Verkehrspolitik U-Bahn-Projekte ohne Nutzen fürs Klima?
Im Haushalt drohen Milliardenlöcher, die auch Klimaschutz-Investitionen betreffen. Gleichzeitig werden Milliarden in U-Bahn-Projekte gepumpt, deren Nutzen laut Monitor-Recherchen umstritten ist.
Neue U-Bahnen gelten in vielen Großstädten als entscheidender Schritt für eine klimafreundliche Verkehrswende. Eine deutschlandweite Umfrage des ARD-Magazins Monitor zeigt: In sieben der zehn größten deutschen Städte werden aktuell Tunnelprojekte für S- und U-Bahnen gebaut oder geplant. Megaprojekte, die oft Jahrzehnte dauern und viele Milliarden kosten.
Kostenexplosionen bei Tunnel-Projekten
In München etwa wird der Tunnel für eine zweite S-Bahn-Strecke gebaut. Die sogenannte 2. Stammstrecke. Bei Baubeginn wurden dafür rund 3,2 Milliarden Euro veranschlagt, heute rechnet man mit 8,5 Milliarden. In Hamburg haben die Bauarbeiten für die neue U-Bahn-Linie 5 begonnen. Auf rund 25 Kilometer soll der Tunnel die Hafenstadt unterqueren. Schon ein Jahr nach Baubeginn sind die Kosten allein für die ersten fünf Kilometer von 1,8 Milliarden Euro auf rund 2,8 Milliarden gestiegen, die Gesamtkosten werden auf 16,5 Milliarden Euro taxiert.
Köln baut trotz Stadtarchiv-Einsturzes weiter
Und auch in Köln könnte es einen neuen U-Bahn-Tunnel geben, auf der sogenannten Ost-West-Achse. Über 800 Millionen Euro soll das kosten. Fertigstellung: frühestens 2040. Zwar wird auch der Ausbau einer oberirdischen Variante geprüft. Doch Stadt und Verkehrsbetriebe bevorzugen nach Presseberichten offenbar einen Tunnel.
Dabei hat die Stadt Köln das Debakel um den letzten Tunnelbau noch gar nicht verdaut. Beim Bau einer unterirdischen Nord-Süd-Verbindung war 2009 das Kölner Stadtarchiv mitsamt angrenzenden Gebäuden eingestürzt, zwei Menschen starben. Fertig ist der U-Bahn-Tunnel bis heute nicht. Die Kosten haben sich von 550 Millionen inzwischen auf 1,3 Milliarden Euro mehr als verdoppelt - ohne die Zusatzkosten wegen des eingestürzten Stadtarchivs.
Hohe CO2-Emissionen durch Tunnelbau
Jahrzehntelange Bauzeiten, Milliardenkosten beim Tunnelbau im ÖPNV: Begründet wird das immer wieder mit der nötigen Verkehrswende und dem Klimaschutz. Fachleute bestreiten das, denn für den Tunnelbau werden große Mengen Stahlbeton verwendet. Und die Herstellung von Stahl und Beton verursacht immense CO2-Emissionen - ist also enorm klimaschädlich.
Eine Studie für verschiedene Verbände und Umweltorganisationen aus dem Jahr 2020 hat die Klimabilanz der Berliner U-Bahn-Planungen untersucht. Der Neubau eines durchschnittlichen Kilometers U-Bahn-Tunnel setzt danach rund 80.000 Tonnen CO2 frei. Der Studie zufolge müssten die Bahnen mindestens rund 90 Jahre fahren, bis sie beginnen, sich ökologisch beziehungsweise klimapolitisch zu lohnen.
"Deswegen ist es absurd in einer Zeit der Klimawende permanent Tunnel bauen zu wollen", sagt der Verkehrsforscher Heiner Monheim, "klimapolitisch passt das überhaupt nicht."
U-Bahnen für mehr Fahrgäste?
Für den unterirdischen Ausbau des ÖPNV sprechen aus Sicht von Städten und Verkehrsbetrieben häufig Kapazitätsgründe. Nur mit einer unterirdischen Verbindung sei man in der Lage, in Spitzenzeiten auf der Strecke eine ausreichende Zahl an Menschen zu transportieren, schreibt etwa die Hamburger Verkehrsbehörde auf Anfrage. Kritiker bezweifeln das.
Der Verkehrsexperte Jens Ode hat das U-Bahn-Projekt in Hamburg Auftrag der Hamburger Linken analysiert. "Für einen Bruchteil der Baukosten, für drei Milliarden Euro würden man in Hamburg 150 Kilometer Straßenbahn bekommen", so Jens Ode. "Völlig klimafreundlich, schnell gebaut, bequem für alle."
Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages merkte 2018 in einem Sachstandsbericht zur Finanzierung des U-Bahn-Baus an, dass ein Kilometer U-Bahn-Neubau bis zu 300 Millionen Euro koste, während ein Kilometer Straßenbahn schon für zehn Millionen Euro möglich sei.
Auch andere Verkehrsforscher fordern daher eine Abkehr vom teuren U-Bahn-Bau. Stattdessen sollten oberirdisch die Bus- und Straßenbahnlinien ausgebaut werden. Doch dafür fehle den Städten häufig der politische Wille: "Das geht nur, wenn man im Konflikt mit dem Autoverkehr endlich den Mut hat, dem Autoverkehr Flächen wegzunehmen", so Verkehrsexperte Monheim.
Kosten und Nutzen schöngerechnet?
Dass viele Kommunen trotzdem nach wie vor auf milliardenschwere Tunnelprojekte setzen, liegt auch an der Förderpolitik des Bundes und der Länder. Die Stadt Hamburg etwa rechnet damit, dass etwa 70 Prozent der Baukosten für die neue U-Bahn vom Bund übernommen werden. Über verschiedene Fördertöpfe zahlt der Bund für den ÖPNV-Ausbau Milliarden Fördergelder pro Jahr an Länder und Gemeinden.
Voraussetzung für die Förderung von Neubauprojekten ist dabei eine positive Nutzen-Kosten-Analyse - also die Erwartung, dass die Investitionen einen wirtschaftlich positiven Ertrag erwarten lassen. Doch das positive Ergebnis hängt oft an Annahmen und Kriterien, die sich später oft als Trugbild erweisen.
Bei der 2. Stammstrecke in München etwa musste die Nutzen-Kosten-Untersuchung infolge der Kostenexplosion mehrfach erneuert werden. "Man hat den Eindruck, dass man so lang an Details herumgefeilt hat und Dinge verändert hat, bis dann der gewünschte Nutzen-Kosten-Wert erreicht wurde", sagt Verkehrsberater Martin Vieregg, der selbst mehrere Studien zur zweiten Stammstrecke erstellt hat.
Die Deutsche Bahn als Bauherr der zweiten Stammstrecke räumt zu positive Erwartungen bei den Kosten sogar ein: "Die Annahmen zum Zeitplan und den Kosten (...) beruhten seinerzeit auf den damals vorhandenen Erkenntnissen - sie mögen rückblickend zu optimistisch gewesen sein."
Fördermittel: Bund hat offenbar keinen Überblick
Der Bund, der für ÖPNV-Projekte Milliarden an Fördermitteln dazu schießt, hat selbst offenbar keinen Überblick, wie viel Geld er für welche ÖPNV Vorhaben ausgibt und wie die Gelder tatsächlich eingesetzt werden.
Der Bundesrechnungshof hat das bereits im Jahr 2022 in einem Gutachten deutlich kritisiert: "Der Bund weiß derzeit nicht, mit wie viel Mitteln er den ÖPNV insgesamt finanziert. Es ist nicht möglich, die Zielerreichung im Verkehr sowie im Klimaschutz ausreichend zu kontrollieren und Maßnahmen erforderlichenfalls anzupassen", heißt es in dem Bericht.
Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auf Monitor-Anfrage reicht das zuständige Bundesverkehrsministerium den Vorwurf aber an die Länder weiter. Man arbeite aber gemeinsam an "mehr Transparenz und gegebenenfalls auch Effizienz in der Mittelverwendung".
Straßenbahn in Straßburg
Dass es auch anders geht, zeigt der Blick ins Nachbarland Frankreich, nach Straßburg. Hier wurde in den vergangenen Jahrzehnten der Straßenbahnausbau massiv vorangetrieben. Dabei wurde seinerzeit auch in Straßburg über den Bau einer U-Bahn diskutiert, erzählt Pia Imbs, die Präsidentin der Metropolregion Straßburg. Doch die Bürger sprachen sich für das Straßenbahnkonzept aus. "Das hat die Stadt verwandelt und schöner gemacht. Und es war billiger".
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