Migranten gehen über das Gelände der Zentralen Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber (ZABH) des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt.

Streit über Bezahlkarte für Asylsuchende "Was soll dieses Hin und Her?"

Stand: 19.02.2024 09:26 Uhr

Hannover, Hamburg und mehrere Landkreise haben die Bezahlkarte für Asylsuchende bereits eingeführt. Während die Länder an der Umsetzung arbeiten, streitet die Ampel weiter über die Frage, ob es ein neues Gesetz braucht.

Von Birthe Sönnichsen, ARD-Hauptstadtstudio

Bis tief in die Nacht hatten der Kanzler und die Ministerpräsidentinnen und -präsidenten im vergangenen November über einen neuen Kurs in der Asylpolitik verhandelt. Geeinigt haben sie sich auf schnellere Asylverfahren, mehr Abschiebungen und weniger Geld für Geflüchtete. Ein mehr als überzeugendes Ergebnis, fand zumindest Kanzler Olaf Scholz: "Ich glaube, dass das hier ein sehr historischer Moment ist." 

Zu dieser Einigung gehört auch, dass eine einheitliche Bezahlkarte eingeführt wird. Die Idee: Asylbewerberinnen und -bewerber sollen kein Bargeld mehr ausgezahlt bekommen, sondern mit einer Karte im Geschäft bezahlen. Nur einen kleinen Teil des Geldes können sie in bar abheben. Damit soll vermieden werden, dass sie Geld aus staatlicher Unterstützung in ihre Heimatländer schicken können.

In einigen Landkreisen gibt es längst Pilotprojekte, Hannover und Hamburg haben eine Bezahlkarte schon eingeführt. Und 14 der 16 Bundesländer haben sich inzwischen auf ein gemeinsames Verfahren geeinigt.

Grüne: "Das ist schlechtes Management"

Jetzt streitet die Ampelkoalition darüber, ob ein neues Bundesgesetz nötig ist, um es für die Länder leichter und günstiger zu machen, die Bezahlkarte einzuführen. Nein, sagt der Vize-Fraktionschef der Grünen, Andreas Audretsch dem ARD-Hauptstadtstudio. "Wir brauchen mehr Zuverlässigkeit im Kanzleramt, damit solche Prozesse nicht im Chaos enden." Audretsch meint, die Koalition und auch das Kanzleramt seien sich seit Monaten einig, dass die Länder auch ohne ein neues Gesetz die Bezahlkarten einführen können.

Tatsächlich hatte Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt im Oktober einen Brief an Audretsch geschrieben. Darin steht, dass keine gesetzliche Änderung notwendig sei. "Was dieses Hin und Her jetzt auf den letzten Metern soll, das verstehen wir nicht", sagt er. "Das ist vor allem auch eins: schlechtes Management." 

Die SPD ist wiederum verärgert über die Grünen. SPD-Innenpolitiker Sebastian Hartmann sagt, inzwischen habe sich die Lage verändert. Bund und Länder hätten einen Kompromiss gefunden und gemeinsam an Lösungen gearbeitet. Jetzt stehe die Ampel bei den Ländern in der Pflicht. Es seit jetzt "völlig egal", was in dem Schreiben vom Oktober stehe. "Es sind Punkte identifiziert worden, wo wir das Recht ändern müssen."

SPD: Grüne blockieren Gesetz

Dabei geht es unter anderem darum, die Kosten und den bürokratischen Aufwand für die Kommunen zu verringern. Genau dafür müsste das Gesetz angepasst werden, argumentiert Hartmann. Ein entsprechender Gesetzentwurf sei längst fertig. Aber dieser hänge beim grünen Wirtschaftsminister fest, sagte Hartmann im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio. "Mich als Bundestagsabgeordneten hat es noch gar nicht erreicht. Wir können es gar nicht beraten, obwohl es der Wunsch der Länder ist."

FDP-Chef Christian Lindner zeigte sich vom Widerstand der Grünen überrascht. Auch die FDP pocht auf eine Gesetzesänderung. Der Chef der Ministerpräsidentenkonferenz, Boris Rhein von der CDU, spricht sich ebenfalls dafür aus, das Gesetz zu ändern. Und fordert ein Machtwort des Kanzlers.

Wie wirksam ist die Bezahlkarte?

Während die Ampel diskutiert, gibt es weiter Zweifel daran, wie wirksam die Bezahlkarte überhaupt ist. Der Sozialverband Deutschland spricht von einer populistisch aufgeladenen Scheindebatte, die von den eigentlichen Problemen ablenkt.

Migrationsforscher Jochen Oltmer von der Uni Osnabrück sagt, es gebe bisher keinen Beleg dafür, dass durch eine Bezahlkarte weniger Menschen in Deutschland Asyl suchen. Und selbst wenn die Ampelkoalition sich auf ein neues Bundesgesetz einigt, glaubt der Migrationsforscher nicht, dass das zu einheitlichen Regeln führt: "Ganz ohne Zweifel bleibt es ein Flickenteppich, denn die Bundesländer können jeweils entscheiden auf welche Art und Weise sie die Karte nutzen. Und es wird auch so sein, dass in den Bundesländern die Kommunen noch eigene Regelungen schaffen."

Birthe Sönnichsen, ARD Berlin, tagesschau, 19.02.2024 06:35 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. Februar 2024 um 07:07 Uhr.