Minister in Südamerika Eine grüne Brücke über den Atlantik
Bis zu 40 Prozent des deutschen Energiebedarfs könnten künftig durch erneuerbare Energien aus Brasilien gedeckt werden. Bundeswirtschaftsminister Habeck diskutierte während seines Besuchs vor allem einen vielversprechenden Energieträger.
Dürres, karges Gestrüpp, Kakteen, die Sonne brennt vom Himmel. Auf den ersten Blick eine trostlose und eintönige Gegend. Doch mitten in der Hügellandschaft in Brasiliens Bundesstaat Rio Grande do Norte ist Großes im Gange. Kräne ranken sich zwischen den Kakteen, es werden Schneisen durch das Buschland geschlagen und Straßen gebaut, an deren Rändern gigantische Masten aufgestellt und Leitungen gelegt werden: Windkraftanlagen schießen im Nordosten Brasiliens wie die sprichwörtlichen Pilze aus dem staubtrockenen Boden.
Ein Stück weiter weht bereits ein leichtes Surren durch die Luft. Die mehr als 70 Meter langen Rotorblätter drehen genüsslich ihre Kreise. Mindestens acht Monate im Jahr weht in dieser Gegend der Wind - garantiert. Perfekte Bedingungen also für Windkraft und ein Hoffnungsschimmer für die Bewohner dieser armen Region. Schon jetzt ist Rio Grande do Norte der größte Windenergie-Lieferant Brasiliens und hat eines der größten Windpotenziale der Welt, so Maira Zanduzzo vom portugiesischen Energieunternehmen EDP Renováveis.
Neue Energiepartnerschaft
Ortswechsel: Belo Horizonte am 12. März 2023. Ein volles Auditorium, dicht gedrängte Stuhlreihen, eine große Bühne, zusätzlich links und rechts zwei riesige Bildschirme. Die deutsch-brasilianische Wirtschaftselite kann ihn sehen und hören - den deutschen Vizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Der spricht bei den deutsch-brasilianischen Wirtschaftstagen von einem großen "Aufbruch".
Der deutsche Wirtschaftsminister ist zusammen mit Agrarminister Cem Özdemir sowie einer Unternehmerdelegation nach Brasilien gereist, um die deutsch-brasilianischen Wirtschaftsbeziehungen auf Nachhaltigkeit zu trimmen. Es gebe "viel zu diskutieren" über eine gemeinsame Energiekooperation bei Erneuerbaren.
"Von Brasilien können wir uns dabei eine Scheibe abschneiden", sagte Agrarminister Özdemir in Belo Horizonte selbskritisch. Was er meint: Südamerikas größte Volkswirtschaft produziert bereits heute seine Energie zu mehr als 80 Prozent aus erneuerbaren Quellen - vor allem durch Wasserkraft, Windenergie und Biomasse.
Großes Offshore-Potenzial
In Zukunft soll es noch viel mehr werden. In Rio Grande do Norte planen Forscher des öffentlichen Senai-Instituts für Erneuerbare gerade den Ausbau der Offshore-Windenergie. In den kommenden Jahren sollen vor der heimischen Küste Windparks entstehen, die 50 Gigawattstunden Strom produzieren. In ganz Brasilien soll das Offshore-Potenzial bei 700 Gigawattstunden liegen. Das Senai-Institut wird dabei seit Jahren von Deutschland unterstützt, beispielsweise von der deutschen Außenhandelskammer und der GIZ.
Angesichts des Potenzials spricht Minister Habeck vor den Wirtschaftsvertretern in Belo Horizonte von einer "grünen Brücke über den Atlantik", die entstehen soll. Er will einen industriellen Aufschwung über den Ausbau der Erneuerbaren erreichen - vor allem beim grünen Wasserstoff.
Der gilt als Energieträger der Zukunft und soll in den kommenden 30 Jahren bis zu 15 Prozent des europäischen Energiemixes ausmachen. Zum Beispiel in der chemischen Industrie, die ihre Prozesse dadurch klimafreundlich gestalten kann. Aber auch in der Stahlindustrie, wo grüner Wasserstoff die klimaschädliche Kohle ersetzen soll.
Zentrales Element für Pariser Klimaschutz-Ziele
Das aus Windenergie erzeugte Gas ist deshalb zentral für das Erreichen der Pariser Klimaschutzziele. Weil in Europa die Möglichkeiten der Produktion stark begrenzt sind, geht Habecks Blick Richtung Nordostbrasilien, wo es Wind und Sonne im Überfluss gibt.
Dort steht Ranieri Rodrigues vor einem kegelförmigen Apparat, der Daten über das Windpotenzial sammelt. Überall an der Küste hat der Senai-Forscher solche Windmessgeräten aufgestellt. Die Daten sollen Geldgeber überzeugen, in Rio Grande do Norte zu investieren. Seine Kollegin Fabiola Correia koordiniert das Projekts für nachhaltigen Flugzeugtreibstoff, das ebenfalls in Zusammenarbeit mit Deutschland steht.
Während viele Kooperationen noch Zukunftsmusik sind, kann eine gemeinsame Entwicklung schon bestaunt werden: Am Senai-Institut haben sie einen eBuggy entwickelt. Das klimafreundliche, batteriebetriebene Strandmobil wurde in Zusammenarbeit mit der Berufsschule für Gestaltung und Technik in Trier entworfen - im Rahmen einer Berufsbildungspartnerschaft des Bundesentwicklungshilfeministeriums und der Trierer Wirtschaftskammer. Sobald die Produktion in Serie geht, sollen die ersten Modelle auf der Naturschutz-Insel Fernando de Noronha eingesetzt werden, die vor der Küste im Atlantik liegt.
Die eBuggys sind in brasilianisch-deutscher Kooperation entwickelt worden und sollen auf der brasilianischen Naturschutz-Insel Fernando de Noronha zum Einsatz kommen.
Win-Win-Situation durch Zusammenarbeit?
Aus Habecks Sicht wird die Zusammenarbeit Brasiliens mit Deutschland eine Win-Win-Situation sein: Brasilien erhalte Technologien und Investitionen - und könne so saubere Energieträger nach Deutschland exportieren. Schon jetzt profitieren deutsche Unternehmen wie Thyssenkrupp vom beginnenden Boom beim grünen Wasserstoff. Der Konzern kündigte an, seine Elektrolyseur-Produktion in Brasilien anzukurbeln, weil die Nachfrage groß sei. Thyssenkrupps Partner Unigel will dank der Anlagen aus deutscher Fertigung demnächst mit der ersten kommerziellen Produktion für grünen Wasserstoff an den Start gehen.
Bei aller Aufbruchsstimmung gibt es aber auch offen Fragen: Bislang gibt es noch keinen großen Markt für grünen Wasserstoff. Zudem müssen für den Export logistische Fragen geklärt werden. In Rio Grande do Norte fehlt ein Hafen, um grünen Wasserstoff - heruntergekühlt und verflüssigt auf minus 253 Grad - von Brasilien nach Europa transportieren zu können.
"Es darf keinen unfairen Energiehandel geben"
Auch soziale Fragen müssten bedacht werden, fordert Maureen Santos von der katholischen Universität (PUC) in Rio de Janeiro. "Es darf keinen unfairen Energiehandel geben auf Kosten der Brasilianer*innen wie zur Kolonialzeit." Ein erheblicher Teil der Industrieproduktion müsse in Brasilien stattfinden, sagt die Politikwissenschaftlerin.
Und dennoch: Minister Habeck zeigt sich optimistisch. Die Aufgaben seien groß, doch der Blick in die Vergangenheit mache Mut. Die Tradition der deutsch-brasilianischen Beziehungen sei menschengemacht, vieles sei möglich. Der Saal applaudiert, die Aufbruchstimmung bei den Wirtschaftsvertretern ist spürbar. Währenddessen kreisen die Rotorblätter in Rio Grande do Norte weiter. Die "grüne Brücke" kann kommen.