkehren, das für ihr Asylverfahren zuständig ist.
Für solche Rücküberstellungen bräuchte es allerdings nach wie vor die Kooperation der betroffenen EU-Staaten. Und hier liegt ein großes Problem. Denn an der mangelnden Bereitschaft von Staaten wie Italien würde das neue Verfahren in Deutschland nichts ändern.
Wie steht die Union zu den Plänen?
CDU und CSU fordern pauschale Zurückweisungen von Flüchtlingen an den deutschen Grenzen, wenn ein anderer EU-Staat für das Asylverfahren zuständig ist.
Die Unionsfraktion ist der Meinung, dass auch Menschen, die Asyl beantragen wollen, direkt an der Grenze zurückgewiesen werden können. Sie beruft sich dabei vor allem auf Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU. Darin wird den Mitgliedsstaaten die Zuständigkeit "für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der inneren Sicherheit" zugesichert.
Die Bundesregierung verweist hingegen auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Demnach konnte sich bisher noch kein Mitgliedsstaat erfolgreich auf die Notklausel berufen.
Bundeskanzler Olaf Scholz kündigte an, das entwickelte Modell auch ohne Unterstützung der Union umsetzen zu wollen. Die Regierung habe ein Konzept für effektive Zurückweisungen auf den Tisch gelegt und werde es auch umsetzen, "selbst wenn Sie nicht mitmachen", sagte er an CDU und CSU gerichtet.
Wie reagieren Deutschlands Nachbarländer auf die Debatte?
Polen und Österreich haben scharfe Kritik an den deutschen Plänen geäußert. Ausgeschlossen sei in jedem Fall, dass Österreich Personen zurücknimmt, die in Deutschland abgewiesen wurden, sagte der österreichische Innenminister Gerhard Karner.
Der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Alexander Throm, erklärte, die Union setze diesbezüglich auf einen "Dominoeffekt". Man rechnet offenbar damit, dass mittelfristig weniger Asylsuchende kommen, wenn mehr EU-Staaten zurückweisen. Es gehe darum, "dass nämlich die anderen EU-Länder ihrerseits ihre Grenzen schützen und Flüchtlinge nicht einfach nach Deutschland weiterreisen lassen", sagte der CDU-Politiker.
Welche Probleme könnte es sonst geben?
Der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP) für den Bereich Bundespolizei und Zoll, Andreas Roßkopf, hält das Personal und die Ausstattung der Bundespolizei für nicht ausreichend für Kontrollen an allen deutschen Grenzen, die nötig sind, um die Menschen in die Verfahren zu bringen. "Deutschlands Grenze ist angesichts ihrer Länge nicht lückenlos zu überwachen", sagte Roßkopf der Frankfurter Rundschau.
Außerdem sollen sich die Grenzbeamten bei den Verfahren ganz erheblich auf die europäische Fingerabdruckdatei EURODAC stützen. In ihr sollen Flüchtlinge schon an der EU-Außengrenze registriert werden. Das geschieht bislang aber nur in einem geringen Prozentsatz der Fälle.