Serielles Bauen Hilft das "Haus von der Stange" gegen Wohnungsnot?
Die Bundesregierung will serielles Bauen verstärkt fördern. Kann so wirklich neuer Wohnraum schnell und günstig geschaffen werden? Und was ist serielles Bauen eigentlich?
Karl-Heinz Seeger geht mit prüfendem Blick über eine Baustelle in Bad Kreuznach. Der Chef der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft (GEWOBAU) schaut sich einen Neubau an, der im November fertiggestellt werden soll. "Das gesamte Bauprojekt haben wir vor einem guten Jahr gestartet. Den Rohbau konnten wir in nur sechs Wochen hochziehen. Das ist ein großer Vorteil des seriellen Baus", sagt Seeger. "Gäbe es nicht noch einige Lieferengpässe, wären wir insgesamt noch schneller fertig geworden. Wir müssen qualitativ auch keine Abstriche machen. Das Haus ist energetisch auf dem neuesten Stand."
14 Wohnungen auf 1.200 Quadratmetern sind hier bald bezugsfertig. Seeger geht über das Treppenhaus vier Stockwerke hoch. Teils stehen noch letzte Baumaterialien herum. Es riecht nach Farbe. Der 64-Jährige schließt eine Wohnung auf und geht zu einer Wand, aus der noch Stromleitungen heraushängen. "Jede Wand ist ein Einzelteil, das vorher angefertigt wurde. Sie werden verladen, hierher transportiert, und dann werden die Elemente nur noch zusammengefügt. Das ist wie eine Art Baukastensystem. Das spart sehr viel Zeit und somit auch Kosten", so Seeger.
Im Gegensatz zu üblichen Bautätigkeiten sei man beim seriellen Bau nahezu wetterunabhängig, denn die Einzelteile würden vorab in einer Firma hergestellt. Die Kostenersparnis schätzt Seeger bei diesem seriellen Bauprojekt auf rund 15 Prozent. Das Haus sei auch genauso robust wie bei der herkömmlichen Bauweise. Und auch die Nerven der Nachbarn würden geschont, fügt Seeger mit einem Lächeln hinzu. "Baulärm gibt es nicht allzu häufig, da ja alles vorab woanders gefertigt wird."
Schneller Arbeit, niedrigere Kosten
Zehn Fahrminuten entfernt sind die Einzelteile für das serielle Bauprojekt gefertigt worden: bei der Firma Futurhouse Holding. Dort sind 56 Mitarbeiter tätig. Die Firma produziert derzeit bis zu 45 Gebäude in seriellem Bau pro Jahr - vom Ein- bis zum Mehrfamilienhaus. Mehrere Arbeiter sind gerade in der Produktionshalle zugange und setzen eine Außenwand zusammen.
"Die Nachfrage wird weiter steigen. Auch in unserer Branche gibt es Fachkräftemangel", sagt Unternehmenschef Thomas Sapper. "Mit seriellem Bau kann man schnell große Mengen herstellen. Durch die standardisierten Verfahren sparen wir auch viel Arbeitszeit und das drückt die Kosten."
Bis zu 400 Euro pro Quadratmeter Ersparnis
Auf die Frage, was das in konkreten Zahlen ausgedrückt bedeutet, antwortet der Unternehmer: "Wir liegen derzeit bei einem Quadratmeterpreis von 3.200 bis 3.400 Euro im normalen Baubereich. Wir haben hier den Vorteil, dass wir wegen der seriellen Produktion etwa 300 bis 400 Euro pro Quadratmeter darunter liegen", rechnet Sapper vor. Das summiere sich am Ende. "Die Kaufpreise sinken. Mieten werden erträglicher. So kann man den hohen Zinsen etwas entgegensetzen."
Die Bundesregierung setzt angesichts der Krise am Wohnungsmarkt unter anderem auf serielles Bauen. Sappers Ansicht nach könnte sie dafür auch etwas tun: "Es ist auch beim seriellen Bauen viel zu viel Bürokratie im Spiel. Wir haben 16 Bundesländer und 16 unterschiedliche Bauverordnungen. Eine Verschlankung und Vereinheitlichung würden sehr helfen."
Steigender Marktanteil
Der Bundesverband deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen (GdW) geht davon aus, dass etwa fünf Prozent seiner Mitgliedsfirmen seriell bauen, die Tendenz sei aber steigend. In den kommenden Jahren könnte serielles Bauen auf etwa zehn Prozent Marktanteil anwachsen.
Auch der Präsident des zentralen Immobilienausschusses (ZIA), Andreas Mattner, sieht serielles Bauen als einen entscheidenden Hebel, um bis 2025 in die Nähe der benötigten 700.000 zusätzlichen Wohnungen zu kommen. Mattner hält ebenso vereinfachte und standardisierte Auflagen für nötig. Zudem fordert die ZIA eine digitale Bauakte, um die komplizierten Verfahren zu beschleunigen. So könnten nicht nur Wohnraum, sondern etwa auch Schulen oder Krankenhäuser leichter und schneller gebaut werden.
"Serielles Bauen braucht viel Fläche"
Zu ähnlich positiven Zukunftsaussichten kommt eine Studie der Universität Leipzig. Allerdings leide das serielle und damit industrielle Standardbauen im großen Stil immer noch unter einem schlechten Ruf - wegen der Erinnerung an die Plattenbausiedlungen in der ehemaligen DDR.
Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes, sieht die Bautechnik dagegen deutlich kritischer. "Serielles Bauen ist sicher ein Baustein zur Lösung der Probleme, aber nicht der alleinige Königsweg", sagt Pakleppa. "Diese Bauweise ist nicht überall einsetzbar - etwa im Innenstadtbereich. Serielles Bauen braucht viel Fläche." Und wie sieht es dann am Stadtrand oder auf dem Land aus? "Wenn ich ein Dorf mit ein paar Hundert Einwohnern habe, ist es natürlich problematisch, einfach noch eine Großraumsiedlung hinzuzubauen", so Pakleppa. "Das kann zu sozialen Spannungen führen - Stichwort: Banlieu."
Neue Technik eröffnet neue Chancen
Auch Karl-Heinz Seeger verfolgt die Debatten über die Zukunft des Wohnungsbaus genau. Der Chef der Wohnungsbaugesellschaft in Bad Kreuznach ist auch Vorsitzender der rheinland-pfälzischen Wohnungsunternehmen (ARGE RLP). Bei vielen Unternehmen beobachtet Seeger ein Umdenken und ein neues Interesse am seriellen Bau. Er will mit der Wohnungsbaugesellschaft künftig auf jeden Fall verstärkt auf serielles Bauen setzen.
Derzeit gebe es 600 Anfragen nach Wohnungen bei seiner Gesellschaft, die selbst 2.100 Einheiten verwaltet. Der Druck auf den Wohnungsmarkt sei enorm. Man brauche schnell mehr Wohnraum, so Seeger, der pragmatisches Handeln fordert: "Ich kenne auch die Vorbehalte gegenüber der Platte. Unser neues Gebäude in Bad Kreuznach mit all seinen hohen Standards ist damit doch gar nicht zu vergleichen. Heute sind wir technisch ganz anders in der Lage, individuell anhand der Kundenwünsche zu bauen. Wir planen bereits ein weiteres Projekt - einen seriellen Bau."