"Friedensdemo" und Manifest "Sie haben Angst vor uns"
Nach einer Woche unterschiedlichster Proteste versammeln Wagenknecht und Schwarzer Linke und Rechte in Berlin. Doch die Querfront bleibt aus. Stattdessen zielt Wagenknecht auf Politik und Medien.
"Die Friedensbewegung musste wieder auf die Straße", ruft Sahra Wagenknecht über den Platz vor dem Brandenburger Tor. "Eine neue Bürgerbewegung" entstehe hier, pflichtet Alice Schwarzer ihr bei. Es ist der Auftakt für den "Aufstand für den Frieden" - eine Großkundgebung, auf der sich die Linken-Politikerin und die Publizistin gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine richten und eine sofortige Verhandlungslösung des Krieges fordern.
Laut Polizeiangaben sind ihrem Ruf am Samstagnachmittag 13.000 Menschen gefolgt. Die Zahl deckt sich - anders als die von den Veranstalterinnen angegebenen 50.000 - mit Beobachtungen vor Ort. Nachdem rund 650.000 Menschen ein von Schwarzer und Wagenknechts initiiertes Manifest unterschrieben hatten, ist der Zuspruch damit eher klein ausgefallen.
Parteispitze auf Distanz
In ihrem Manifest hatten Wagenknecht, Schwarzer und mehrere Dutzend andere Prominente geschrieben, Friedensverhandlungen müsse es gerade aus Solidarität mit der ukrainischen Bevölkerung geben. Es brauche Kompromisse "auf beiden Seiten". Und: Jetzt sei die "Zeit, uns zuzuhören". Man spreche stellvertretend für eine Hälfte der deutschen Bevölkerung.
Es hagelte Kritik. Der Ukraine würde so ein Diktatfrieden aufgezwungen, hieß es. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach von "politischer Irreführung". Auch aus Wagenknechts eigener Partei kam Kritik, nicht zuletzt weil AfD-Politiker wie Bundeschef Tino Chrupalla das Manifest unterschrieben. Und weil Schwarzer, Wagenknecht und Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine in mehreren Interviews eine bestenfalls löchrige Linie nach rechtsaußen zogen.
Wagenknecht musste dem Parteivorstand erklären, wie man sich von AfD & Co. abgrenzen wolle. Am Ende entschied sich die Partei gegen eine Unterstützung, auch weil sie von der Aktion überrumpelt wurde. Die Diskussion um eine mögliche neue links-rechte "Querfront" dominierte eine Woche, in der es rund um den Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine viele unterschiedliche Veranstaltungen gab, die den Krieg zum Thema hatten.
Protestforscher: Pro-Ukraine-Demos bislang am größten
Einer, der die unterschiedlichen Bewegungen beobachtet, ist der Leipziger Protestforscher Alexander Leistner. Er sieht vor allem drei zentrale Akteure auf den Straßen. Da sei die "klassische Friedensbewegung" der Ostermärsche, sagt Leistner. Diese habe seit Kriegsbeginn Mobilisierungsprobleme.
Erfolgreicher sei jenes rechtsoffene Protestmilieu, das in den vergangenen Jahren auch die Corona-Pandemie oder die Energiekrise besetzt hat. Doch eine echte Protestwelle sei ihm nicht gelungen.
Die zahlenmäßig größten Demonstrationen, sagt Leistner, hätten sich hingegen solidarisch mit der Ukraine gezeigt. Gerade kurz nach Kriegsbeginn hätten "Empörung und Betroffenheit" insgesamt Hunderttausende mobilisiert.
Eine pro-ukrainischen Demonstration am 24. Februar in Berlin
Eine solche Demo fällt am Freitag in Berlin nur etwas kleiner als die Wagenknecht-Schwarzer-Kundgebung tags darauf aus. Das Publikum ist im Schnitt jünger, viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind vor Ort. Eine zentrale Botschaft lautet: Die Ukraine müsse selbst entscheiden, wann sie sich auf Verhandlungen einlasse. Eine Frau wirft Wagenknecht und Schwarzer auf ihrem Plakat ein "koloniales Mindset" vor. Diese wollten über die Ukraine bestimmen. Dabei gehe es jetzt darum, einen Völkermord abzuwehren.
AfD am Montag: "Krieg gegen Bundesregierung"
Das Kontrastprogramm dazu gibt es am Montagabend auf dem Domplatz von Magdeburg in Sachsen-Anhalt. Bei einer "Friedensdemo" des AfD-Landesverbandes sitzt der Aggressor nicht in Moskau, sondern in Berlin. Die Bundesregierung haben "dem eigenen Volk den Krieg erklärt", ruft Landesvize Hans-Thomas Tillschneider. Doch wenn man eine Regierung habe, "die gegen uns Krieg führt, führen wir Krieg gegen diese Bundesregierung", so Tillschneider weiter. Einige der wenigen Hundert Teilnehmenden jubeln. Noch vor einigen Monaten hatte die AfD die zehnfache Personenzahl hier versammeln können.
Tillschneider gehört zu jenen AfD-Politikern, die das Wagenknecht-Manifest unterschrieben haben. Er war ein wesentlicher Stichwortgeber für die Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz, schreibt eine Kolumne für eine russische Tageszeitung und wäre im September 2022 beinahe in den von Russland besetzten Donbass gereist. Wagenknecht und die AfD trenne weniger voneinander als von CDU, SPD oder Grünen, sagt er nach seiner Rede. Er werde nach Berlin fahren und hoffe auf eine Querfront "vernünftiger Linker und Rechter".
Herbeifantasieren einer Querfront
Laut Protestforscher Leistner haben solche Aussagen Tradition. Es sei immer ein "einseitiges Bemühen" extrem rechter Akteuren gewesen, eine Querfront "herbeizufantasieren". Während der Energieproteste im Herbst habe die Abgrenzung linkerseits funktioniert. Dass die Gemengelage jetzt uneindeutiger sei, liege an Wagenknecht und Schwarzer. Wagenknecht vertrete seit Längerem "linksnationale" Positionen, sagt Leistner. Diese hätten sie anschlussfähig auch bei der extremen Rechten gemacht.
Und auch die teils widersprüchlichen Aussagen rund um Demo und Manifest. Die "Normalisierung extrem rechter Positionen" ist hier sicherlich unbeabsichtigt, sagt Leistner. Aber Wagenknecht und Schwarzer seien zwei "Medien- und Politikprofis". Ihre Kommunikation sei nicht so naiv, wie sie wirke, sondern "fahrlässig".
Schon am Samstag vergangener Woche in München bei einer ähnlichen Demonstration mit rund 10.000 Teilnehmenden am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz seien die Symbole der verschiedenen Gruppen "im Grunde miteinander verschwommen", so Leistner. Für die Rechten sei das ein Erfolg gewesen. Das rechtsextremistische "Compact"-Magazin jubelt anschließend über eine neue "Querfront" für den Frieden.
Samstag in Berlin: Kein Protest gegen Putin
Samstag, eine Woche später: Viele Mitglieder der Linkspartei sind gekommen. Manche tragen Schilder mit der Aufschrift "Mit AfD und Co ist kein Frieden zu machen". Daneben stehen ergraute Alt-Kommunisten und Vertreter von Wagenknechts alter "Aufstehen"-Bewegung.
Tillschneider ist allerdings auch vor Ort, der sächsische AfD-Chef Jörg Urban ebenfalls. Zumindest "Compact"-Herausgeber Jürgen Elsässer wird von Ordnern an den Rand der Demonstration verwiesen und von Gegenprotest begleitet. Extrem rechte Streamer filmen währenddessen hinter der Bühne.
Zu der heterogenen Mischung gehören Vertreter der Montagspandemieproteste und von Querdenken. Zwischen Friedensflaggen zeigen sich immer wieder auch russische Symbole. Es finden sich mehrere Schilder, die die Schuld am Krieg bei der NATO, den USA oder Deutschland suchen. Gegen Russland oder Putin richtet sich keins.
Und während von der Bühne aus der russische Überfall zumindest kurz verurteilt wird, kommen aus mehreren Ecken Buhrufe, als die Auflagen der Polizei verlesen werden: So sollen etwa keine Karten der Ukraine gezeigt werden, die das Land ohne die von Russland annektierten Gebiete zeigt.
Wagenknecht warnt vor "atomarem Inferno"
Einig scheint sich die Menge nur in zwei Punkten: beim Ruf nach schnellen Verhandlungen und bei der Ablehnung der aktuellen Bundesregierung. Gegen die grüne Außenministerin gibt es "Baerbock weg"-Sprechchöre. Nicht wenige schlagen sich offen auf die Seite Russlands, andere sorgen sich um eine Eskalation. Die von Rechts erhoffte Querfront ist das nicht.
Sahra Wagenknecht spricht auf einer "Friedensdemo" am 25. Februar 2023 in Berlin.
Sahra Wagenknecht beschwört in ihrer Rede die Gefahr eines "atomaren Infernos". Der Krieg könne jederzeit eskalieren. Sie verurteilt kurz Putin und ebenso kurz Rechtsextremisten. Länger widmet Wagenknecht sich den Vorwürfen gegen sie selbst. "Krank" sei die Diskussion im Vorfeld gewesen, sagt sie. Der Ruf nach Frieden könne nicht rechts sein.
Und dann bedient Wagenknecht selbst die Hysterie: Das hier sei nur der Auftakt. Medien und Politik hätten "Angst vor uns", ruft sie. Die Menge jubelt. Um die Ukraine oder Putin geht es da nicht mehr.
Anmerkung der Redaktion: Das Gespräch mit Alexander Leistner führten wir am Donnerstag, zwei Tage vor Kundgebung von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer in Berlin.