Deutscher Arbeitsmarkt Knapp die Hälfte aller Beschäftigten tarifgebunden
Tarifverträge haben in vielen Branchen eine eher geringe Bedeutung. Im europäischen Vergleich liegt Deutschland bei der Tarifbindung insgesamt zurück - und verfehlt das Ziel des Europäischen Parlaments.
Etwas weniger als die Hälfte der Arbeitnehmer in Deutschland arbeitet in einem tarifgebundenen Betrieb. Der bundesweite Durchschnitt lag im vergangenen Jahr bei 49 Prozent, teilte das Statistische Bundesamt heute zu seiner neuen Erhebung mit. In den einzelnen Branchen gibt es allerdings enorme Unterschiede.
Hohe Quoten in der Verwaltung
Der Bereich Öffentliche Verwaltung, Verteidigung und Sozialversicherung weist mit einer Tarifbindung von 100 Prozent die höchste Quote auf. Ihm folgen die Branchen Energieversorgung, Erziehung und Unterricht sowie Finanz- und Versicherungsdienstleistungen.
Geringe Quoten gibt es dagegen im Gastgewerbe, bei Kunst, Unterhaltung und Erholung sowie in der Land- und Forstwirtschaft. Im Handwerk arbeiteten im vergangenen Jahr rund 42 Prozent aller Beschäftigten im Handwerk in einem tarifgebundenen Betrieb.
Wirtschaftsbereich | Tarifbindung 2022 in Prozent |
---|---|
Land- und Forstwirtschaft, Fischerei | 11 |
Gastgewerbe | 20 |
Kunst, Unterhaltung und Erholung | 21 |
Grundstücks- und Wohnungswesen | 22 |
Freiberufliche, wissenschaftliche und technische Dienstleistungen | 25 |
Information, Kommunikation | 26 |
Handel, Instandhaltung und Reparatur von Kraftfahrzeugen | 29 |
Sonstige Dienstleistungen | 42 |
Verkehr und Lagerei | 44 |
Baugewerbe | 46 |
Verarbeitendes Gewerbe | 51 |
Gesundheits- und Sozialwesen | 52 |
Sonstige wirtschaftliche Dienstleistungen | 59 |
Bergbau, Gewinnung von Steinen und Erden | 62 |
Wasserversorgung; Entsorgung und Beseitigung von Umweltverschmutzungen | 62 |
Finanz- und Versicherungsdienstleistungen | 75 |
Erziehung und Unterricht | 82 |
Energieversorgung | 85 |
Öffentliche Verwaltung, Verteidigung; Sozialversicherung | 100 |
Unterschiede zwischen Ost und West
"Was die Tarifbindung in diesen Betrieben angeht, gab es deutliche Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland", erklärten die Statistiker. Im Osten Deutschlands beläuft sich die Tarifbindung lediglich auf 32 Prozent, während sie im Westen bei 43 Prozent liegt.
Die Bundesländer mit den niedrigsten Tarifbindungen waren Berlin und Sachsen. Thüringen folgte knapp dahinter. Bremen und das Saarland verzeichneten hingegen mit mehr als 50 Prozent die höchsten Tarifbindungen unter den Bundesländern.
Insgesamt wurden 58.000 Betriebe unterschiedlicher Größen befragt, ob für sie ein Branchen- oder Unternehmenstarifvertrag galt. Dabei werden Betriebe, die Tarifverträge nur freiwillig anwenden, nicht als tarifgebunden eingestuft. Dennoch können ihre Arbeitnehmer Gehälter und Arbeitsbedingungen erhalten, die den Vorgaben der Tarifverträge ähneln.
Frankreich und Italien mit sehr hoher Tarifbindung
Das Statistische Bundesamt erhob die Daten zur Tarifbindung bislang nur alle vier Jahre. Ab diesem Jahr werde der Indikator nun auf Basis der Ergebnisse der Verdiensterhebung jährlich ermittelt, hieß es von der Behörde. Wegen der methodischen Umstellung seien die diesjährigen Daten jedoch nur eingeschränkt mit den letzten Daten von 2018 vergleichbar.
2018 verzeichnete Deutschland eine Tarifbindung von 48 Prozent. Im europäischen Vergleich reichte es gerade mal für den 18. Platz in der Europäischen Union. Damit blieb Deutschland deutlich hinter dem Ziel des Europäischen Parlaments von 80 Prozent Tarifbindung zurück.
Frankreich, Irland, Italien und Slowenien erreichten dagegen eine Tarifbindung von jeweils 100 Prozent. Auch in Finnland sowie in Österreich, Rumänien und Griechenland sind die Werte hoch. Im Gegensatz dazu wurde für Estland und Ungarn die niedrigste Tarifbindung ermittelt, mit lediglich acht beziehungsweise 18 Prozent. Aktuellere Daten der europäischen Statistikbehörde lagen nicht vor.