Rekordhohe Teuerungsraten Was die Inflation für den Einzelnen bedeutet
Jahrzehntelang spielte die Inflation im Alltag der Menschen eine untergeordnete Rolle. Jetzt geht sie durch die Decke und bereitet vielen Kopfzerbrechen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was sind die Ursachen für die hohe Inflation?
In einer Inflation verliert das Geld an Wert. Erkennbar wird das an steigenden Preisen. Der Grund dafür ist ein aus dem Gleichgewicht geratenes Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage. Es liegt nahe, den Ukrainekrieg und die Sanktionen gegen Russland für die Lage verantwortlich zu machen. Die Inflation begann aber schon lange davor, und der Auslöser hängt mit der Corona-Pandemie zusammen.
Lieferkettenprobleme ließen die Produktion ins Stocken geraten. Die Nachfrage nach unterschiedlichsten Produkten war plötzlich größer als das Angebot. Dadurch stiegen die Preise. Zusätzlich herrscht schon seit Jahren Fachkräftemangel in vielen Branchen, was die Löhne in die Höhe treibt, die wiederum auf die Preise umgelegt werden. Und dann kamen noch die Sanktionen gegen Russland hinzu. Energie wurde knapp, und auch hier gilt: Wenn die Nachfrage größer ist als das Angebot, ist Inflation die Folge.
Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich Unternehmensbesteuerung und öffentliche Finanzwirtschaft beim Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). Neben den drei genannten Inflationstreibern sieht er einen weiteren Effekt: "Hinzu kommt etwas, was die Ökonomen Zweitrundeneffekte nennen. Die hohen Einkaufspreise für Energie und Vorprodukte treiben die Preise auch bei anderen Produkten und Dienstleistungen. Die Inflation ist sehr breit geworden und betrifft inzwischen praktisch alle Güter und Dienstleistungen." Wenn jetzt auch noch Lohnerhöhungen im bis zu zweistelligen Prozentbereich durchgesetzt werden, könnte auch das die Preise nochmal erhöhen - dieses Phänomen nennt sich Lohn-Preis-Spirale.
Folgt auf die Inflation eine Rezession?
Die Inflation macht alle ärmer, weil die Kaufkraft nachlässt. Einkommen und Ersparnisse von Privatleuten verlieren an Wert, ebenso das Eigenkapital von Unternehmen - Anschaffungen und Investitionen werden verschoben, die Umsätze der Industrie gehen zurück. Wenn nicht gegengesteuert wird, droht eine Rezession.
Was tut man gegen die Inflation?
Die Zentralbanken haben zwei Instrumente, um die Inflation zu bekämpfen: Zinserhöhung und Schrumpfung der Geldmenge. Steigende Zinsen sollen bewirken, dass die Menschen mehr sparen und die Nachfrage sinkt. Doch wer jetzt jeden Cent zum Leben braucht, spart auch nicht bei hohen Zinsen.
Die Geldmenge schrumpft, wenn der Staat weniger Anleihekäufe realisiert, also weniger Geld in Umlauf bringt. Doch derzeit wirft der Staat durch Rettungsschirme und Hilfspakete mit Geld nur so um sich, um die Menschen und Unternehmen vor den Folgen der steigenden Preise zu schützen, die es aus eigener Kraft nicht schaffen. ZEW-Experte Heinemann folgert daraus:
Die Knappheit macht uns alle ärmer, und daran kann niemand etwas ändern - diesen Wohlstandverlust muss die Gesellschaft hinnehmen. (…) Eine ehrliche Politik muss den Menschen der Mittelschicht und darüber aber klar sagen: Es gibt jetzt vermutlich zwei oder drei Jahre, in denen Euer Wohlstand sinken wird.
Kann diese Inflation zum Umdenken führen?
Nicht zu vergessen ist ein Effekt, der langfristig sehr erwünscht sein wird. Die Fachwelt spricht von "Greenflation". Zunächst treibt dieser Effekt die Preise zusätzlich in die Höhe, weil in der Energiekrise weniger Gas und Öl nach Europa gelangen, das Angebot bei gleichbleibender Nachfrage also sinkt und die Energiepreise steigen.
Das führt aber gerade zu massivem Umdenken in der Energiepolitik - Stichwort Abhängigkeiten und Energiewende! Mittelfristig könnte die Inflation also zu einem deutlich schnelleren Ausbau regenerativer Energien vor der eigenen Haustür führen und die Preise in der Zukunft stabilisieren.
Leiden alle unter der Inflation?
Selbst wenn das Geld aller an Wert verliert, wird die Inflation einige reicher machen. Verlierer sind alle ohne große Rücklagen, die jetzt alles aufbrauchen, um über die Runden zu kommen. Alle, die ihre Ersparnisse zu niedrigen Zinsen angelegt haben. "Deren realer Wert schmilzt wie Schnee im Frühling", so Heinemann. Verbraucherzentralen und Schuldnerberatungen stellen fest, dass derzeit auch Menschen, die früher keine Geldprobleme hatten, zu ihnen kommen, um die Krise besser zu meistern.
Inflationsgewinner sind in der Regel Schuldner, denn auch Kredite, mit denen in der Vergangenheit zum Beispiel eine Immobilie gekauft wurde, schrumpfen zusammen, wenn das Geld an Wert verliert. Im allgemeinen Preisanstieg werden normalerweise auch Immobilien wertvoller, und viele Arbeitgeber gleichen ihren Angestellten die Inflation zumindest teilweise durch Lohnerhöhungen aus. Ersteres ist allerdings unsicher, weil der Immobilienmarkt vor der Inflation schon überhitzt und Häuser sehr teuer waren.
"Ist die Immobilienfinanzierung aber möglicherweise schon recht eng kalkuliert und wird dann das verfügbare Budget durch die steigenden Preise noch knapper, sodass die Kreditraten nicht mehr bedient werden können, besteht die Gefahr, dass die Menschen dadurch dann schnell in größere finanzielle Schwierigkeiten kommen,” sagt Nicole Schrank von der Verbraucherzentrale Rheinland-Pfalz,. "Eine hohe Inflation sollte daher grundsätzlich auch nicht zum Schuldenmachen verführen."
Ein Inflationsgewinner ist der Staat, der seine Staatsschulden mit dem billigen Geld deutlich leichter tilgen kann als vorher - wobei sich die Neuaufnahme von Schulden natürlich durch die höheren Zinsen verteuert.
Worauf sollte man in der Inflation achten?
Alle Fachleute sind sich in einem Punkt einig: Ruhe bewahren! Zwar werden die meisten Arbeitgeber ihren Angestellten keinen vollen Inflationsausgleich in die Lohntüte legen können - das wäre das Aus für viele Unternehmen und würde die Preise zusätzlich wie in einem Teufelskreis antreiben. Aber vieles spräche dafür, dass die Wirtschaft sich von dem Preisschock erholen könne. "Nach den derzeitigen Daten ist nicht mit einer Rezession wie in der Finanzkrise 2009 oder der Coronapandemie 2020 zu rechnen", so ZEW-Ökonom Heinemann.
Und die Verbraucherzentrale rät, "sich einen Überblick über seine derzeitige Finanzlage und sein Konsumverhalten zu verschaffen. Ein Haushaltsbuch kann dabei behilflich sein. Kostenfresser entlarven und Sparpotenziale nutzen."
Und wann wird alles wieder normal?
Am Anfang der Inflation hatte sich die Europäische Zentralbank bereits mächtig vertan, als sie von einer "kurzfristigen Inflation" sprach und die Zinsen sehr lange niedrig hielt. Ein Jahr und zwei Zinserhöhungen später spricht sie für 2023 nun von einer Inflation von durchschnittlich 5,5 Prozent und von einer Normalisierung im Jahr 2024. Ähnlich sieht das auch Wirtschaftsforscher Heinemann: "Ich rechne damit, dass wir den Inflations-Gipfel um die Jahreswende erleben und dann auch die 10-Prozent-Marke geknackt wird. Mit etwas Glück und einem milden Winter sollte es dann aber langsam abwärts gehen."