EU-Papier So profitieren Extremisten von Corona
Die Terrorexperten der EU haben analysiert, wie Extremisten die Corona-Pandemie für ihre Zwecke missbrauchen. Sie warnen vor rassistischer Gewalt und neuen Formen des militanten Aktivismus.
Die Corona-Pandemie sorge für einen Anstieg von Hasskriminalität, Antisemitismus und Rassismus. Extremisten - allen voran Rechte - würden die Krise geschickt für ihre Zwecke nutzen. Zu befürchten sei zudem, dass es aufgrund gefährlicher Verschwörungsmythen zu gewaltsamen Protesten und gar Anschlägen kommen könnte. So lautet das Fazit des Anti-Terror-Koordinators der Europäischen Union (EU) in einem aktuellen Thesenpapier, das WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" vorliegt und über das auch "Zeit Online" berichtet. Es trägt den Titel "Terrorismus in Zeiten von Corona".
Weltverschwörung oder Strafe Allahs
Nahezu jede extremistische Szene greife nach Ansicht der EU-Experten die Corona-Pandemie inzwischen auf: Rechtsextremisten propagierten verstärkt Hass auf Ausländer, insbesondere auf Asiaten. Sie würden den antisemitischen Mythos einer jüdischen Weltverschwörung verbreiten, Linksextremisten das kapitalistische System für die Krise verantwortlich machen. Sie fürchteten staatliche Überwachung und riefen zu Unruhen auf. Islamisten wiederum sähen im Coronavirus eine Strafe Allahs für die "Ungläubigen".
Seit dem Beginn der Corona-Pandemie sei die Zahl der Terroranschläge weltweit nicht nennenswert gestiegen - in einigen Teilen der Welt sei sie sogar zurückgegangen, heißt es in der EU-Analyse. Die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Seuche - Grenzschließungen, Ausgangsbeschränkungen, verstärkte Polizeipräsenz oder das Verbot von Menschenansammlungen - würden terroristische Aktivitäten deutlich erschweren. Die Angst und Unsicherheit in Teilen der Bevölkerung aber werde von Extremisten gezielt ausgenutzt.
Rechtsextremisten nutzen Krise für Desinformation
Vor allem Rechtsextremisten würden derzeit von der Corona-Krise profitieren - und einen "Rassenkrieg" heraufbeschwören. "Sie nutzen die aktuelle Krise, um Minderheiten zu stigmatisieren und Desinformation zu verbreiten", schreiben die Terrorexperten der EU. In der rechtsextremen Szene würden offene Grenzen und Migration für die Corona-Pandemie verantwortlich gemacht. Gleichzeitig kursierten Verschwörungsmythen darüber, dass China, die USA oder Israel das Virus hergestellt und absichtlich freigesetzt hätten.
Der Hass auf religiöse und ethnische Minderheiten durch rechtsextreme Propaganda nehme zu, heißt es in dem EU-Papier. Und zwar im Netz und auf der Straße. Asiatische Menschen würden für die Ausbreitung des Virus verantwortlich gemacht und als "Ungeziefer" und "Parasiten" bezeichnet.
Es sei bereits in einigen Ländern zu rassistischen Übergriffen gekommen. In rechten Chatgruppen würde außerdem dazu aufgerufen, Corona als "Biowaffe" einzusetzen und gezielt Muslime oder Juden zu infizieren. Juden würden von Rechten als die großen Profiteure der Krise bezeichnet, die Pandemie sei Teil eines "zionistischen Plans".
"Gottes Rache an seinen Feinden"
Unter Islamisten gelte die Corona-Pandemie hingegen als vermeintlicher Beleg für einen Niedergang westlicher Gesellschaften und als "Gottes Rache an seinen Feinden", heißt es in dem EU-Papier. Die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) verweise etwa auf die Unterdrückung der muslimischen Minderheit der Uiguren in China oder auch auf die Corona-Situation im Iran, wo es die verhassten Schiiten getroffen habe. Im iranischen Regime wiederum mache man Israel für Corona verantwortlich und behaupte, das Virus sei eine "westliche oder zionistische Biowaffe, entwickelt um insbesondere Iraner zu töten".
Dschihadistische Terrorgruppen wie der IS und Al-Kaida würden weiterhin über Online-Propaganda zu Anschlägen im Westen aufrufen, warnen die EU-Terrorexperten. Es habe zuletzt zwar nur wenige verhinderte oder gar erfolgreiche islamistische Terrorakte in Europa gegeben: Krankenhäuser und andere medizinische Einrichtungen aber seien durchaus attraktive Ziele, um in der aktuellen Situation für größtmögliche Panik zu sorgen.
Linksextremisten nutzen die Lage
Laut EU-Analyse machen Linksextremisten Regierungen, die Globalisierung und das "kapitalistische System" für die Corona-Krise verantwortlich - und nutzen die aktuelle Situation, um zu Plünderungen und Unruhen aufzurufen. Die staatlichen Beschränkungen würden als voranschreitende Überwachungsmaßnahmen von Regierungen gesehen, um "größere Kontrolle über die Bevölkerung" zu erlangen.
Die Corona-Krise bringe zunehmend neue Formen des Extremismus und des gewalttätigen Aktivismus hervor, warnen die EU-Fachleute in ihrem Thesenpapier. Diese Ideologien basierten vor allem auf Verschwörungsmythen. Etwa auf der Annahme, die chinesische Stadt Wuhan sei in Wahrheit ein Testgelände für den neuen Mobilfunkstandard 5G. Die Technologie sei somit die Ursache für die Covid-19-Erkrankung und müsse bekämpft werden.
In Großbritannien und den Niederlanden gab es in den vergangenen Wochen bereits Brandanschläge auf 5G-Sendemasten, die offenbar von solchen "Technophoben" verübt worden seien.
Gewaltsame Proteste befürchtet
Zu befürchten sei außerdem, dass die Beschränkungsmaßnahmen verstärkt Anti-Regierungs-Aktivisten auf den Plan rufen könnten. Darunter Anarchisten oder "extreme Libertäre", wie es in dem EU-Papier heißt. Es könnte vermehrt zu gewaltsamen Protesten kommen.
In Deutschland erstellt das Bundeskriminalamt (BKA) seit einigen Wochen ein eigenes Lagebild zur "Möglichen Auswirkung von Covid-19 auf die Kriminalitätslage". Darin wird auch die "politisch-motivierte Kriminalität" von Extremisten betrachtet, die in Corona-Zeiten tendenziell wohl eher zurückgehe. Eine umfassende Bewertung der Gefährdungslage sei allerdings laut BKA kaum möglich - aufgrund der "mangelnden Erfahrungswerte bei vergleichbaren Situationen".