Strukturwandel und Klimaschutz Wie Bottrop den CO2-Ausstoß halbiert hat
In nur zehn Jahren hat Bottrop seinen CO2-Ausstoß halbiert. Längst gilt die Stadt als Vorbild für andere Industriestandorte. Wie war es möglich, eine einst vom Bergbau geprägte Stadt in so kurzer Zeit umzubauen?
Familie Lachnicht wohnt in Bottrop in einem Einfamilienhaus aus den 1950er-Jahren. Jan Lachnicht ist Lehrer am Berufskolleg Bottrop, sein Großvater, dem das Haus gehört, war Bergmann. Nun lebt Enkel Jan dort mit seiner Frau Nina und zwei Kindern. Im Keller wurde die alte Gasheizung ausgebaut und ein Fernwärme-Anschluss installiert. "Das heißt, wir sind jetzt völlig autark von fossilen Energieträgern wie Öl oder Gas", erklärt der 43-jährige Lachnicht erleichtert. Und damit ist das Haus eines von vielen, die in Bottrop in den letzten zehn Jahren klimafreundlich umgerüstet wurden.
Städte für 70 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich
Der Umbau der Stadt begann im Jahr 2010, ein Pilotprojekt. Für Oberbürgermeister Bernd Tischler stand damals fest: Städte sind für etwa 80 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und über 70 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich. "Die Energiewende ist also nur möglich, wenn wir genau da ansetzen und unsere Städte umgestalten."
Schon im Studium hatte sich Tischler mit ökologischem Städtebau befasst. Doch wie setzt man ökologische Konzepte in einer vom Steinkohlebergbau geprägten Stadt um, in der gerade die letzten Zechen geschlossen hatten? Viele Menschen waren arbeitslos und kamen gerade so über die Runden, erinnert sich Tischler.
Wie baut man einen ganze Stadt ökologisch um?
Die größte Herausforderung: wie nimmt man Einkommensschwachen die Angst, in den ökologischen Umbau ihrer Wohnungen und Häuser zu investieren? Tischler war überzeugt:
Man muss sie ermutigen, je nach Geldbeutel ihr Haus oder ihre Wohnung ökologisch umzubauen. Zuerst die Fenster, dann die Fassaden. Immer mit Zuschüssen von der Stadt oder vom Land.
Nach und nach werden in Bottrop alte Heizungsanlagen ausgetauscht, Häuser an das Fernwärmenetz angeschlossen und sogenannte "Zukunftshäuser" gebaut, die nach ihrer bautechnischen Sanierung mehr Energie erzeugen, als sie verbrauchen. Eigentümerinnnen und Eigentümer erhalten dafür Zuschüsse.
Energiewende von unten
Der ehemalige Baudezernent Tischler bringt die Akteure an einem Runden Tisch zusammen: Vertreter der Wohnungswirtschaft und Industrie, Gewerbebetriebe, Handwerker, die Hochschulen, Bürger, Politiker und die Verwaltung. Leidenschaftlich diskutieren sie über die ökologische Sanierung ihrer Stadt.
Klassensprecher macht Tischler zu Botschaftern, die die Vision des Bürgermeisters anderen erklären: ihren Mitschülern, aber auch den Großeltern und Eltern. Mitten im Ruhrgebiet entsteht eine Klimastadt der Zukunft. "InnovationCity Bottrop" wird zu einem Pilotprojekt mit großer Strahlkraft.
Bilanz kann sich sehen lassen
Bottrop belegt mittlerweile unter allen Großstädten in Nordrhein-Westfalen auch den Spitzenplatz bei der Photovoltaik-Dichte pro Einwohner. In jener Stadt, in der die Ära der Steinkohle mit der Schließung des letzten Bergwerks zu Ende gegangen ist, wird jetzt Klimazukunft geschrieben.
Die sogenannte Bottroper Blaupause kann auch auf andere Städte übertragen werden. Bürgermeister aus anderen Teilen der Welt lassen sich von Tischler beraten. "Gemeinsam haben wir bewiesen, dass sich Klimaschutz auch volkswirtschaftlich auszahlt, wenn Ökonomie und Ökologie sinnvoll miteinander verbunden werden", erklärt Burkhard Drescher, Geschäftsführer der "Innovation City Bottrop." Er betont: "In Bottrop haben Kommune, Landesregierung und Unternehmen hervorragend zusammengearbeitet."
"Klimaschutz wird vor Ort entschieden"
Die frühere Bundesumwelt- und heutige Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze begleitet die Entwicklungen der "InnovationCity" seit mehreren Jahren: "Klimaschutz ist nicht nur Weltpolitik, sondern wird vor Ort entschieden und gestaltet. Bottrop ist dabei Vorreiter und hat als InnovationCity den Sprung in die Zukunft vorgemacht", betont die SPD-Politikerin.
Und auch Bundeskanzler Olaf Scholz lobt bei den Feierlichkeiten zum Abschluss des Pilotprojekts: "Das macht Mut in Hinblick auf die weitere Entwicklung unseres Landes."