Löchriges DB-Fernverkehrsnetz Wenn der ICE am Großstadt-Bahnhof vorbeirauscht
Zweimal am Tag hält neuerdings ein ICE in Ravensburg mit seinen 50.000 Einwohnern. Andere teils deutlich größere Städte warten bis heute auf ihren Anschluss an den Schienenfernverkehr.
Es ist ein historischer Moment für Ravensburg. Am vergangenen Sonntag um 15.02 Uhr fährt der ICE von Dortmund nach Innsbruck in die Stadt in Oberschwaben ein - zum ersten Mal in ihrer Geschichte. Die Gleise wurden kürzlich saniert. "Das ist eine neue Ära für Ravensburg. Das ist ganz was Großes", sagt Bahnfan Andreas Klimowitsch, der wie viele andere heute extra zum Bahnsteig gekommen ist. Anna Schuster hat sich sogar ein Ticket gekauft. "Um einmal ICE zu fahren. Das erste Mal", sagt sie.
Zweimal täglich hält in Zukunft ein ICE in Ravensburg. Einmal auf dem Weg nach Innsbruck, einmal auf dem Rückweg nach Dortmund. Damit hat die Stadt mit knapp 50.000 Einwohnern vielen deutschen Großstädten etwas voraus.
Heilbronn: Großstadt - aber kein Fernverkehr
Heilbronn zum Beispiel. Die 125.000-Einwohner-Stadt ist komplett vom Fernverkehr abgeschnitten. Wer hier eine weitere Strecke mit der Bahn reisen will, muss erst einmal mit einem Regionalzug nach Karlsruhe, Würzburg, Mannheim oder Stuttgart fahren - was die Reise deutlich verlängert.
"Die Stadt Heilbronn ist das einzige Oberzentrum in Baden-Württemberg und eine von wenigen Großstädten in Deutschland, die über keinen Schienenfernverkehrs-Anschluss verfügt", klagt Oberbürgermeister Harry Mergel. Oft würden die Anschlüsse am Knoten Würzburg, aber auch in Mannheim, verpasst. Der SPD-Politiker fordert die Deutsche Bahn auf, schnellstmöglich einen dauerhaften ICE-Halt in Heilbronn einzurichten. Das Problem: Der Bahnhof erfüllt bisher nicht die Anforderungen für einen solchen Halt, unter anderem sind laut Bahn die Bahnsteige zu kurz.
Chemnitz: Immerhin zwei Intercity-Züge
In Chemnitz kennen sie die Probleme: Die sächsische Industriemetropole mit rund 250.000 Einwohnern war lange Zeit die größte deutsche Stadt ohne Fernzug-Anschluss. Seit dem Sommer des vergangenen Jahres hält täglich wieder zweimal der Intercity, der via Dresden und Berlin an die Ostsee fährt. Für Fahrgastvertreter nicht mehr als Kosmetik. "Zweimal ein IC am Tag ist ein Alibi", sagt Detlef Neuß von Pro Bahn im Gespräch mit tagesschau.de.
Weil die Strecke nach Leipzig frühestens in den 2030er-Jahren elektrifiziert werden soll, sind die Möglichkeiten in Chemnitz allerdings begrenzt. Dabei ist die Stadt 2025 Europäische Kulturhauptstadt und rechnet mit vielen Besucherinnen und Besuchern.
"Chemnitz macht aus der Not eine Tugend", sagt Oberbürgermeister Sven Schulze. Man setze für 2025 auf schnelle Anbindungen per Bus und Regionalbahn an die Flughäfen Prag, Berlin Leipzig und Dresden. Heißt aber auch: Fliegen statt Bahnfahren.
Zug als Alternative zum Flugzeug?
"Wir reden davon, dass der Flugverkehr reduziert werden soll", sagt Pro-Bahn Sprecher Neuß. "Dann müssen Großstädte aber auch im Stundentakt an den Fernverkehr angebunden sein." Natürlich müsse man differenzieren: Von einer Stadt wie Offenbach am Main sei man schnell in Frankfurt, ebenso von Mönchengladbach in Düsseldorf - da brauche es keinen Fernzug-Halt. In abgelegeneren Städten schon.
Auch davon gibt es immer noch einige: In Bremerhaven halten am Tag gerade einmal zwei IC, in Reutlingen ebenfalls. Trier ist komplett vom Fernverkehr abgeschnitten - mit Ausnahme eines luxemburgischen Fernverkehrszuges, der aber zwischen Trier und Koblenz nur als Regional-Express verkehrt.
Fahrgastvertreter fordern außerdem auch für Städte wie Krefeld eine bessere Anbindung. Krefeld liegt zwar ebenfalls nahe an Düsseldorf, hat aber deutlich über 200.000 Einwohner. Bisher halten hier am Tag zwei ICE - einer morgens, einer abends.
Bahn verweist auf neue Anbindungen
Die Deutsche Bahn verweist darauf, dass sie in den vergangenen Jahren einiges erreicht habe. Neben dem neuen IC-Halt in Chemnitz sei etwa auch die Stadt Siegen mittlerweile angebunden an den Fernverkehr. Ebenso Jena in Thüringen.
Für Fahrgastvertreter Neuß ist das zu wenig. Die Politik habe hier versagt. Seit der Bahnreform 1994 habe man das Schienennetz um ein Viertel reduziert, Infrastruktur nicht erneuert, Fernverkehrsstrecken würden rein nach Wirtschaftlichkeit eingerichtet oder eingestellt.
"Wir müssen sehr viel mehr Geld in die Bahn stecken", fordert er. Das sei auch im Interesse des ganzen Landes. "Bei einer neuen Straße in ein 150-Seelen-Dorf fragt keiner, ob das Sinn macht. Das wird gemacht, weil es Daseinsvorsorge ist", sagt Neuß. Mit der Schiene müsse das in Zukunft genauso gehandhabt werden, solle die Mobilitätswende gelingen.
Verkehrsministerium verweist auf DB-Konzern
Das Bundesverkehrsministerium wiederum verweist auf den bundeseigenen DB-Konzern. Vonseiten der Politik schaue man aber, dass die Ziele in Sachen Bahnverkehr erreicht werden - allen voran der ab 2030 schrittweise geplante Deutschlandtakt. "Ein Fernverkehrsanschluss ist gar nicht entscheidend", sagt ein Sprecher des Ministeriums im Gespräch mit tagesschau.de. "Wenn ich aus meiner Stadt in 30 Minuten mit der S- oder Regionalbahn zum nächstgrößeren Knotenpunkt komme und dort den Fernverkehrszug auch noch erreiche, ist das besser als nur zwei Fernverkehrsverbindungen pro Tag am eigenen Bahnhof." Viel zu oft scheitere es bisher aber noch genau daran: Die Fahrgäste kommen am Knotenpunkt an und der Anschlusszug sei weg.
Die Nachfrage nach einer besseren direkten Anbindung ans Fernverkehrsnetz bleibt deshalb in vielen Städten groß. Das zeigt der Jubel der Eisenbahnfans am Bahnhof Ravensburg, als der ICE am Sonntag um 15.05 Uhr wieder fahrplanmäßig weiterfährt.