Islamwissenschaftlerin zu Anti-Terror-Gesetzen Weniger Aktionismus, mehr Kriterien
Der Bundestag debattiert über die geplante Verschärfung der Antiterror-Gesetze wegen der Bedrohung durch islamistische Extremisten. Der Islamwissenschaftlerin Lamya Kaddor bleibt das Vorhaben zu schwammig. Im Interview mit tagesschau.de erklärt sie, warum sie konkrete Kriterien fordert.
tagesschau.de: Die neuen gesetzlichen Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung haben das Ziel, Deutschland sicherer zu machen. Zum einen stünde dann bereits die Absicht unter Strafe, in ein Terrorcamp auszureisen. Zum anderen soll ein eigener Straftatbestand der Terrorfinanzierung geschaffen werden. Was halten Sie von diesen Maßnahmen?
Lamya Kaddor: Im Prinzip ist das alles nicht falsch. Allerdings bezweifle ich, dass eindeutige Kriterien festgelegt werden können. Woran will man zum Beispiel festmachen, in welcher Absicht jemand nach Syrien oder in den Irak ausreist?
Meine Eltern, meine Familie stammen aus solchen Grenzgebieten, in denen sich Terrorcamps befinden. Müsste ich also befürchten, festgehalten oder festgenommen zu werden, wenn ich meine Familie besuchen will? Ich warne davor, mit generellen Verdächtigungen zu hantieren.
Lamya Kaddor, Jahrgang 1978, ist islamische Religionspädagogin, Islamwissenschaftlerin und Autorin. Sie wurde als Tochter syrischer Einwanderer in Münster geboren.
Kaddor ist erste Vorsitzende des Liberal-Islamischen Bundes, der die liberale Auslegung des Islams vertritt. Gerade erschien ihr Buch "Zum Töten bereit. Warum deutsche Jugendliche in den Dschihad ziehen".
tagesschau.de: Der Union geht der Gesetzentwurf nicht weit genug. Sie fordert eine Vorratsdatenspeicherung und das Verbot von sogenannter Sympathiewerbung. Ist das der richtige Weg?
Kaddor: Religiöser Fanatismus wird sich nie vollständig verhindern lassen - da müssen wir einfach realistisch bleiben. Wer sich unbedingt nach Syrien absetzen will, den werden Sie nicht aufhalten können. Ich bezweifele, dass Vorratsdatenspeicherung an dieser Stelle effektiv eingreift. Vor allem halte ich den Preis für zu hoch.
Für das Verbot der Sympathiewerbung fehlen mir wiederum die Kriterien. Wenn einer meiner Schüler etwa aus Frust oder Wut heraus ausstößt, dass er das gut findet, was der "Islamische Staat" tut - ist das bereits eine Sympathiewerbung, ein Werben für den IS, und wäre das dann strafbar?
Ich finde, dass Politik der Öffentlichkeit auch in dieser Hinsicht eine Erklärung schuldig ist und sich nicht im Aktionismus verlieren darf.
Radikalisierung als gesellschaftliches Problem
tagesschau.de: Justizminister Heiko Maas will gewaltbereite Extremisten isolieren und die übrigen Muslime stärken. Können Sie eine solche Doppelstrategie erkennen?
Kaddor: Schwerlich. Wenn eine solche Strategie wirklich ernst gemeint wäre, müsste man sich zum Beispiel auch darum bemühen, Islamfeindlichkeit beziehungsweise Islamhass in Deutschland unter Strafe stellen.
Wer mich in E-Mails wüst beschimpft, weil ich Muslimin bin, kann unter Umständen wegen Beleidigung bestraft werden. Wenn man sich aber auf meine Religion konzentriert, und mich als Person dadurch trotzdem massiv verunglimpft, kann ich dem nichts entgegensetzen. Ich möchte auch geschützt werden: vor islamischen Fundamentalisten genauso wie vor Rassisten.
tagesschau.de: Was sind die Gründe dafür, dass sich junge Leute radikalisieren?
Kaddor: Die meisten suchen vor allen Dingen nach Anerkennung, Orientierung und Halt. Weder Elternhaus noch Schule haben offenbar diese Sehnsucht stillen können. Die Gesellschaft hat augenscheinlich noch nicht einmal gemerkt, dass ein solches Bedürfnis besteht.
Was ich aber festhalten will, ist, dass der Großteil der 750.000 muslimischen Jugendlichen sich völlig unproblematisch verhält. Das heißt, dass sich unser Augenmerk derzeit auf eine paar Hundert Jugendliche richtet, die keineswegs nach religiöser Wahrheit suchen.
Die meisten, die sich radikalen Kräften anschließen, interessieren sich nicht wirklich für Religion. Sie zeigen sich aber äußerst dankbar für jede Form von Aufmerksamkeit.
Islamische Seelsorger besser ausbilden
tagesschau.de: Wie kann der Gefahr einer Radikalisierung in den Gefängnissen begegnet werden?
Kaddor: Wir können zum Beispiel die Ausbildung islamischer Notfallseelsorger an akademische Institute anbinden. Dadurch wäre gewährleistet, dass qualifizierte und zertifizierte Kräfte in die Haftanstalten gehen. Zurzeit habe ich eher den Eindruck, dass die Auswahl recht beliebig ist, dass jeder kommen kann, der sich anbietet.
Leider ist auch das, wie so vieles, eine Frage des Geldes. Aber es ist auch eine Frage des institutionellen Willens, ob man die Notwendigkeit erkennt.
tagesschau.de: Welche besonderen Maßnahmen sind notwendig, um auf die steigende Zahl der zurückgekehrten Dschihadisten angemessen zu reagieren?
Kaddor: Es gilt, die Rückkehrer genau anzuschauen und zwar über die juristischen Konsequenzen hinaus. Sind das Gefährder? Sind das desillusionierte oder traumatisierte Menschen? Zu einer Resozialisierung gibt es keine Alternative. Sonst bleiben diese Menschen tickende Zeitbomben.
Notwendig sind also zeitaufwendige Deradikalisierungsprogramme sowie eine psychologische Begleitung. Solche Verfahren bieten aber auch eine unglaubliche Chance. Denn wenn ich als Religionspädagogin auf die Erfahrung eines Aussteigers zurückgreifen kann, kann das eine sehr effektive Begegnung im Hinblick auf künftige Präventionsmaßnahmen sein.
Das Interview führte Ute Welty, tagesschau.de
Schon bisher macht sich strafbar, wer sich in einem Terrorcamp im Ausland ausbilden lässt, um eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorzubereiten. Dieser Paragraf 89a im Strafgesetzbuch soll nun erweitert werden.
In Zukunft soll bereits die Reise oder der bloße Versuch einer Reise etwa nach Syrien oder in den Irak unter Strafe gestellt werden - vorausgesetzt, die Reise dient dem Ziel, terroristische Taten zu begehen oder vorzubereiten. Vorgesehen sind in diesen Fällen Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren, in minder schweren Fällen drei Monate bis fünf Jahre.
Geplant ist auch ein eigener Straftatbestand der Terrorismusfinanzierung, um die Geldquellen von Terrorgruppen trockenzulegen. Damit sollen mehr Fälle erfasst werden, auch solche mit geringeren Summen. Außerdem soll die Strafbarkeit auf das Vorbereitungsstadium ausgedehnt werden: Künftig macht sich auch strafbar, wer Geld für einen Anschlag sammelt, selbst wenn dieser nicht ausgeführt wird. Bisher macht sich strafbar, wer zur Unterstützung von Terrorgruppen "nicht unerhebliche Vermögenswerte" sammelt oder bereitstellt.
Die Änderungen gehen zurück auf eine UN-Resolution vom September. Darin machten die Vereinten Nationen den Mitgliedsstaaten strenge Vorgaben für den Anti-Terror-Kampf. Aus Deutschland sind bereits mehr als 600 Islamisten nach Syrien und in den Irak aufgebrochen.