Schuldneratlas von Creditreform Weniger Überschuldung - doch Experten warnen
Trotz der vielen Krisen ist die private Verschuldung auf einem Rekordtief - unter anderem wegen staatlicher Hilfen. Allerdings warnen Fachleute vor einer versteckten Trendumkehr.
Zum fünften Mal in Folge ist die Zahl der überschuldeten Verbraucher in Deutschland gesunken: um 233.000 auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Auswertungen vor rund 20 Jahren. Das geht aus dem neuen Schuldneratlas der Wirtschaftsauskunftei Creditreform hervor. Dieser Rückgang sei bundesweit in fast allen deutschen Kreisen und Städten und Altersgruppen zu beobachten, heißt es im Schuldneratlas. Als Gründe sehen die Fachleute von Creditreform die Milliarden-Hilfsprogramme des Staates, den höheren Mindestlohn und das Bürgergeld: Das habe gerade ärmere Haushalte spürbar entlastet. Die hätten sich außerdem häufiger mit Ausgaben zurückgehalten.
Neue Statistik und mehr "weiche" Überschuldung
Und dennoch warnt der Leiter der Wirtschaftsforschung bei Creditreform, Patrick-Ludwig Hantzsch: "All das klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Und das ist es auch." Denn es sei auch eine Umstellung in der Statistik, die dafür gesorgt habe, dass die Zahlen besser aussähen, als sie in Wirklichkeit seien. Denn tatsächlich habe es 17.000 Fälle mehr gegeben, in denen sich Menschen überschuldet hätten. "Das klingt nicht viel, und in absoluten Zahlen mag es das auch nicht sein, aber in Kombination mit weiteren Indikatoren ist das für uns tatsächlich eine echte Trendumkehr", sagt Hantzsch.
Allerdings sei diese Trendumkehr verdeckt, weil sie sich gerade erst abzeichne. Den Schuldenexperten ist aufgefallen, dass aktuell wieder mehr Menschen Probleme haben mit so genannter weicher Überschuldung: Diese Fälle tauchen noch nicht in der Statistik auf, nicht der Gerichtsvollzieher wurde noch nicht aktiv, es laufen aber bereits mehrere Mahnungen- und Inkassoverfahren.
Kreditaufnahme inzwischen auch für kleine Summen
Das beobachtet auch Roman Schlag. Seit mehr als 30 Jahren arbeitet er in der Schuldnerberatung der Caritas. Einen wichtigen Grund, dass dort die Nachfrage nach Terminen zuletzt um 30 Prozent gestiegen ist, sieht er in der hohen Inflation. "Seit Ende des letzten Jahres merken wir in den Beratungsstellen immer wieder eine erhöhte Nachfrage. Auch von Personen und Familien mit einem mittleren Einkommen, die bisher ohne diese Teuerungsraten vielleicht nicht in eine Schieflage geraten und wahrscheinlich nie in die Situation gekommen wären, eine Schuldnerberatungsstelle aufzusuchen."
Wenn Menschen Schuldenprobleme bekommen, dann sind die Hauptgründe zwar meist der Verlust des Arbeitsplatzes, Scheidung, Krankheit oder dauerhaftes Niedrigeinkommen. Aber Schuldnerberater Schlag nennt noch etwas, das auch den Schuldenfachleute von Creditreform Sorgen bereitet: die stark steigende Nachfrage nach Ratenkrediten, die Menschen auch für kleine Summen in Anspruch nehmen. "Das beinhaltet ein großes Risiko und bedarf einer sehr guten und soliden Haushaltsführung. Wenn die nicht gegeben ist, kann man ganz schnell in eine Schieflage geraten."
Lockangebote für junge Konsumenten
Gefährlich sei auch der Trend "Jetzt kaufen, später bezahlen". Diese Bezahlungsmöglichkeit werde gerade im Onlinehandel angeboten und richte sich gezielt an Jüngere, kritisiert Schlag. Tatsächlich, sagt Creditreform, sei die Gruppe der unter 30-Jährigen schon jetzt die einzige Altersgruppe, bei der auch nach alter Statistik die Verschuldung leicht angestiegen ist - erstmals seit 2013. Das sei eine Gefahr und Warnsignal. Denn während Jüngere im Schnitt mit 6.000 Euro Schulden beginnen, sind es bei Älteren dann schon 31.000 Euro.
Auch wenn die Zahl der Überschuldungsfälle insgesamt zurückgegangen ist: Unter dem Strich sind es aktuell 5,7 Millionen Erwachsene, die Probleme haben, regelmäßig ihre Rechnungen zu bezahlen. Das sind acht Prozent aller Erwachsenen. Und bald, so fürchtet Forschungsleiter Hantzsch von Creditreform, könnten es wieder mehr werden: "Es wird mehr Überschuldung geben. Wie viel mehr - das ist die große Frage."