Tiergartenmord-Prozess Anklage fordert lebenslange Haft
Lebenslange Haft und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld fordert die Bundesanwaltschaft im Tiergartenmord-Prozess. Der Angeklagte habe im Auftrag staatlicher Stellen Russlands gehandelt.
Eine Tat aus politischen Motiven, die einer Hinrichtung gleichkomme - so lautete das Fazit der Bundesanwaltschaft im Tiergartenmord-Prozess. Der Angeklagte habe mit einem "Fangschuss" auf den Hinterkopf des bereits reglos am Boden liegenden Opfers gezeigt, dass er die "Vernichtung" des tschetschenisch-stämmigen Georgiers Tornike Kavtarashvili alias Zelimkhan Khangoshvili angestrebt habe.
Bundesanwalt Nikolaus Forschner begründete damit vor dem Kammergericht Berlin die besondere Verwerflichkeit der Tat. Im Plädoyer, das er mit Bundesanwalt Lars Malskies vortrug, forderte er eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Feststellung der besonderen Schwere der Schuld.
Vergeltung an einem Staatsfeind
Der Täter habe im Auftrag staatlicher Stellen Russlands gehandelt. Als Offizier des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB im Range eines Obersts habe er sich bewusst in den Dienst seiner Auftraggeber gestellt. Das Motiv finde sich in der Gegnerschaft des Opfers zu Russland. Khangoshvili habe zwischen 2000 und 2004 in einer Miliz im russischen Nordkaukasus gekämpft und sich an asymmetrischer Kriegsführung beteiligt.
Die russische Führung habe ihn als Terroristen betrachtet. Unter anderem stand er auf einer Liste des FSB mit angeblichen Mitgliedern des islamistischen "Kaukasischen Emirats". Präsident Wladimir Putin beschrieb Khangoshvili als "Banditen" und "Terroristen".
Für die Bewertung der Tat sei nicht ausschlaggebend, ob das Opfer tatsächlich Terrorist gewesen sei, so Forschner. Ziel der Tat sei Vergeltung gewesen, von einer "präventiven Tötung" könne nicht gesprochen werden. Denn von Khangoshvili sei keine Gefahr ausgegangen, seit er 2016 als Asylbewerber nach Deutschland gekommen sei. Die Einstufung als "Gefährder" sei 2018 zurückgenommen worden.
Gewaltmonopol angegriffen
Forschner warf der russischen Führung eine "radikale Missachtung rechtsstaatlicher Prinzipien" vor. Durch die Tat auf deutschem Boden seien die Souveränität und das Gewaltmonopol der Bundesrepublik infrage gestellt worden. Der Mord am helllichten Tag im belebten Kleinen Tiergarten habe das Sicherheits- und Gerechtigkeitsgefühl der Menschen in Deutschland erschüttert. Die Zeugenaussagen vor Gericht ein Jahr nach der Tat hätten verdeutlicht, dass viele damals Anwesende noch immer traumatisiert seien.
Mit der Tat sei zudem beabsichtigt worden, den in Deutschland lebenden Tschetschenen und anderen Staatsbürgern Russlands die Sicherheit zu nehmen, dass sie vor dem russischen Staat sicher seien. Forschner erinnerte daran, dass die russische Behörden kein Auslieferungsersuchen für Khangoshvili gestellt haben, um ihn für mögliche Straftaten vor Gericht stellen zu können. Es habe daran offenbar kein Interesse gegeben.
Mutige Zeugen
In dem mehrstündigen Plädoyer beschrieben Forschner und Malskies, wie die Tat "offensichtlich von langer Hand geplant" und wie russische Behörden die Tarnidentität des Vadim Sokolov geschaffen hätten. Der Angeklagte habe offensichtlich Unterstützung von einem Mittäter dabei erhalten, das Opfer auszuspähen, die Tatmittel zu besorgen und das Fluchtfahrzeug, einen Elektroroller, in der Nähe des Tatorts bereitszustellen.
Forschner lobte den Mut zweier Zeugen, die den Täter am Holsteiner Ufer beim Umziehen in einem Busch beobachteten und sogleich die Polizei riefen, die bereits in der Nähe war. Nur dadurch konnte der Täter, der sein Aussehen auf professionelle Weise geändert hatte, noch gestellt werden, bevor er als Tourist unerkannt verschwinden konnte.
Journalisten lieferten wichtige Indizien
Bei seinen Ausführungen zur Identität des Angeklagten und dem staatlichen Hintergrund der Tat stützte sich Malskies auch auf Recherchen der Rechercheplattform Bellingcat, des russischen Investigativmediums "The Insider" und des "Dossier Centers". Hinzu kamen Ermittlungen ukrainischer Behörden und die Aussagen eines Zeugen aus der Ostukraine, dem mutmaßlichen Schwager des Angeklagten.
Diese Erkenntnisse seien verwertbar, auch wenn die Genannten kritisch zum russischen Staat stünden und auch wenn sie in einem anderen Staat auf rechtswidrige Weise erlangt worden seien. Außerdem würden die Indizien und Belege gestützt durch die Ergebnisse der Ermittlungsbehörden in Deutschland, Polen, Tschechien, Frankreich und Zypern. Nicht geholfen hätten die Behörden in Russland und der Türkei.
Urteil womöglich vor Weihnachten
Mit der Verteidigung stimmte die Bundesanwalt in dem Punkt überein, dass Aussagen des Beschuldigten in Gesprächen mit Ermittlungsbeamten nicht verwendet werden dürfen. Das Beweisverwertungsverbot gelte, weil der Beschuldigte entgegen seiner Forderung ohne Anwalt befragt und nicht darauf hingewiesen worden sei, dass seine Aussagen womöglich keine Geltung haben.
Nach den Plädoyers der Nebenklagevertreterinnen und der Verteidigung könnte bereits in der kommenden Woche das Urteil fallen. Folgt das Gericht der Argumentation der Bundesanwaltschaft, wird die neue Bundesregierung vor der Herausforderung stehen, eine angemessene politische Antwort zu finden.