Die Beschlüsse des Euro-Gipfels Auf dem Weg zu gemeinsamen Schulden?
Die Kritik an den Entscheidungen des Euro-Gipfels ist, trotz des Jas von Bundestag und Bundesrat zu ESM und Fiskalpakt, zum Teil deutlich: Steuerzahler hafteten nun noch mehr für Banken, andere Beschlüsse seien ein großer Schritt in Richtung Vergemeinschaftung von Schulden, sagen Politiker und Ökonomen. Warum sie damit nicht ganz falsch liegen und warum es auch Eurobonds eigentlich längst gibt, erklärt tagesschau.de.
Von Ralph Sartor, tagesschau.de
Es war bisher eine der "roten Linien", hinter die die Bundesregierung eigentlich nicht zurückweichen wollte: Der ESM kann zwar Kredite für die Sanierung notleidender Banken ausgeben, aber das nur auf quasi indirektem Weg. Ein Staat, der seine Banken stützen wollte - wie in der Vergangenheit beispielsweise Irland - muss selber ein Darlehen beim Fonds beantragen. Er haftet also für die Rückzahlung und muss Auflagen erfüllen, deren Umsetzung von der Troika überwacht wird.
Dieser Umweg soll künftig wegfallen. Banken können dann direkt Hilfen beim ESM beantragen. Vorher soll, unter Einbeziehung der Europäischen Zentralbank (EZB), eine einheitliche Aufsicht für Banken des Euroraums eingerichtet werden. Dies soll "dringlich bis Ende 2012" geschehen. Sobald diese Bankenaufsicht eingerichtet ist, soll der Euro-Rettungsfonds die Möglichkeit haben, angeschlagene Banken direkt mit Kapital zu versorgen.
Freifahrtschein für Banken?
Insbesondere an diesem Punkt entzündet sich die Kritik: "Wir stehen nun für die Rückzahlung der Schulden der südeuropäischen Banken ein", sagte Ifo-Präsident Hans-Werner Sinn dem "Handelsblatt". "Der deutsche Staat wird immer tiefer in die südeuropäische Krise hineingezogen, und die Investoren aus aller Welt, die sich verspekuliert haben, können sich noch in letzter Minute aus dem Strudel befreien", sagte Sinn. Die Finanzmärkte seien nun beruhigt, ja geradezu euphorisch, weil ein Weg gefunden wurde, das deutsche Vermögen zu verbrauchen.
Der Währungsexperte des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Henning Völpel, sagte der Nachrichtenagentur dapd, die geplanten Hilfen könnten zwar kurzfristig dazu dienen, angeschlagene Banken zu retten, den Finanzsektor von Krisenstaaten zu stabilisieren und die Eurokrise insgesamt zu dämpfen. Grundsätzlich sei die Ausweitung der gemeinschaftlichen staatlichen Haftung auf privatwirtschaftliche Akteure wie die Banken aber problematisch. "Sie führt zum weiteren Auseinanderklaffen von Verantwortung und Haftung für eigenes Handeln. In der Vergangenheit haben wir gerade im Bankensektor zu wenig Haftung für die Folgen des eigenen Handels gehabt. Wenn den Banken ein Freifahrtschein gegeben wird, muss am Ende der europäische Steuerzahler für die Risiken haften, die Banker eingehen", sagte Völpel.
Die Befürworter des Beschlusses verweisen auf Spanien - dort müssen die Banken mit immer weiteren Milliarden gestützt werden, was die Staatsschulden des Landes weiter erhöht und für eine Verschärfung der Krise sorgt. Bekämen die Banken nun direkte Hilfen aus dem ESM, würde das die Schuldenquote des Staates nicht beeinträchtigen und, so die Hoffnung, dazu führen, dass Spanien sich wieder leichter und zu günstigeren Zinsen refinanzieren kann.
Bailout und Eurobonds durch die Hintertür
Die Zinsen der Krisenstaaten drücken - das ist auch das Ziel einer weiteren Maßnahme. Künftig sollen ESM und der vorläufige Rettungsfonds EFSF ohne zu strikte Auflagen Staatsanleihen von Eurostaaten kaufen können. Diese Regelung soll vom Sommer an bereits gelten. Wer die Hilfen in Anspruch nimmt, muss nur die Haushaltsempfehlungen der EU-Kommission einhalten - und anders als etwa Griechenland kein strenges Reformprogramm einhalten. Der Grundgedanke ist: Wenn durch den Rettungsfonds ein weiterer Käufer auf dem Markt ist, steigt die Nachfrage und die Zinsen sinken.
Klar ist aber auch: Damit werden die Schulden vergemeinschaftet. Denn wenn der ESM Staatsanleihen von Krisenstaaten kauft, heißt das nichts anderes, als dass er Gläubiger dieses Staates wird. Und das Geld, mit dem der Fonds das tut, kommt entweder aus den anderen Staaten oder die anderen Staaten haften dafür. Die anderen Staaten geben also das Geld ihrer Steuerzahler nicht direkt als Kredite weiter - aber indirekt.
Und da sich bereits jetzt der EFSF und künftig auch der ESM das von ihnen für Hilfspakete und eventuelle Käufe von Staatsanleihen benötigte Geld selber über die Ausgabe von Anleihen besorgen müssen, sind de facto die von der Bundesregierung so vehement abgelehnten Eurobonds - also gemeinsame europäische Staatsanleihen - längst Realität. Denn für die EFSF-Bonds haften anteilig alle Staaten gemeinsam - und nicht die Krisenstaaten, für deren Finanzierung die Bonds ausgegeben werden. Die sogenannte No-Bailout-Klausel, nach der ein Euro-Staat nicht für die Schulden eines anderen haften darf, wird also noch stärker ausgehebelt als das ohnehin schon der Fall ist.
Der ESM soll nicht mehr Top-Gläubiger sein
Weiterer Gipfelbeschluss: Bei der von Spanien beantragten Hilfe soll der Rettungsfonds auf seinen Status als bevorrechtigter Gläubiger verzichten. Bisher waren die Kredite an diesen Status geknüpft - im Falle einer Zahlungsfähigkeit des Krisenstaates hätten also die Forderungen des Fonds' Vorrang vor zum Beispiel den Forderungen privater Gläubiger an diesen Staat gehabt. Dieser Vorrang, so die Gipfelteilnehmer, halte eben private Investoren davon ab, Staatsanleihen dieser Staaten zu kaufen, da sich ihr Risiko noch weiter erhöht. Nun erhöht sich also stattdessen das Risiko des Rettungsfonds. Das sei "eine gute Nachricht für die privaten Gläubiger, aber keine gute Nachricht für die Steuerzahler", sagte der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach.
Wie sicher sind die geplanten Kontrollmechanismen?
Alle diese Beschlüsse sind schon recht konkret - auch, wenn sie überwiegend noch nicht Bestandteil der aktuell ratifizierten ESM-Version sind und daher das Gesetzgebungsverfahren noch durchlaufen müssen. Bei den Kontrollmechanismen bleibt es aber eher schwammig - es fehlen noch fast alle Details: Die Bankenaufsicht beispielsweise soll kommen und bei der EZB angesiedelt werden. Aber wie soll das Gremium arbeiten, wie soll es besetzt sein, welche Vollmachten und Sanktionsmöglichkeiten soll es haben - und wer wird es leiten? All das ist noch offen, und damit steht und fällt die Effektivität dieser Aufsicht. Zudem bezweifeln Kritiker, ob die EZB die richtige Stelle für ein solches Gremium ist. Denn die Aufgabe der Zentralbank ist nicht die Bankenkontrolle, sondern die Geldwertstabilität.
Zweifel gibt es auch an den Kontrollmechanismen für die neuen, erleichterten Hilfen: Wer den Kauf von Staatsanleihen durch den Rettungsfonds beantragt, muss die Grundsätze der guten Haushaltsführung erfüllen und den Empfehlungen der EU-Kommission entsprechen. Doch wie sicher ist eine solche Kontrolle? Der Umgang der Eurostaaten mit den - eigentlich ebenfalls "bindenden" - Maastricht-Kriterien und den bei Nichtbeachtung vorgesehenen Strafen lässt zumindest einige Befürchtungen zu.
Kommt denn nun mehr gemeinsame Wirtschaftspolitik?
Die Bundesregierung feierte die Gipfelbeschlüsse als Schritt hin zu einer stärker und besser koordinierten Wirtschafts- und Finanzpolitik. Der Gipfel verständigte sich darauf, die Zusammenarbeit zu vertiefen, um "künftige Krisen zu verhindern". EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy soll im Oktober ein detailliertes Papier vorlegen, das unter anderem Schritte auf dem Weg zu einer Fiskalunion skizziert, in der die Eurostaaten in der Haushaltspolitik Macht an Brüssel abgeben. Ob diese Vorschläge so aussehen, wie das bereits vorliegende Papier von Van Rompuy und den Chefs von EU-Kommission, EZB und Eurogruppe, ist noch unklar.
Was aber bereits jetzt ein klares Gipfelsignal ist: Die Aufspaltung der EU geht weiter, die Eurozone setzt sich immer mehr von der anderen Staaten ab. Dieses Tendenzen waren bereits beim Gipfel im Oktober vergangenen Jahres deutlich geworden - dort wurden erstmals eigene Strukturen für die Staaten der Eurozone verabredet. Mit der Schaffung einer eigenen Bankenaufsicht für die Institute der Eurozone wird das nun verstärkt. Und auch bei der Einführung einer Finanztransaktionssteuer sind bislang die Euroländer die treibende Kraft.