Der Ex-Reserveoffiizier Ralph G. mit seinem Verteidiger Christopher Hilgert

Urteil in Spionageprozess Geheimagent aus Geltungssucht

Stand: 18.11.2022 16:06 Uhr

Ein Ex-Reserveoffizier ist der geheimdienstlichen Tätigkeit für Russland schuldig gesprochen worden. Über den Fall hinaus stellt sich die Frage nach dem Umgang mit Russlands Militärvertretern.

Eine "extrem russlandfreundliche Einstellung" und ein Drang, "sich bei russischen Militärangehörigen beliebt und wichtig zu machen". Diese Motivation attestierte Richter Jan van Lessen vom 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts Düsseldorf dem Angeklagten. Der 66-Jährige Ex-Reserveoffizier Ralph G. erhielt wegen geheimdienstlicher Tätigkeit für Russland eine Strafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung. Zudem muss er die Kosten des Verfahrens tragen.

Der Angeklagte habe dem russischen Militärgeheimdienst GRU über Jahre Informationen geliefert. Dazu zählten umfangreiche Angaben zum Reservistenwesen, zur Zusammenarbeit zwischen Bundeswehr und zivilen Institutionen, zum Cyberbereich sowie zu den EU-Sanktionen gegen Russland.

"Nur kalter Kaffee"

G.s Verteidiger Christopher Hilgert hatte auf Freispruch plädiert. Er machte geltend, dass sein Mandant gute Absichten verfolgt habe, sich für Frieden, Versöhnung und Brücken über Gräben hinweg eingesetzt habe.

Außerdem zeichnete Hilgert, Vertragsanwalt des Deutschen Bundeswehrverbandes, das Bild eines geläuterten Angeklagten, dem der Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar den Boden für seine Versöhnungsarbeit entzogen habe. In Russland hätten nun "kriminelle Gruppierungen eine Diktatur" geschaffen, so G.s Erkenntnis. Er unterstütze jetzt die Ukraine.

Von der Kompetenz für Sicherheitspolitik und Osteuropa, die der Angeklagte für sich beansprucht hatte, blieb im Plädoyer des Verteidigers wenig übrig. Was G. weitergegeben habe, sei "nur kalter Kaffee mit dem Informationswert Null" gewesen. Es habe sich nur um öffentlich zugängliche Informationen gehandelt. Von den Verbindungen seiner Gesprächspartner - Militärattachés an der Botschaft Russlands - zum Geheimdienst GRU und dessen Aktivitäten habe er nichts gewusst.

Agent auch ohne konspiratives Vorgehen

Die Bundesanwaltschaft als Anklägerin und der Richter bestätigten, dass G. fast nur öffentlich zugängliche Informationen weitergab. Da er nicht über eine Sicherheitsfreigabe verfügte, hatte er keinen Zugang zu geheimen Informationen.

Dennoch folgte Richter van Lessen der Bundesanwaltschaft in der Einschätzung, dass der Angeklagte geheimdienstlich tätig war. Dafür sei kein Verhalten im Sinne klassischer Spionagetätigkeit und konspirativen Vorgehens nötig. Auch müssten die gelieferten Informationen nicht geheim und von großer Bedeutung sein.

Jedoch konnte G. mit Sachkunde und Einblicken, über die er dank seiner Aktivitäten als Reserveoffizier und in Wirtschaftsverbänden verfügte, Informationen zusammenstellen und um Einschätzungen und Angaben zu Personen ergänzen. Er nahm zumindest in Kauf, dass die Informationen zum GRU gelangten und er damit gegen die Interessen Deutschlands und der USA handelte.

Militärattachés sind Spione

Dass die an russischen Botschaften akkreditierten Militärattachés dem Geheimdienst GRU zuzuordnen sind, davon werde in der NATO ausgegangen, erklärte Brigadegeneral a.D. Reiner Schwalb als Zeuge vor Gericht. Er war als Verteidigungsattaché in Moskau mit G. in Kontakt gekommen.

Schwalb zitierte einen Artikel des russischen Oppositionsmediums "Meduza", wonach Militärattachés vor ihrem Einsatz eine Ausbildung beim GRU durchliefen und dem Geheimdienst danach verbunden blieben. Auch der Bundesverfassungsschutz ordne die Militärattachés funktional dem GRU zu, sie nutzten ihren Diplomatenstatus als Tarnung, erläuterte Gerd Kaiser von der Bundesanwaltschaft in seinem Plädoyer.

Ball der Luftwaffe in Bonn

Die Bundesanwaltschaft und Richter van Lessen folgten nicht der Darstellung der Verteidigung eines nur gutmeinenden und streckenweise naiven Angeklagten. G. war als Reserveoffizier regelmäßig belehrt und sensibilisiert worden. Zeugenaussagen hätten bestätigt, dass G. durchaus bewusst gewesen sei, mit wem er es zu tun hatte.

Aus dem umfangreichen Mailverkehr geht außerdem hervor, wie intensiv G. Kontakte gesucht und gepflegt hat, vor allem zu Oberst Michail Starow, von 2010 bis 2017 Luftwaffen- und Marineattaché an der russischen Botschaft in Berlin.

G. lernte Starow im Februar 2014 beim Ball der Luftwaffe in der Beethovenhalle Bonn auf eigene Initiative kennen, wie ein Zeuge aussagte. G. organisierte Podiumsdiskussionen mit Starow 2014 beim Reservistenverband und 2016 beim Bundeswehrverband, bei denen dieser die russische Position zur Ukraine und zu Syrien präsentierte. Im Gegenzug arrangierte Starow die Teilnahme G.s an der jährlich stattfindenden Sicherheitskonferenz des Verteidigungsministeriums in Moskau.

Nach dem Weggang Starows suchte G. Kontakt zu dessen Nachfolger und anderen Militärattachés. Er folgte Einladungen der Botschaft zum "Tag des Vaterlandsverteidigers" und dem "Tag des Sieges", brachte sich gar für den "Orden der Völkerfreundschaft" ins Gespräch. Jedoch ging keiner der anderen Attachés eine so enge Verbindung zu G. ein wie Starow.

Kontakte zu Politikern

Die Bundesanwaltschaft zählte die Namen von sechs Militärattachés auf, zu denen der Angeklagte Kontakt suchte, darunter Jewgenij Sutskij, dem G. Informationen zur Gazprom-Pipeline Nordstream 2 schickte.

Sutskij seinerseits soll "Bild" zufolge versucht haben, die CDU zu infiltrieren. Demnach traf sich der Russe mehrfach mit einem Ex-Mitarbeiter des CDU-Bundestagsabgeordneten Joachim Pfeiffer, der sich für Nord Stream 2 eingesetzt habe. Nach "Bild"-Informationen wurde Sutskij im Zusammenhang mit dem "Tiergartenmord" ausgewiesen.

Auch Oberst Andrej Siwow, der den Kontakt zu G. ebenfalls eher mied, kam seinen Aufgaben offensichtlich nach. Am 30. April 2019 empfing er an der russischen Botschaft die Berliner Landesgruppe des Reservistenverbandes. Dabei vermittelte der Militärattaché die "authentische russische Sicht der hochkomplexen sicherheitspolitischen Lage", wie es in einem Bericht auf der Website des Verbandes heißt.

Auch Siwow suchte Kontakte in die Politik. Einmal fing er den CDU-Abgeordneten Roderich Kiesewetter vor dem Bundestag ab und versuchte ihn zu einem Gesprächstermin zu bewegen. "Dies habe ich abgelehnt", teilte Kiesewetter tagesschau.de mit. Er habe aber als Russland-Berichterstatter seiner Fraktion an einer Podiumsdiskussion mit Siwow teilgenommen.

Harsche Kritik an G.

Auch mit dem Angeklagten G. bekam Kiesewetter es als Präsident des Reservistenverbandes zu tun, der er von 2011 bis 2016 war. Kiesewetter schrieb G. 2015 einen Brief, nachdem dieser mit Angabe seiner Funktion beim Reservistenverband ein Interview gegeben hatte.

"Die Aussagen G.s entsprachen quasi gängiger russischer Propaganda", so Kiesewetter. Er habe G. verdeutlicht, dass dies keinesfalls der Position des Reservistenverbandes entspreche und habe ihn gebeten, sich künftig nicht mehr in seiner Funktion diesbezüglich zu äußern.

Russland-Romantik

Kiesewetter, bis 2009 Oberst im Generalstabsdienst der Bundeswehr, sieht den Umgang mit russischen Verteidigungsattachés in den vergangenen Jahren generell kritisch. Man müsse bei ihnen zwangsläufig von "Agenten im Sinne hybrider Kriegsführung" ausgehen und dies berücksichtigen, ohne allerdings deren Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen gänzlich auszuschließen. Bei Bundeswehrbällen aber könnten "geradezu unbedarft Kontakte hergestellt" werden.

Für ganz Deutschland sei ein "sehr naiver Umgang mit Russland festzustellen", so Kiesewetter. Gefahren und Ausmaß der hybriden Beeinflussung seien größtenteils ausgeblendet worden. Hinzu komme in Teilen der Bevölkerung Russland-Romantik, ein seltsames Geschichtsverständnis und ein teils naiver, wirtschaftsfokussierter Blick.

Drei Jahre Bewährung

Richter van Lessen stellte klar, dass G. über keinerlei Mandat für seine Kontaktbemühungen zum russischen Militär verfügte und das Verteidigungsministerium Verbindungen zu Russland bereits 2014 aufgrund der Annexion der Krim zurückgefahren hatte - als G. seine Kontaktanbahnungen zum Militärattachéstab erst begann.

Falls Anklage und Verteidigung nicht Revision einlegen, wird das Urteil in einer Woche rechtskräftig. Dann muss G. sich drei Jahre lang bewähren. Beim Reservistenverband will er sich weiter engagieren.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 01. April 2022 um 15:04 Uhr.