Kriegsdienstverweigerer Kein Asyl - trotz Flucht vor Putins Krieg
Andrej Boldenkov will nicht in Putins Krieg kämpfen. Er flieht nach Deutschland, bekommt aber kein Asyl. Dabei hatte die Bundesregierung russischen Kriegsdienstverweigerern Hoffnung gemacht.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser hatte russischen Soldaten, die sich nicht am russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine beteiligen wollen, Hoffnung gemacht: "Wenn wir die Chancen haben, diejenigen, die sich von diesem furchtbaren Angriffskrieg Putins abwenden, eine vorübergehende Heimat zu gewähren, ist das mehr als angemessen", erklärte sie vor mehr als einem Jahr.
Doch eine Statistik vom Bundesinnenministerium zeigt: So willkommen sind russische Kriegsdienstverweigerer in Deutschland nicht. Rund 3.500 russische Männer im wehrfähigen Alter haben seit dem Kriegsbeginn Asyl in der Bundesrepublik beantragt. Bisher wurde nur mehr als die Hälfte der Anträge entschieden. Schutz wurde nur 92 Männern bewilligt.
Bundestag stimmte gegen erleichterte Aufnahme
Nach der sogenannten Teilmobilmachung in Russland im Herbst vergangenen Jahres hatten sich auch viele Abgeordnete unterschiedlicher Fraktionen im Bundestag für eine erleichterte Aufnahme russischer Kriegsdienstverweigerer ausgesprochen.
Doch ein entsprechender Antrag der Linksfraktion im Bundestag fiel im September 2022 bei der Abstimmung durch. Die "New York Times" veröffentlichte gerade Zahlen, nach denen bislang etwa 120.000 russische Soldaten in der Ukraine gefallen sein sollen. Die Zahlen beruhen auf Schätzungen von US-Geheimdiensten.
Von Dienstreise nicht zurückgekehrt
Andrej Boldenkov aus St. Petersburg wollte nicht zu den gefallenen Soldaten gehören. Er war zur Zeit der Teilmobilmachung auf Dienstreise in Deutschland. Er ist Verpackungsentwickler und außerdem Reserveoffizier. Den Rang hat er vor vielen Jahren während seines Studiums an der Universität erworben. Damit gehört er zur "Kategorie I" in Russland. Das sind Menschen, die als erste einberufen werden.
Als er mit seinen Kollegen zum Rückflug am Flughafen ankam, drehte er sich plötzlich um und ging weg. Statt zurückzufliegen, beantragte er Asyl in Deutschland. Sich an dem Angriffskrieg auf die Ukraine zu beteiligen, kommt für ihn nicht in Frage: "Ich möchte weder töten noch sterben. Und mein Land lässt mir nur diese beiden Möglichkeiten."
Abschiebung nach Russland angedroht
Boldenkov wohnt jetzt in einer Flüchtlingsunterkunft in Oberbayern. Das Zimmer teilt er sich mit drei Männern. Er selbst schläft auf einer Couch. Er hat schnell Arbeit als Verpackungsentwickler gefunden und träumt davon, seine Frau und seine Töchter aus St. Petersburg nachzuholen.
Zwei Einberufungsbefehle sind dort mittlerweile für ihn angekommen. Doch sein Asylantrag in Deutschland wurde abgelehnt. "Man listet 19 Seiten lang auf, wie gefährlich es in Russland ist. Mit dem für mich unlogischen Schluss, dass ich dorthin zurückgehen muss." Er sei aufgefordert Deutschland binnen von 30 Tagen zu verlassen, so steht es in der Entscheidung, sonst wird er nach Russland abgeschoben. Boldenkov klagt gegen diese Entscheidung.
Druck in Russland
Dabei hatte sich sogar Bundeskanzler Olaf Scholz dafür ausgesprochen, diejenigen Russen, die an dem völkerrechtswidrigen Krieg in der Ukraine nicht teilnehmen wollen, in Deutschland aufzunehmen. "Ich bin dafür, diesen Menschen Schutz anzubieten", sagte der Kanzler in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung".
Auch Justizminister Marco Buschmann twitterte im vergangenen Jahr: "Anscheinend verlassen viele Russen ihre Heimat: Wer Putins Weg hasst und die liberale Demokratie liebt, ist uns in Deutschland herzlich willkommen."
Hohe Strafen angedroht
Einberufenen in Russland drohen hohe Strafen, wenn sie nicht kämpfen wollen. Je näher man an der Frontlinie ist, desto höher sind die Strafen: bis zu 15 Jahren Haft. Wenn ein Wehrpflichtiger nach einem Einberufungsbefehl nicht zur Wehrbehörde kommt, drohen ihm bis zu zwei Jahre Haft. In Medienberichten gab es auch Fälle, wo Männer gewaltsam zur Wehrbehörde gebracht wurden.
Auch Anton Tron aus Moskau möchte sich nicht an Putins Angriffskrieg beteiligen. Er war in Russland politisch aktiv, hat Bilder von der Zerstörung in der Ukraine gepostet. In Moskau erhielt seine Familie seinen Einberufungsbefehl.
Im Flur seines Wohnhauses wurde sogar ein Zettel aufgehängt, auf dem stand: Er sei eine "unmoralische Person", weil er sich der "Mobilmachung verweigert". Und jeder, der weiß, wo Anton Tron ist, solle sich bei der Wehrbehörde oder der Polizei melden. Auch eine Vorladung zur Polizei wegen "Diskreditierung der russischen Armee" erhielt seine Familie für ihn. Dafür kann man in Russland bis zu 15 Jahre Haft bekommen.
Kriegsdienstverweigerer hätten ein Recht auf Asyl
Tron lebt jetzt in Hamburg. Wenn er nach Russland zurückginge, sei klar, was passieren würde: "Sie werden dich einpacken, dir Handschellen anlegen und dich an die Front bringen. Und hinter dir werden sie Maschinengewehrschützen stationieren, die dich erschießen, wenn du versuchst zu fliehen."
Anwalt Julian Brockmann will verhindern, dass sein Mandant zu Kriegsverbrechen herangezogen wird.
Über seinen Asylantrag wurde noch nicht entschieden. Er ist aber durch viele Ablehnungen anderer russischer Kriegsdienstverweigerer verunsichert. Deshalb hat er sich einen Anwalt genommen, um für sein Recht auf Asyl in Deutschland zu kämpfen.
Kein Zwang zu Kriegsverbrechen
Sein Anwalt Julian Brockman erklärt, dass jeder Staat selbstverständlich das Recht habe, "Soldaten für seine Armee zu rekrutieren". Verweigerer und Deserteure genossen normalerweise kein Asylrecht. Wenn aber der Konflikt, zu dem Soldaten herangezogen würden, gegen das Völkerrecht verstoße, dann könne man niemanden dazu zwingen, an einem völkerrechtswidrigen Krieg teilzunehmen, "weil man dann ja selber Kriegsverbrechen begehen würde."
Auch der Europäische Gerichtshof hatte in zwei Urteilen von 2015 und 2020 entschieden, dass als Flüchtling anerkannt werden kann, wer als Soldat mit hoher Wahrscheinlichkeit in die Begehung von Kriegsverbrechen hineingezogen würde.