Massenüberwachung im Iran Deutsche Kameras für das Mullah-Regime?
Um die Kopftuchpflicht durchzusetzen, setzt der Iran auf Überwachung und nutzt dafür wohl auch Gesichtserkennungssoftware. Ein Lieferant von Kameras war Bosch. Das Unternehmen bestreitet aber, dass die Geräte zur biometrischen Gesichtserkennung genutzt werden können.
Im Juni vergangenen Jahres hackte eine Oppositionsgruppe nach eigenen Angaben mehr als 5.000 öffentliche Überwachungskameras im Raum Teheran. Die Hacker veröffentlichten ein Video der Aktion auf Social-Media-Plattformen. Darin ist die Softwareoberfläche der Firma Bosch zu erkennen, mit der offenbar Kameras gesteuert werden, um Kreuzungen und Schnellstraßen in Teheran zu überwachen. Werden diese Bosch-Kameras noch heute für die Strafverfolgung genutzt?
Laut einer kürzlich veröffentlichten Studie der Menschenrechtsorganisation Amnesty International wird die Überwachung des Straßenverkehrs besonders genutzt, um die Kopftuchpflicht durchzusetzen. Iranische Frauen berichten gegenüber der Menschenrechtsanwältin Raha Bahreini und ihrem Team, dass sie, kurz nachdem sie eine Kreuzung passierten oder aus dem Auto gestiegen waren, eine SMS erhalten hätten. Darin sei ihnen mitgeteilt wurden, dass auf Kamera festgehalten wurde, dass ihr Kopftuch nicht richtig sitze.
"Die Behörden haben ihr Überwachungssystem mit Technologien zur Gesichtserkennung erweitert. Frauen, die ohne Kopftuch identifiziert werden, müssen mit rechtlichen Schritten rechnen", sagt Bahreini von Amnesty International im Interview mit dem ARD-Weltspiegel. Nach Erhalt eines Strafzettels per SMS müssen viele Frauen ihr Auto für mehrere Wochen abgeben, oft folgen auch Ausreisesperren und Geldstrafen.
Überwachung mit europäischer Technik?
Nach mehreren Wochen vergeblicher Versuche ist eine Gruppe Oppositioneller bereit, sich mit Reportern des SWR zu einem Online-Interview zu treffen, unter der Bedingung, anonym zu bleiben. Die Gruppe berichtet den Reportern, auf iranischen Straßen würden Kameras von Unternehmen aus den Niederlanden, Schweden und Deutschland eingesetzt. Das Netz an Überwachungskameras im Iran ist äußerst dicht. Eine von Aktivisten erstellte Karte der Innenstadt von Teheran, die dem SWR vorliegt, zeigt offenbar, dass praktisch an jeder Straßenecke eine Kamera hängt. Am weitesten verbreitet sind Kameras des chinesischen Unternehmens Tiandy. Und laut den Aktivisten sind auch immer wieder Kameras der Firma Bosch zu finden, die zur Verkehrsüberwachung genutzt werden.
Auf Anfrage bestätigt Bosch, das Kameramodell, das in den Hackervideos zu sehen ist, sei von 2016 bis 2018 in geringer Stückzahl in den Iran geliefert wurden. Doch Bosch sei nicht direkt an dem Projekt zur Verkehrsüberwachung beteiligt gewesen. Und das Unternehmen schreibt dem SWR, dass mit diesem Kameramodell sogenanntes intelligentes Tracking möglich sei.
Die Aktivisten, mit denen der SWR sprechen konnte sagen, dass mit einer solchen Trackingtechnik das Regime erkennen könne, ob sich Menschen für eine Demonstration versammeln. "Wenn im Kamerabild mehr als fünf oder zehn Personen gleichzeitig auftauchen, wird ein Alarm an den nächsten Polizeistützpunkt geschickt und dann tauchen Sicherheitskräfte auf. Das Regime nutzt diese Technik bereits", erzählen sie.
Bosch-Schulung an Teheraner Universität
Dem SWR liegt ein Dokument vor, in dem beschrieben wird, dass 2017 an der Khatam-Universität in Teheran eine Schulung von "Bosch Security" und einem iranischen Vertriebspartner organisiert worden sei. Thema war demnach unter anderem die "Gesichtserkennung", also "face recognition", Gesichtsdetektion "Face Detection" und das intelligente Tracking von Objekten. Der Schulungsleiter soll laut dem Papier einer der Vertriebsleiter für den Nahen Osten der Firma Bosch gewesen sein.
Auf SWR-Anfrage bestätigt Bosch zwar, zwischen 2016 und 2018 insgesamt rund 8000 Sicherheitskameras in den Iran geliefert zu haben. Gleichzeitig schreibt das Unternehmen, dass ihre Kameras nicht für eine vollautomatische Gesichtserkennung genutzt werden könnten, da die Software zur biometrischen Gesichtserkennung nicht auf den Kameras vorinstalliert sei.
Weiter heißt es in dem Schreiben von Bosch: "Kein Mitarbeiter von Bosch hat jemals eine Schulung für "face recognition" an der Khatam University durchgeführt." Allerdings weist das Unternehmen darauf hin, dass alle durch eine Kamera erstellten Fotos oder Filme live oder im Nachgang mithilfe einer serverbasierten Gesichtserkennungssoftware ausgewertet werden können.
Nach Veröffentlichung der Recherche teilte Bosch indes mit: Man habe im Unternehmen recherchiert und festgestellt, dass 2017 "ein Mitarbeiter von Bosch Building Technologies anlässlich einer Vertriebsveranstaltung des damaligen Partnerunternehmens Karatis eine Produktpräsentation zu Videotechnik gehalten hat". Das Thema Gesichtserkennung sei aber in der Schulung nicht vertieft worden.
Die Aktivisten sagen, dass solche Videoanalysesoftware durch die dänische Sicherheitsfirma Milestone Systems in den Iran geliefert wurde. Auf SWR-Anfrage bestätigt das Unternehmen, dass bis 2019 Softwarelösungen in die islamische Republik verkauft wurden. Unter anderem die Videomanagementsoftware XProtect, eine offene Plattform, die für verschiedene Zwecke verwendet werden könne. Auf der Homepage der Firma heißt es, XProtect könne auch zum Abgleich von Gesichtern genutzt werden. Die Software des dänischen Unternehmens kann mit Überwachungskameras unterschiedlicher Hersteller kombiniert werden - auch mit Kameras der Firma Bosch.
Kein Verstoß gegen Sanktionen
Bosch schreibt auf Anfrage, das Unternehmen habe keinen Einfluss darauf, wie die Kameras eingesetzt werden würden, da man nie Endkunden im Iran beliefert habe. Seit 2019 habe das Industrieunternehmen alle Geschäftsbeziehungen in das Land abgebrochen und sich bei Kameraverkäufen an die geltenden Exportvorschriften gehalten. Dennoch sieht Bahreini von Amnesty International Unternehmen wie Bosch in der Verantwortung: "Die Unternehmen sind verpflichtet, ihre Sorgfaltspflicht zu erfüllen und sicherzustellen, dass die von ihnen verkauften Technologien nicht zur Begehung von Menschenrechtsverletzungen verwendet werden."
Der Staat nutze alle Kameras im Land, um Regimegegner zu verfolgen, sagt Journalist und Menschenrechtsanwalt Omid Shams der im Exil in London lebt. Für die Menschenrechtsorganisation "Justice for Iran" und das Nachrichtenportal "Iran Wire" wertet er aus, wie das Regime Kameras der Verkehrsüberwachung, Kameras an öffentlichen Plätzen und Gebäuden nutzt, um Gegner zu verfolgen. "Die Polizei kann auch private Kameras an Häusern zur Parkplatzüberwachung nutzen, um Demonstranten zu identifizieren", sagt Shams dem SWR.
Noch härtere Strafen vorgesehen
Die Frauen im Iran werden weiterhin unterdrückt und verfolgt wohl auch mithilfe intelligenter Technik. Im iranischen Parlament, das von Hardlinern dominiert wird, liegt momentan ein Gesetzentwurf - das sogenannte "Kopftuch - und Keuschheitsgesetz". Dieses sieht noch härtere Strafen vor als bisher.
Shima Ghousheh arbeitet als Anwältin in Teheran, ihr Schwerpunkt: Frauenrechte. Sie ist eine der wenigen, die bereit ist, offen über die Pläne der Regierung zu sprechen. Sie sagt dem ARD-Weltspiegel, dass laut dem neuen Entwurf Frauen mit dem Vorwurf "Korruption auf Erden" angeklagt werden könnten. Dann könne tatsächlich die Hinrichtung drohen, wenn Frauen das Kopftuch nicht tragen. Und der Gesetzesentwurf gehe laut Ghousheh noch einen Schritt weiter: "Jeder Bürger kann Fotos und Videos von Frauen machen, die gegen die Vorschriften verstoßen und diese direkt an die zuständigen Behörden schicken - diese Aufnahmen sollen dann vor Gericht als Beweismittel dienen."
Zugelassen sind dann alle Videoaufnahmen auch von Sicherheitskameras, bisher waren sie das offiziell nicht. Wenn Frauen im Iran damit zukünftig der Prozess gemacht wird, könnte das also auch mithilfe von Technik "Made in Germany" geschehen.
Mitarbeit: Franziska Ehrenfeld
Am 9. August wurde der Text um eine Reaktion des Unternehmens Bosch erweitertet, wonach ein Mitarbeiter 2017 im Iran eine Produktpräsentation zu Videotechnik gehalten habe. Hinzugefügt wurde außerdem ein Absatz mit Aussagen des Journalisten Omid Shams.