Großreederei MSC Der diskrete Schifffahrtsriese aus Genf
Eine Zentale ohne Firmenschild, Geschäftszahlen bleiben unter Verschluss: Die Reederei MSC, die beim Hamburger Hafenbetreiber HHLA einsteigen will, meidet die Öffentlichkeit - und ist Weltmarktführer.
Viel Grün, gepflegte Wohnanlagen, Arztpraxen und Privatkliniken, dicke Autos am Straßenrand - der Stadtteil Champel gehört zu den besseren Vierteln von Genf. Hier lebt es sich ruhig und beschaulich, ideal für wohlsituierte Familien mit kleinen Kindern - und offensichtlich auch für das Familienunternehmen MSC.
Die "Mediterranean Shipping Company" residiert in einem eleganten grünlich schimmernden Glasgebäude ohne klassisches Firmenschild. "MSC" steht nur auf dem Modell eines Containerschiffs, das im Erdgeschoss hinter der spiegelnden Glasfassade zu erkennen ist.
Diskretion oder Intransparenz?
Die weltweit größte Container-Reederei fing klein an. 1970 kaufte der italienische Unternehmensgründer Gianluigi Aponte ein gebrauchtes Frachtschiff - und ging auf Expansionskurs. Kontinuierlich und vor allem diskret: Mehrere Interviewanfragen des ARD-Studios Genf liefen ins Leere, nicht einmal Umsatzzahlen veröffentlicht die MSC-Gruppe.
Die Großreederei MSC mit ihrer Flotte von mehr als 700 Schiffen befindet sich komplett im Familienbesitz. Eine Hälfte der Konzernanteile gehören dem Firmengründer Gianluigi Aponte (83), die andere seiner Ehefrau Rafaela. Mit einem geschätzten Vermögen von 29,4 Milliarden Dollar rangiert Gianluigi Aponte in der "Forbes"-Liste der reichsten Menschen der Welt aktuell auf Platz 49. Aponte, der als Matrose begann und das Kapitänspatent machte, ist bei MSC Executive Chairman, sein Sohn Diego President. Seine Frau Rafaela ist im Unternehmen verantwortlich für die Ausstattung der Kreuzfahrtschiffe von MSC Cruises.
"Intransparenz ist jetzt nicht auf MSC beschränkt. Es ist ein Wesensmerkmal der Schifffahrtsbranche", sagt die Juristin Kathrin Betz. Sie ist Expertin für Wirtschaftsstrafrecht und Co-Autorin des Buchs "Seefahrtsnation Schweiz". "Ich denke, es ist das Modell von MSC, dass sie sehr auf Diskretion bedacht sind", mutmaßt Betz. "Es kann auch ganz einfach darum gehen, dass sie sich geschäftlich nicht in die Karten schauen lassen wollen."
Die Schifffahrt sei ein hart umkämpfter Markt. "Es ist intransparent, aber ich kann nicht sagen, dass das rechtlich ein Problem ist. Klar, man würde gerne mehr wissen. Aber rechtlich müssen sie nicht." Denn MSC ist nicht an der Börse notiert.
Nutznießerin der Pandemie
"Unser Unternehmen basiert auf einer echten Leidenschaft für das Meer", heißt es auf der Firmen-Homepage im Internet. Doch das echte Meer ist weit entfernt vom eleganten Genfer Hauptsitz. Stattdessen gebe es andere Standortvorteile, so Betz. "Es ist für das Unternehmen ein Vorteil, dass in Genf andere Unternehmen angesiedelt sind, die es braucht - Logistiker, Versicherungen, Banken", zählt die Branchenkennerin auf. Hinzu komme ein steuerlich günstiges Umfeld. "Das sind die zwei Punkte, warum Genf als Standort für MSC attraktiv ist."
Corona war besonders gewinnbringend für MSC. Lieferkettenprobleme und Konsumnachfrage ließen die Frachtraten für Container in die Höhe schnellen. Die Genfer Reederei schwang sich zum Weltmarktführer auf - und zog am dänischen Unternehmen Maersk vorbei. "Während der Pandemie gab es wieder einen ziemlich starken Wachstumsschub", bestätigt Betz. "In dieser Zeit hat MSC effektiv Maersk überholt als größtes Containerschiffahrtsunternehmen."
Drogenhandel stellt Reederei vor Probleme
Schattenseiten in der Unternehmensgeschichte der MSC sind Probleme mit Drogenhandel, mit denen die Reederei in der Vergangenheit immer wieder zu kämpfen hatte. Einem Bloomberg-Bericht zufolge war die Reederei regelrecht von der Drogenmafia unterwandert. Auf einem von US-Behörden beschlagnahmten Containerschiff wurden im Juni 2019 fast 20 Tonnen Kokain sichergestellt. Das Rauschgift hatte einen Wert von rund 1,3 Milliarden Dollar, es war der größte Drogenfund des US-Zolls bislang. Angesichts der Vorwürfe sieht sich die MSC mit einer Strafforderung von 700 Millionen Dollar konfrontiert.
Die Reederei behauptet, selbst Opfer der organisierten Kriminalität zu sein - und gibt an, sie sei weltweit führende Akteurin in der Bekämpfung von Schmuggel. Juristin Betz sagt, ihr als Wirtschaftsstrafrechtlerin stellten sich dennoch Fragen - wenn auch nicht auf einen konkreten Fall bezogen, so doch schon hinsichtlich der mangelnden Transparenz: "Wer steckt eigentlich alles Geld in die Schifffahrt? Wer investiert da? Weiß man das so genau? Sind das alles saubere Gelder, die da hineinfließen?"
Längst nicht mehr nur an Schiffen interessiert
Fest steht: Ungeachtet bestehender Probleme erweitert die Reederei ihr Geschäftsmodell. Es sind längst nicht mehr nur Schiffe, in die die expandierende Reederei investiert, sondern mehr und mehr auch Häfen - siehe die HHLA in Hamburg - und Logistik. Für mehr als sechs Milliarden Dollar kaufte MSC 2022 das Afrika-Geschäft des französischen Bolloré-Konzerns und verfügt nun über eine Logistiksparte namens "Africa Global Logistics".
Zum Kalkül der Gruppe sagte MSC-Chef Soren Toft vor einigen Wochen der "Neuen Zürcher Zeitung": "Die größte Flotte, die meisten Beteiligungen und das größte Netzwerk zu haben, hilft uns, wettbewerbsfähig zu sein". Aber, so beteuerte Toft, "Größe für sich" sei kein Ziel.