Kommunalwahlen Bündnisse sollen Erfolg von AfD-Kandidaten verhindern
Für viele Parteien ist ein AfD-Landrat eine Schreckensvorstellung. Mancherorts setzt man deshalb auf gemeinsame Kandidaten, Experten warnen allerdings vor einem Abnutzungseffekt.
Sina Martin macht sich Sorgen und das liegt an der Landratswahl in ihrer Heimat Sonneberg. Gemeinsam mit ihrem Vater betreibt sie hier in Thüringen ein Geschäft für Teddybären - schon in der fünften Generation. Eigentlich will sie viel lieber über die große Spielwaren-Tradition der Stadt sprechen als über Politik.
"Die Stimmung ist aktuell gerade sehr aufgeregt", sagt sie. "Ich hoffe, dass das wieder abflacht und dass das keine Spaltung der Gesellschaft ist, sondern dass wir uns darauf besinnen, dass wir zusammenhalten müssen."
Stichwahl in Sonneberg
Heute steht in ihrem Landkreis die Stichwahl an: CDU-Kandidat Jürgen Köpper und AfD-Bewerber Robert Sesselmann kämpfen um das kommunale Spitzenamt des Landrates. Im ersten Wahlgang hatte Sesselmann 46,7 Prozent erreicht, Köpper 35,7 Prozent. SPD, Linke, Grüne und FDP haben nun dazu aufgerufen, Köpper bei der Stichwahl zu unterstützen. Sie wollen Sesselmann verhindern.
Es wäre das erste Mal, dass ein AfD-Politiker ein solches Amt bekleidet. Und das ausgerechnet in Thüringen, wo der Verfassungsschutz die AfD und deren Landes-Chef Björn Höcke schon länger als gesichert rechtsextrem einstuft. Deswegen ist die Stimmung "sehr aufgeregt", wie Sina Martin berichtet. Die Wahl bekommt bundesweit medial Aufmerksamkeit.
"Die waren bis jetzt zu bequem"
Ihre Nachbarin Margret Sturm ist weniger diplomatisch. Sie hat vor 23 Jahren das Brillengeschäft von ihren Eltern übernommen und sorgt sich um das Image der ganzen Region. "Wir müssen Blau verhindern. Blau hat immer Nazis im Schlepptau und da sind wir nicht bereit dafür", sagt sie und meint mit blau die AfD. Ohnehin denke nicht die ganz Bevölkerung so "braunlastig", es gebe noch "normale Leute", so drückt sich Sturm aus: "Aber man muss wirklich sagen, die waren bis jetzt zu bequem."
Breites Bündnis in Brandenburg
Zu bequem? Das wollen sich Politiker unterschiedlicher Parteien im brandenburgischen Landkreis Dahme-Spreewald nicht vorwerfen lassen. Auch hier wird im Oktober ein neuer Landrat gewählt, auch hier ist die AfD stark. Schon im Vorfeld haben sich nun viele Fraktionen auf einen gemeinsamen Kandidaten geeinigt, das haben sie dem Bericht aus Berlin vorab bestätigt - aus politischen Lagern, die unterschiedlicher kaum sein könnten: CDU, FDP, Linkspartei, Freie Wähler und die Kreistagsfraktion aus Unabhängigen Bürgerlisten (UBL) wollen den parteilosen Sven Herzberger unterstützen. Kommende Woche wollen sie das Bündnis der Öffentlichkeit vorstellen. Auch die Grünen würden noch überlegen, sich nach den Sommerferien anzuschließen, sagt Herzberger.
Er ist seit 2018 Bürgermeister in Zeuthen und will mit seiner breit unterstützten Kandidatur dafür sorgen, dass es neben dem AfD-Kandidaten und der Kandidatin der SPD, Susanne Rieckhof eine Wahl gibt - "aus der demokratischen Mitte der Gesellschaft", wie er es nennt.
Keine unproblematische Strategie
Dass ein Parteienbündnis von links bis rechts nicht erst in einer Stichwahl wie in Sonneberg einen gemeinsamen Kandidaten unterstützt und zu dessen Wahl aufruft, sondern schon vor dem ersten Wahlgang, sei keine ganz unproblematische Strategie, sagt die Politikwissenschaftlerin Julia Reichenbach. Sollten es nun alle paar Wochen bei jeder Kommunalwahl in Ost- aber auch in Westdeutschland so ablaufen, werde es mit der Akzeptanz dafür in der Bevölkerung schwierig.
Das zeigen auch die Daten des ARD-DeutschlandTrends: Bundesweit finden es 52 Prozent der Deutschen richtig, wenn sich die Parteien auf kommunaler Ebene gegen AfD-Kandidaten zusammentun. In mancher Altersgruppe haben gar die Gegner eines solchen Bündnisses die Mehrheit.
Warnung vor einem "Abnutzungseffekt"
Auch der Politikberater und Buchautor Johannes Hillje ist skeptisch, was diese Strategie betrifft. Dem Bericht aus Berlin sagte er mit Blick auf zukünftige Stichwahlen: "Wenn es immer wieder diese Konstellation 'Alle gegen die AfD' gibt, dann schwächt das natürlich den Wettbewerb unter den demokratischen Parteien."
Zudem, so warnt er, würde auf Dauer ein Abnutzungseffekt eintreten - auch eine Herausforderung für die Wählermobilisierung: "Es werden sich nicht mehr viele Wählerinnen und Wähler beim dritten oder vierten Mal mobilisieren lassen, wenn es wieder um die Verteidigung der Demokratie geht." Untersuchungen zeigten, dass die Wahlbeteiligung in Stichwahlen meist noch niedriger ist, als beim ersten Wahlgang.
Die Wahllokale in Sonneberg sind bis 18 Uhr geöffnet. Noch heute Abend soll klar sein, ob das thüringische Sonneberg neben einer großen Spielzeugtradition auch wegen dem Ausgang bei einer Landratswahl in die deutsche Geschichte eingeht.
Den Bericht aus Berlin sehen Sie ab 18:00 Uhr im Ersten. Darin wird auch nach Sonneberg geschaltet.