Debatte über von der Leyen Söder wirft SPD "unmöglichen Stil" vor
Kurz vor der Abstimmung über von der Leyen machen ihre Befürworter noch einmal mobil. CSU-Chef Söder kritisiert die Haltung des Koalitionspartners - und auch ehemalige SPD-Spitzenpolitiker unterstützen die Kandidatin.
Am Dienstag stimmt das EU-Parlament über Ursula von der Leyen als mögliche künftige EU-Kommissionspräsidentin ab. Kurz vor der Entscheidung warben ihre Befürworter noch einmal um Unterstützung für die Kandidatin. CSU-Chef Markus Söder kritisierte in der Frage auch die ablehnende Haltung der SPD. Es könne nicht sein, dass SPD-Mitglieder im Europaparlament mit Pamphleten gegen sie arbeiteten - "das ist ein unmöglicher Stil", sagte er im ZDF-Sommerinterview. "Die SPD kommt mir manchmal vor wie eine Partei, die jede Ausfahrt verpasst und immer weiter auf eine Wand zufährt."
Wie die CSU müsse auch die SPD bei der Wahl parteitaktische Fragen zurückstellen und im Sinne Europas handeln, forderte Söder. "Deutschland hat das erste Mal die Chance, diese Position einzunehmen." Er betonte, dass er sehr hoffe, dass von der Leyen die notwendigen Stimmen erhalte. "Das ist das ganze Ziel. Ich hoffe sehr, dass die SPD noch wirklich zur Besinnung kommt", sagte er. Andernfalls würde sich Europa weltweit lächerlich machen und auf "drei, vier Monate ohne jede Lösung" zusteuern.
Auch der CDU-Europaabgeordnete David McAllister appellierte an die Parteien, von der Leyen zu wählen. Sollte sie durchfallen, würde die EU handlungsunfähig, warnte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses. "Es würde Wochen dauern, um sich auf einen neuen Kandidaten zu einigen", sagte er dem NDR. "Wir brauchen gerade in diesen politisch besonders anstrengenden Zeiten eine handlungsfähige Spitze. Deshalb brauchen wir eine Präsidentin, die am Dienstag gewählt wird."
Am Dienstag könnte die derzeitige Bundesverteidigungsministerin von der Leyen zur neuen EU-Kommissionschefin gewählt werden - doch eine Mehrheit für sie ist noch unsicher.
Ehemalige SPD-Spitzenpolitiker für von der Leyen
Auch wenn McAllister von guten Chancen für von der Leyen sprach - noch scheint alles offen. Die Kandidatin braucht 374 Stimmen von den aktuell 747 Mandatsträgern. Eine Zusage hat sie von ihrer Parteienfamilie, der Europäischen Volkspartei mit 182 Mandaten. Da Grüne und Linke bereits abgesagt haben, braucht sie für eine stabile proeuropäische Mehrheit einen Gutteil der Stimmen der 108 Liberalen und der 153 Sozialdemokraten. Die Spitzen beider Fraktionen wollen sich erst am Dienstag entscheiden.
Die 16 SPD-Europaabgeordneten haben sich bereits auf ein Nein festgelegt und machen in der eigenen Fraktion Stimmung gegen von der Leyen. Ehemalige Spitzenpolitiker der deutschen Sozialdemokraten stärkten der Verteidigungsministerin dagegen demonstrativ den Rücken. "Sie kann eine gute Kommissionspräsidentin werden, das steht völlig außer Frage", sagte etwa der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel der "Bild am Sonntag".
Der frühere Bundesinnenminister Otto Schily nannte von der Leyen "eine hochkompetente, intelligente, welterfahrene Politikerin, die wirklich alle Qualitäten mitbringt, die für eine Kommissionspräsidentin entscheidend sind". Die SPD solle an die Stabilität Europas denken und sich "nicht an engstirnigen parteipolitischen Interessen orientieren", forderte er in der "Welt am Sonntag". Für den Fall, dass das Personaltableau des Europäischen Rates scheitern sollte, sagte der 86-Jährige: "Ich scheue das Wort Katastrophe. Aber es wäre ein sehr beklagenswertes Debakel."
Asselborn fordert Einsatz für Rechtsstaatlichkeit
Stützen könnten von der Leyen Stimmen aus der rechtskonservativen Fraktion EKR oder der rechtspopulistischen ID, der neben der AfD unter anderen die italienische Lega und die Partei der französischen Nationalistin Marine le Pen angehören. Beide Fraktionen sind EU-kritisch und wollen mehr Einfluss für die Nationalstaaten.
Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn forderte die CDU-Politikerin auf, sich entschieden für die Rechtsstaatlichkeit in Ungarn und Polen einzusetzen. In den beiden Ländern werde sie vor allem als siebenfache Mutter gefeiert, sagte er der "Süddeutschen Zeitung". "Sie muss sich nun ohne Verrenkungen für die Unverhandelbarkeit des Rechtsstaates und für das Prinzip der Solidarität aussprechen." Gegen Polen und Ungarn laufen Sanktionsverfahren wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit.
Neuer Vorschlag binnen eines Monats
Sollte von der Leyen wirklich durchfallen, müsste der Europäische Rat binnen eines Monats einen neuen Vorschlag machen. Noch bis 31. Oktober ist regulär der Luxemburger Jean-Claude Juncker Präsident der EU-Kommission. Es bleibt also noch etwas Zeit, notfalls auch für eine Verschiebung der Abstimmung über von der Leyen.
Der SPD-Europapolitiker Udo Bullmann sagte in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", auch eine Nichtwahl von der Leyens werde zu keiner Staatskrise führen. Als Alternativen zu von der Leyen nannte er abermals den Sozialdemokraten Frans Timmermans, aber auch den EVP-Politiker Michel Barnier - den französischen Brexit-Unterhändler - sowie die bulgarische Weltbankmanagerin Kristalina Georgiewa, die ebenfalls zu den Christdemokraten gehört.