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Analyse

Geplante Chipfabrik in Magdeburg Eine Chance nicht nur Ostdeutschland

Stand: 15.03.2022 16:46 Uhr

Mit der angekündigten 17-Milliarden-Investition des US-Chipherstellers Intel in Sachsen-Anhalt steht dem ostdeutschen Bundesland ein Kulturwandel bevor. Die Ansiedlung hat zugleich Auswirkungen auf ganz Europa.

Eine Analyse von Thomas Vorreyer, mdr

Die Dimensionen sind enorm. Für 17 Milliarden Euro sollen zwei sogenannte Megafabriken in Sachsen-Anhalts Hauptstadt Magdeburg entstehen. Das ist mehr Geld, als im gesamten Landeshaushalt des ostdeutschen Bundeslands steckt. Und weit mehr als das, was Tesla gerade in Brandenburg investiert.

Das in Deutschland beispiellose Projekt, das der Chipkonzern Intel heute vorstellte, ist Kern eines zunächst 30 Milliarden Euro, langfristig sogar 80 Milliarden Euro schweren Investmentplans. Damit will der US-Hersteller eine eigene europäische Chip-Produktion aufbauen.

Mehr Sicherheit für die EU-Chipproduktion

Für die Europäische Union bedeutet die Entscheidung mehr Versorgungssicherheit bei den so wichtigen Halbleitern, mehr Unabhängigkeit in Weltkrisen. Gleichzeitig geht von der Ansiedlung das Signal aus, dass Deutschland weiterhin zentraler Platz ist für Schlüsseltechnologien in Europa.

Am größten werden die Auswirkungen aber auf Sachsen-Anhalt und die Stadt Magdeburg sein. Dem Land könnte ein Kulturwandel bevorstehen. "Land der Frühaufsteher" - diesen eigenwilligen Titel verpasste sich Sachsen-Anhalt einst selbst. Was die Image-Kampagne verschwieg: Viele Menschen zwischen Altmark und Burgenland stehen so früh auf, weil sie pendeln müssen, zu den großen Autowerken in Wolfsburg und Leipzig etwa. Das dürfte sich nun ändern.

Tausende Jobs entstehen

Laut Intel-Chef Pat Gelsinger sollen allein 7000 Jobs beim Bau der beiden Fabriken entstehen, 3000 dann in der Produktion selbst. Plus "Zehntausende" weitere Arbeitsplätze in Zulieferbetrieben. Damit wäre Intel auf einen Schlag der größte Industrie-Arbeitgeber in Sachsen-Anhalt.

Die Ansiedlung wird die Region internationaler machen - nicht nur, weil viele Fachkräfte aus dem Ausland nach Magdeburg ziehen dürften. Im Magdeburger Stadtrat probierten sich Lokalpolitiker bereits an englischen Reden. “Wir werden eine europäische Stadt werden”, sagt Magdeburgs Oberbürgermeister Lutz Trümper von der SPD. Intel selbst, so heißt es, wolle etwa mehr "Diversity" an der Universität Magdeburg. Schon jetzt kommt mehr als ein Viertel der Studierenden hier nicht aus Deutschland. 

Von der Universität und der Hochschule Magdeburg-Stendal kommen viele gut ausgebildete Absolventen der Elektro-, Informations- und Systemtechnik sowie der Informatik und Physik. Demnächst dürften einige Stiftungsprofessoren dazukommen. Die Universität wird ihre bereits bestehende Halbleiter-Forschung möglicherweise ausbauen, ebenso kann das örtliche Fraunhofer-Institut auf einen Schub hoffen. Damit würde Magdeburg auch wissenschaftlich profitieren, selbst wenn Intels Entwicklungsabteilung nach Frankreich geht.

Intel will größte europäische Chip-Fabrik in Magdeburg bauen

Markus Spieker, MDR, tagesthemen, tagesthemen, 15.03.2022 22:30 Uhr

Jetzt kommt auch der ICE-Anschluss

"Silicon Junction" ("Silizium-Kreuzung") soll Magdeburg nun international heißen, angelehnt an das kalifornische Silicon Valley, das seinen Namen auch Intels Anfängen verdankt. Rund um Magdeburg kreuzen sich die Autobahnen A2 und A14 sowie die Elbe und der Mittellandkanal. Eine regelmäßige ICE-Anbindung fehlt Magdeburg als bislang einziger Landeshauptstadt noch, diese soll nun aber kommen.

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff sprach am Dienstag von "einem Quantensprung" für sein Bundesland. In den letzten Jahren war der CDU-Politiker vor allem damit beschäftigt, gegen den Wegfall der Braunkohleindustrie im Süden des Landes anzukämpfen.

Vor über 20 Jahren erlebte Haseloff den großen Zusammenbruch der ostdeutschen Industrie als Arbeitsamtsdirektor in der Lutherstadt Wittenberg. Diese Erfahrung prägt seinen politischen Blick bis heute. Er habe immer von diesem Tag geträumt, sagte Haseloff nun. Ähnlich wie bei der Tesla-Ansiedlung in Brandenburg hofft man in der Landespolitik nun auf eine Sogwirkung, die die wirtschaftlichen Verhältnisse in Deutschland neu sortiert.

Alternde Bevölkerung

Sachsen-Anhalt könnte das gut gebrauchen. Zwar profitiert der Osten und Nordosten des Landes von der Nähe zu Berlin. Aber erst seit einigen Jahren ziehen insgesamt mehr Menschen nach Sachsen-Anhalt als dass sie abwandern. Das Land hat die im Schnitt älteste Bevölkerung aller Bundesländer und erwartet bis 2035 den prozentual stärksten Bevölkerungsrückgang. Gleichzeitig schwindet in Sachsen-Anhalt die ärztliche Versorgung in der Fläche, zudem fehlt es an Lehrerinnen und Lehrern.

In Magdeburg und im Umland rechnet man nun mit 30.000 bis 40.000 Menschen mehr. Wohnungraum dafür ist momentan noch vorhanden, Bauland teilweise auch. Traditionell ist die Stadt an den Schwermaschinenbau gebunden. Doch der hatte in den letzten Jahren stark zu kämpfen. Das Traditionsunternehmen FAM strauchelt, auch der Windanlagenbauer Enercon betreibt Personalabbau. Auch ist Sachsen-Anhalt weiterhin Niedriglohnland.

Mitbewerber aus Bayern und Sachsen

Mit Intels Investition will Sachsen-Anhalt auch wirtschaftlich in die Mitte Europas rücken - dort, wo man sich geografisch und historisch als "Ursprungsland der Reformation" ohnehin sieht. Dass Magdeburg dabei sowohl Mitbewerber aus Bayern als auch Dresden ausgestochen hat, stärkt das Selbstbewusstsein von Stadt und Land.

Nicht unumstritten sind die erheblichen Fördermittelversprechen, die mit Intels Ansiedlung verbunden sind. Auch hat die Bevölkerung im Land seit den Wendejahren viele geplatzte Investoren-Träume erlebt. Doch für Bedenken war heute vorerst kein Platz.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 15. März 2022 um 16:00 Uhr.