Flüchtlingsabkommen Deutschland und Irak vereinbaren offenbar Kooperation
Um mehr Asylsuchende in ihre Herkunftsländer zurückbringen zu können, will die Bundesregierung Migrationsabkommen schließen. Eine erste Vereinbarung mit dem Irak soll jetzt unterschrieben worden sein.
Ein Punkt war Bundeskanzler Olaf Scholz offenbar besonders wichtig, als er in der vergangenen Woche nach dem Flüchtlingsgipfel zur Pressekonferenz erschien: "Die auf lange Sicht, auf mittlere Sicht und sogar in kurzer Zeit wichtigste Veränderung wird sein, dass Deutschland jetzt ganz neue Arten von Migrationspartnerschaften abschließen wird", erklärte er vor den Journalisten.
Was der Bundeskanzler nicht sagte: dass kurz davor offenbar der erste wichtige Schritt für eine solche Kooperation auf den Weg gebracht worden war.
Vereinbarung offenbar bereits unterschrieben
Deutsche und irakische Regierungsvertreter sollen Anfang vergangener Woche in Berlin ihre Absicht auf eine engere Zusammenarbeit im Bereich Migration per Unterschrift erklärt haben. Das erfuhren NDR und WDR aus verschiedenen Quellen. Den Informationen zufolge ist letztlich kein rechtlich verbindliches Abkommen, sondern eine "Gemeinsame Erklärung" - eine "Joint Declaration" - vorgesehen.
Folgt man den Worten des Bundeskanzlers, dann sind angesichts der steigenden Asylzahlen in der Bundesrepublik genau solche Vereinbarungen von großer Bedeutung. Eine Vereinbarung mit dem Irak wäre also ein großer Erfolg für die Regierung und ihren neuen Beauftragten für Migrationsabkommen, Joachim Stamp (FDP). Der Irak gehört schließlich zu jenen Herkunftsländern, aus denen viele Asylsuchende nach Deutschland kommen.
Kommuniziert wird dieser erste Erfolg aber nicht - zumindest noch nicht. Und das könnte damit zusammenhängen, dass die vergangenen Jahre gezeigt haben, wie schnell Verabredungen beim Thema Migration hinfällig sein können.
Keine offizielle Bestätigung
Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte auf Anfrage allgemein, dass die Bundesregierung "mit verschiedenen Staaten in Gesprächen über eine vertiefte Migrationszusammenarbeit" sei. Zu Einzelheiten solcher Gespräche äußere man sich grundsätzlich nicht. Grundlinie der Bundesregierung sei, "irreguläre Migration zu begrenzen und legale Migrationswege zu ermöglichen". Die irakische Seite ließ eine Anfrage bisher unbeantwortet.
Die Verhandlungen zwischen beiden Ländern starteten bereits vor ein paar Monaten. Die Details, die nun offenbar festgezurrt wurden, sind auch NDR und WDR nicht bekannt. Der Recherche zufolge soll es beiden Seiten aber um eine umfassende Kooperation gehen, die sich nicht nur auf das Thema Rückführungen in den Irak beschränkt, sondern auch um erleichterte legale Einreisen für Iraker nach Europa.
Weitere Punkte im Abkommen vereinbart
So sollen vor Ort im Irak unter anderem Berufsqualifizierung, Ausbildung oder Sprachschulen gefördert werden - und das nicht nur mit Blick auf eine mögliche Tätigkeit in Deutschland, sondern auch für die künftige Entwicklung des Irak. Auf deutscher Seite arbeiten aufgrund der verschiedenen inhaltlichen Aspekte gleich mehrere Ministerien zusammen.
In der Vergangenheit sind Abschiebungen in den Irak immer wieder daran gescheitert, dass es Probleme mit der Feststellung der Identität oder Staatsangehörigkeit gab - hier wollen beide Länder besser zusammenarbeiten, heißt es. Ende 2022 lebten in Deutschland laut Bundesinnenministerium rund 35.000 ausreisepflichtige Iraker. Etwa 32.000 von ihnen waren geduldet - und davon wiederum mindestens 7900 wegen fehlender Reisedokumente.
Im Jahr 2022 sind lediglich 471 irakische Staatsangehörige aus Deutschland abgeschoben worden, die meisten davon in Drittländer. Lediglich 77 Personen wurden direkt in den Irak zurückgebracht. 907 wiederum kehrten in dem Jahr freiwillig zurück und nahmen dafür staatliche Förderung in Anspruch. Diese Statistiken spielen in dem Austausch zwischen Deutschland und dem Irak eine große Rolle.
Lage im Irak weiter kritisch
Dass die Zahlen von Rückkehr und Abschiebungen bisher niedrig liegen, hat nicht nur mit der bislang schlechten Zusammenarbeit zu tun, sondern auch mit der Lage im Irak: Dem zuletzt im Oktober 2022 aktualisierten Asyllagebericht des Auswärtigen Amtes zufolge sind staatliche Stellen "nach wie vor für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen verantwortlich". Die in der Verfassung verankerten Rechte und Grundfreiheiten würden zudem "nicht umfassend gewährleistet", heißt es in dem vertraulichen Bericht, den NDR und WDR einsehen konnten.
Laut dem Bericht seien Folter zur Erzwingung von Geständnissen, willkürliche Festnahmen und Entführungen durch irakische Sicherheitskräfte verbreitet. Darüber hinaus gehe von bewaffneten Milizen eine Bedrohung für die Bevölkerung aus. Auch seien "sehr viele Kinder und Jugendliche (…) durch Gewaltakte gegen sie selbst oder gegen Familienmitglieder stark betroffen". Religiöse Minderheiten leiden laut dem Bericht unter "weitreichender faktischer Diskriminierung". Der irakische Staat kann demnach "den Schutz der Minderheiten nicht sicherstellen".
EU-Länder uneinig über Vorgehen
Wie die Recherche von NDR und WDR zeigt, wurde auf europäischer Ebene in den vergangenen Wochen sehr kontrovers darüber diskutiert, wie man mit der irakischen Regierung beim Thema Migration umgehen will. Aus internen Berichten, die die Reporter einsehen konnten, geht hervor, dass die meisten europäischen Staaten offenbar mit bisherigen Zusagen von irakischer Seite für künftige Rückführungen nicht zufrieden sind. Sie dringen darauf, bald den sogenannten Visahebel anzuwenden - also die Visavergabe für Iraker einzuschränken.
Laut Kanzler Scholz hat sich die Bundesregierung vorgenommen, eine "Musterstruktur" für solche Abkommen zu entwickeln. Vereinbarungen müssten dann nicht immer "neu erfunden" werden, wie Scholz sagte.
Solche Abkommen waren bereits im Koalitionsvertrag genannt. Es hatte anschließend aber gedauert, bis sich die Bundesregierung auf den früheren stellvertretenden Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Joachim Stamp, einigen konnte. In einem seiner Interviews beschrieb er seine Aufgabe so: Es gehe bei den umfassenden Vereinbarungen "um einen grundsätzlich neuen politischen Ansatz".