Deutsche Bahn Chaos auf der Schiene - wie lange noch?
Zugausfälle, Schienenersatzverkehr: Alltag auf deutschen Schienen. Die Zahl der Gleisbaustellen steigt rasant. Angesichts vieler maroder Strecken ist das auch bitter nötig. Doch häufig scheint der DB-Konzern damit überfordert.
Rund die Hälfte aller Regionalzüge in Deutschland werden von privatwirtschaftlichen Firmen betrieben. So betreibt etwa die ODEG mit 80 Zügen 16 Regionallinien rund um Berlin und Brandenburg, unter anderem den RE1 zwischen Frankfurt Oder und Magdeburg. Weil die Deutsche Bahn (DB) diese Strecke saniert, wurde Monate im Voraus für 40 Streckenkilometer Schienenersatzverkehr organisiert.
Doch es kam anders, wie Roland Pauli, Geschäftsführer der ODEG berichtet: "Kurzfristig stellte sich heraus, dass an anderen Streckenteilen so viele weitere Baustellen geplant waren, dass auch dort kein sinnvoller Verkehr mehr möglich war. Dann wurden doch fast 80 Kilometer gesperrt und wir hatten nur eine Woche Zeit, zusätzlich nötige 50 Busse zu organisieren, mit den Unternehmen Verträge zu schließen, Kunden zu informieren." Entsprechend groß war dann auch das Chaos für die Fahrgäste. Ähnliche Zustände finden sich bundesweit regelmäßig.
"Von Beschleunigung wirklich nichts zu sehen"
Die DB selbst hat in ihrem Schienenzustandsbericht kürzlich veröffentlicht: Der Zustand vieler oft überalterter Strecken ist in Deutschland schlechter als in Nachbarstaaten. Daher begrüßen auch die privatwirtschaftlichen Zugbetreiber eine wachsende Bautätigkeit. Doch sie beklagen, die DB sei damit personell und organisatorisch überfordert. Die DB teilt selbst auf Anfrage mit: "Das Baupensum wächst massiv. (...) Diese Fälle bedauern wir und arbeiten daran, unsere Prozesse weiter zu verbessern."
Bundesverkehrsminister Volker Wissing, FDP, hat kürzlich erst 45 zusätzliche Milliarden zur Sanierung alter Strecken bewilligt - für drei Jahre. Und genau darin sieht die Branche ein entscheidendes Problem: Es fehlt an Personal und Gerät, um so schnell so viel zusätzlich zu bauen. Nicht nur bei der DB selbst. Welches der in Deutschland tätigen Gleisbau-Unternehmen würde für ein so kurzes Strohfeuer neues Personal und neue Maschinen anschaffen?
Langfristige Planung ist nötig, etwa ein dauerhaft angelegter Infrastrukturfonds, über Jahrzehnte. So etwas forderte die vom Bundesverkehrsminister vor einem Jahr eingerichtete "Beschleunigungskommission Schiene" schon vor Monaten. Einer der beteiligten: Tobias Heinemann, Präsident des Verbandes der Personenbahnen, MOFAIR. Er beklagt: "Leider muss ich sagen, dass bei der Umsetzung dieses Themas von Beschleunigung wirklich nichts zu sehen ist."
Neue Strategie mit Risiken und Nebenwirkung
Fast noch schlimmer trifft es Betreiber von Güterzügen. Private Firmen haben inzwischen einen deutlich größeren Marktanteil als die DB selbst. Ihre Züge müssen bei Gleisbauarbeiten Umwege fahren, über teils nicht elektrifizierte Strecken, für die dann zeitraubend und teuer auf Dieselloks umgespannt werden muss - mit Fahrzeiten, die von einem Lokführer nicht mehr legal bewältigt werden können und den Einsatz eines zweiten Zugführers erzwingen.
Die Betroffenen fürchten weitere Verschlechterung durch eine neue Baustrategie der DB. Die will künftig nicht mehr einzelne Gleise an mehrgleisigen Strecken Stückweise sperren, sondern Hunderte Kilometer Hauptstrecke komplett generalsanieren, weil das effizienter sei. Dann aber muss der gesamte Umleitungsverkehr monatelang über Strecken fahren, die für so viel Verkehr gar nicht ausgelegt sind. Güterzüge stehen dann oft stundenlang vor einzelnen Signalen, um auf Lücken zu warten.
Der Verband der Güterbahnen fordert darum: Wenn heute klar ist, dass in einigen Jahren ein Hauptkorridor komplett gesperrt wird, sollte die DB vorher die Umleitungen so ausbauen, dass sie den Verkehr auch aufnehmen können. Das sei auch langfristig sinnvoll, weil auch auf sanierten Strecken regelmäßig Störungen auftreten, Umleitungen nötig werden - und gut ausgebaute Alternativstrecken auch künftig wachsenden Verkehr aufnehmen könnten. Die DB teilt dazu mit, dass man solche Umleitungen ja durch Rückschnitt von Vegetation, Schienenschleifen und ähnliche Maßnahmen ertüchtigen würde. Doch mit dem, was laut Betreibern der Güterzüge nötig wäre, hat das nichts zu tun.
Wo bleibt die versprochene Reform?
Warum aber ist die DB hier sparsam? Während sie mit Fernverkehr und Güterzügen schon seit vielen Jahren nur noch Verluste einfährt, bringt ausgerechnet das marode Netz Milliardengewinn. Schließlich zahlen Zugbetreiber für jeden Kilometer gutes Geld - mehr, als die DB für die Strecken ausgibt. Schon lange fordern Experten, man müsse das Netz in ein eigenständiges staatliches Unternehmen ohne Gewinnerzielung umwandeln.
Im Koalitionsvertrag der Ampel wurde auch etwas ähnliches beschlossen. Das Netz soll Teil der DB AG bleiben, aber weitgehend eigenständig und ohne Gewinnabführung - ab Anfang 2024. Eine Gesetzgebung dafür wurde aber noch nicht begonnen. Eigentlich übliche Anhörung beteiligter Verbände und anderer Betroffener? Bislang Fehlanzeige. Das Bundesverkehrsministerium teilte dazu mit, man plane die Umstrukturierung innerhalb der DB ohne gesetzliche Maßnahmen. Sie werde wie geplant bis Ende dieses Jahres umgesetzt.
Neele Wesseln, Geschäftsführerin von NEE, dem Verband privater Güterbahnen, bleibt skeptisch: "Unsere Mitglieder bewältigen 60 Prozent des deutschen Schienengüterverkehrs. Trotzdem hat Minister Wissing mit unseren Mitgliedern bisher noch kein Gespräch geführt. Stattdessen führt er fast wöchentlich Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern der DB auch über die geplante Umstrukturierung. Wenn das so weitergeht, können wir uns nicht vorstellen, dass dort eine für uns sinnvolle Lösung umgesetzt wird."