Deutscher Arbeitsmarkt Wie Bürokratie zugewanderte Fachkräfte ausbremst
Fachkräfte werden dringend gebraucht. Aber Deutschland macht es ihnen schwer. Zugewanderte werden häufig unterhalb ihrer eigentlichen Ausbildung und Qualifikation eingesetzt - was der Wirtschaft schadet.
Mohamed Beni Amor ist 24 Jahre alt, Gastronomie-Fachmann und in Tunesien geboren. Ein Freund überzeugte ihn von einer langfristigen Anstellung in einem Urlaubspark im Saarland. Zuvor hatte er als Saisonarbeiter anderthalb Jahre in der Schweiz gearbeitet. Und auf einem Kreuzfahrtschiff auf dem Rhein sogar als Chef der Cocktail-Bar: "Wir arbeiteten zusammen, und ich musste die Planung machen: Wer arbeitet in der Frühschicht, Spätschicht, und wer kann wann Pause machen? Das war schön."
Seit Oktober 2022 ist Amor in Deutschland, aber seine Zukunft ist ungewiss. In Tunesien hatte er eine zweijährige Ausbildung absolviert und Praxiserfahrungen gesammelt. In Deutschland hat er eine Sprachprüfung absolviert, besitzt eine Steuer-ID und eine Krankenversicherung. Die Ausländerbehörde droht trotzdem damit, ihm eine weitere Arbeitserlaubnis zu verweigern - und ihn abzuschieben.
Behördenvorgaben kaum einzuhalten
Jetzt hofft er darauf, dass er nach einem Nachweis seiner Fachkenntnisse in Deutschland bleiben darf. Doch die Industrie- und Handelskammern haben festgestellt, dass manche Behördenvorgaben kaum zu erfüllen sind. Sie existieren in dieser Form nur in Deutschland.
Mohamed Beni Amor fehlen die sogenannte "Fächernotenübersicht" zur Ausbildung - und ein "Rahmenlehrplan". Das gab es in seiner Heimat nicht, und daran könnte seine Arbeitserlaubnis letztendlich scheitern.
Zuwanderer arbeiten oft als Hilfskräfte
Bei der Anerkennung von ausländischen Abschlüssen unterscheiden die Behörden zwischen 600 deutschen Berufen. Reglementiert sind zum Beispiel Ärzte oder Richterinnen. Dort gibt es Zugangsbeschränkungen, ohne eine volle Anerkennung der Abschlüsse ist keine Beschäftigung möglich.
Häufiger jedoch sind die Berufe in Deutschland nicht reglementiert, zum Beispiel am Bau, im IT-Bereich, in der Industrie oder in sozialen Berufen. Zuwanderer können dort auch ohne Anerkennung ihrer heimischen Ausbildung arbeiten. Meist kommen sie dann aber nur als Helfer mit weniger Lohn und ungewissem Aufenthaltsrecht zum Einsatz.
Das muss sich ändern, fordern Experten wie Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), das die Bundesanstalt für Arbeit wissenschaftlich begleitet. "Wir müssten dazu übergehen, dass wir viel stärker die Qualifikation und nicht die Abschlüsse testen. Schauen, ob jemand in der Lage ist, eine qualifizierte Tätigkeit auszuführen. Und das dann bescheinigen."
Aufgeholt - aber große Chancen verschenkt
Von 2016 bis 2021 wurden in Deutschland von 310.000 Anträgen auf Berufs- und Ausbildungsanerkennung 230.000 vollständig bewilligt. Allerdings sind für den Antrag bis zu 600 Euro zahlen. Weitere Ausgaben kommen noch hinzu: für Dokumente wie zum Beispiel Beglaubigungen, Übersetzungen und Zertifikate. Außerdem müssen alle Dokumente mit der Post eingereicht werden. Digitalisierung ist bei den Zulassungsstellen weitgehend ein Fremdwort.
Für Thomas Liebig, Chefökonom bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD), hat Deutschland im internationalen Vergleich zwar aufgeholt, verschenkt aber große Chancen für das eigene Land und deren Einwohner: "Gerade mal vier von zehn hochqualifizierten Zuwanderern aus Nicht-EU-Ländern, die sich gegenwärtig in Deutschland befinden, sind auch in einer hochqualifizierten Beschäftigung." Dabei könne man problemlos mehrere Hunderttausend Leute mehr in Beschäftigung bringen.
Damit könnte man laut Liebig einen Großteil des Fachkräftemangels ausgleichen. Auch wenn in den kommenden Jahren der Personalbedarf zunehme, insbesondere durch den Wechsel der Babyboomer-Generation in die Rente, würden nach seiner Einschätzung mehrere Hunderttausend Personen reichen, um die Personallücken zu füllen.
Neues Bundesland, neue Hürden
Aber auch dazu muss sich bei den Behörden noch eine Menge ändern, wie das Beispiel von Maria Rafols zeigt. Zusammen mit einer Kollegin kam sie von den Philippinen. Beide hatten in Mecklenburg-Vorpommern eine Arbeitserlaubnis. Anfang dieses Jahres wechselten sie zu einer neuen Klinik in Baden-Württemberg.
In einem neuen Bundesland gibt es aber eine neue Ausländerbehörde, und die verweigerte erst einmal die Arbeitserlaubnis. Volle drei Monate wurde alles noch einmal geprüft. Erst im Mai durften beide wieder in einer Klinik arbeiten.
Dabei dauert die Ausbildung auf den Philippinen sogar länger als in Deutschland. Die Geschäftsführung der Rehaklinik, wo die beiden arbeiten, findet das ärgerlich. Denn die neuen Kolleginnen dürfen vorerst nur als Hilfskräfte zugelassen werden - und das trotz Ausbildung.