Sorgen in der Industrie "Wenn der Strom ausbleibt, friert alles ein"
Was bedeutet der Ausstieg aus der Atomkraft für Netzstabilität und Strompreise? Diese Frage stellen sich vor allem energieintensive Unternehmen. Viele sind skeptisch, wie es mit der Energieversorgung weitergeht.
Ohne Strom geht hier nichts. Die Öfen für die Aluminiumproduktion bei Trimet in Hamburg laufen ausschließlich mit Strom. Auf 960 Grad müssen die 270 Öfen erhitzt werden - und die Hitze muss stabil gehalten werden. Der Strombedarf ist immens: Laut Trimet so viel wie eine Million Menschen verbrauchen würden.
Oliver Walter arbeitet seit vielen Jahren bei der Firma im Hamburger Hafen. Er hat die Aufs und Abs mitgekriegt. Er hat erlebt, wie in der Vergangenheit immer mal wieder der Strom vom Netzbetreiber abgestellt wurde. Nun macht er sich Sorgen um seinen Job. "Ich möchte hier gerne in Rente gehen, aber ich möchte aber auch, dass all meine Kollegen hier in Rente gehen und auch jemand, der jetzt hier seine Ausbildung macht, dass er hier noch lange arbeiten kann."
Schon viele Stromunterbrechungen
Laut Trimet wurde in der Vergangenheit an ihren drei deutschen Standorten 240 mal der Strom abgestellt. Die Netzbetreiber können durch solche Sofortmaßnahmen das Stromnetz stabilisieren, um Schwankungen auszugleichen. "Wenn der Strom ausbleibt, dann friert alles ein und dann ist nachher so eine ganze Produktion eingefroren", erklärt Trimet-Vorstand Andreas Lützerath.
Um das dann wieder zu starten, brauche es etwa ein Jahr. "Sie müssen alle Öfen ausbrechen und alles neu wieder aufbauen. Damit ist wirklich einmal komplett eine ganze Produktion verloren. Das ist halt nicht wie ein Band, wo sie einfach abschalten können."
Nach mehr als drei Stunden wird es brenzlig
Bleibt der Strom mehr als drei Stunden weg, dann wird es brenzlig für die Öfen. "Wir brauchen 24 Stunden am Tag Strom, 365 Tage im Jahr. Von daher gibt es einfach keine Phasen, wo wir sagen können, wir machen mal nachts aus, weil keine Sonne da ist oder bei einer Dunkelflaute, wir schalten mal mehrere Stunden ab, sondern die Grundlast ist notwendig", so Lützerath im Interview für die ARD-Sendung Plusminus.
Dunkellflaute bedeutet: Windräder und Solaranlagen liefern nicht ausreichend Strom, weil etwa der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. An diesen Tagen sind grundlastfähige Kraftwerke, wie zum Beispiel Kernkraftwerke, wichtig für die Stromerzeugung.
Zwei Drittel der Öfen abgeschaltet
Die Firma Trimet hat aber noch ein weiteres Problem: Nicht nur der fehlende Strom, sondern auch die immensen Energiekosten. Aus diesem Grund haben sie in Hamburg zurzeit zwei Drittel der Öfen abgeschaltet. Sie konkurrieren mit Unternehmen in Ländern, die viel weniger für den Strom zahlen.
"Ohne Aluminium gibt es keine Stromleitungen, ohne Aluminium keine E-Mobilität." Aber der größte Kostenfaktor bleibe der Strom. "Und natürlich haben sie Regionen im Nahen Osten, sie können auch nach Russland gehen, in die skandinavischen Länder, da ist der Strompreis ein ganz anderer", sagt Lützerath.
Wie viele Reserve-Kraftwerke müssen einspringen?
Harald Schwarz ist Experte für Stromnetze. Der Professor für Energieverteilung und Hochspannungstechnik an der Brandenburgischen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg untersucht die deutschen Netze auf ihre Belastbarkeit. Die Verfügbarkeit von Energie aus Produktion im eigenen Land - sie ist nicht immer gewährleistet, sagt er. Es habe schon diverse Tage gegeben, an denen es eine "wesentlich höhere Abnahme" im Land gegeben habe als eigene Erzeugung, erklärt Schwarz.
Den Ausstieg aus der Atomkraft hält er in der jetzigen Situation für einen Fehler - vor allem wenn man zur Überbrückung klimaschädliche Kohlekraftwerke anfährt. "Wir werden in jedem Jahr die gleiche Diskussion haben. Wie viel müssen wir wieder aus der Reserve zurückholen, um halbwegs brauchbar durch den Winter zu kommen?" Das sei einfach Physik. "Wenn wir Dunkelflaute im November, Dezember, Januar haben und diese beiden Quellen Wind und Photovoltaik nur noch ein paar Prozent bringen, wer bringt dann den Rest?"
Investitionen fließen ins Ausland
Diese Probleme kennt auch Heino Buddenberg. Er ist Vorstand von Wälzholz, ein Unternehmen aus Hagen in Nordrhein-Westfalen. Der Betrieb stellt so genanntes Elektroband her. Dieses Stahlband wird für Generatoren von Windkraftanlagen benötigt, aber auch für die E-Mobilität. Auch ein Werk von Wälzholz wurde in der Vergangenheit schon vom Netz genommen.
Noch können sie in Hagen produzieren, aber das Unternehmen im Familienbesitz ist zu Maßnahmen gezwungen, die in der Belegschaft aufhorchen lassen. "Die Entscheidungen, die wir zukünftig treffen, werden sich viel, viel stärker an der Frage festmachen: habe ich Energie oder nicht?", so Buddenberg. Es sei gerade eine größere Investition in Planung, um die Fertigungskapazitäten zu vergrößern. "Und die findet eben nicht in Deutschland, sondern in Brasilien statt." 30 Millionen Euro werden nun in das Werk in Brasilien investiert. In dem südamerikanischen Land kostet der Strom nur ein Drittel dessen, was er in Deutschland kostet.
Abhängigkeit vom Ausland wächst
Vom Atomausstieg hält Buddenberg wenig, aber auch in der Belegschaft ist der Zweifel groß, ob die deutsche Energiepolitik auf Dauer stromintensive Betriebe im Land hält. Im schlimmsten Fall, so Wälzholz-Vorstand Buddenberg, begebe sich Deutschland in eine neue Abhängigkeit, die besonders für die deutsche Energiewende gefährlich werden könne.
"Wir hören ja im Moment die Diskussion über Abhängigkeit von Energierohstoffen wie Erdgas aus Russland." Aber das gelte natürlich auch für technologisch relevante Komponenten, die eine Volkswirtschaft brauche. "Und wenn eine Volkswirtschaft die Fähigkeit verliert, seine eigenen Anlagen zu bauen, dann entsteht eine andere Art von Abhängigkeit, die ich nicht so toll finde", so Buddenberg.
Umstellung auf Erneuerbare dürfte schwer werden
Bei Trimet und Wälzholz entsteht der Rohstoff für die deutsche Energiewende. Ohne die Grundstoffe wird es schwer mit der Umstellung von fossiler Stromerzeugung zu Erneuerbarer Energie. Patrick Graichen ist im Bundeswirtschaftsministerium der Mann für die Energiewende. Deutschland will raus aus der Atomkraft und auch bald aus der Kohle. Weil kein Gas mehr aus Russland kommt, soll nun LNG aus den USA die Lücke schließen. Und so betont Graichen:
Unser Konzept lautet Wind und Solar, als Backup-Technologie wird das dann Erdgas sein, das dann zu Wasserstoff geht. Wenn andere Länder Wind und Solar und Atom sozusagen als Bild der Zukunft haben, dann gehe ich eine hohe Wette ein, dass unser System das kostengünstigere ist.
Klimafreundlicher ist es allerdings nicht, wenn aufwändig Flüssiggas aus den USA per Schiff nach Deutschland geholt wird. Und ob es wirklich mal günstiger wird? Wasserstoffkraftwerke sind in ausreichender Menge noch gar nicht gebaut, großflächig einsetzbar sind sie auf Jahre nicht. Zurzeit trägt immer noch die Kohle eine große Last bei der Stromerzeugung.
"Ein Sprung aus dem Flieger - ohne Fallschirm"
Stromnetz-Experte Schwarz ist skeptisch: die Vision der deutschen Energiezukunft - für ihn ein Abenteuer mit ungewissem Ausgang. "Das kommt mir so vor: Wir springen aus 10.000 Meter aus dem Flugzeug, ohne ein Konzept, ohne Fallschirm, aber mit viel Material und tollen Ideen. In dem Weg nach unten - sie fliegen ja eine Weile, bis sie unten ankommen - diskutieren sie, wie nähen wir einen Fallschirm?" Dies könne funktionieren. "Aber ich will es trotzdem nicht ausprobieren."
In Deutschland endet in dieser Woche die zivile Nutzung der Atomenergie. So groß die Freude bei einigen darüber ist, so skeptisch sind viele deutsche Unternehmen, wie es danach mit der Energieversorgung weitergeht.