Brandbrief aus der Wirtschaft Was führende Unternehmen von der Politik erwarten
Mehr als 50 Unternehmen haben einen Brandbrief an die Politik verfasst - aus Sorge um die Wirtschaft, das Klima und die Demokratie. Zwischen den Zeilen lautet die Botschaft an Regierung und Opposition: Reißt euch zusammen.
Große deutsche Unternehmen äußern sich eher selten politisch. Einschätzungen zur politischen Großwetterlage und konkrete Forderungen an die Politik, die über konkrete Interessen der Firmen hinausgehen - wenn, dann kommt so etwas eher von Verbänden. Insofern ist der "Unternehmensappell", initiiert von der Stiftung KlimaWirtschaft und unterzeichnet von 54 Unternehmen, etwas Besonderes.
Unterschrieben haben den Appell unter anderen der Industriekonzern Thyssenkrupp, der Sportartikelhersteller Puma, das Energieunternehmen EnBW, die Drogerieketten dm und Rossmann, der Stahlkonzern Salzgitter, der Hausgerätehersteller Miele, das Handelsunternehmen Otto, der Frankfurter Flughafenbetreiber Fraport und das Chemieunternehmen Wacker.
Unternehmen fordern Aufweichung der Schuldenbremse
Im Unternehmensappell schalten sich die unterzeichnenden Firmen in die Diskussion über die Schuldenbremse ein. Sie fordern eine "Weiterentwicklung". Im Klartext: eine Lockerung, die dem Staat mehr Neuverschuldung ermöglicht. Das Argument: Um die Wirtschaft klimagerecht umzubauen, würden "massive - vor allem finanzielle - Ressourcen" benötigt. Dafür brauche es einen geeigneten "haushaltspolitischen Rahmen", um staatliche Investitionen zu ermöglichen, die dann private Investitionen anreizen.
Die Kritik an der Schuldenbremse in ihrer derzeitigen Ausprägung ist deshalb bemerkenswert, weil die Unternehmen damit den Unionsparteien und der FDP widersprechen, die ihnen in der Regel näher stehen als SPD und Grüne. Ebenfalls bemerkenswert ist, dass sich der Unternehmensappell mit Kritik und Forderungen nicht nur an die Ampel-Regierung wendet, sondern ausdrücklich auch an die Opposition.
Mehr als 50 Firmen unterstützen den Unternehmensappell, der den Titel trägt: "Die Transformation als Jahrhundertprojekt: Was die Wirtschaft von der Politik braucht".
Unterzeichnet haben: Ritter Sport, Alterric, Augustinum, Aurubis, Baufritz, Schwäbisch Hall, Bilfinger, BNP Paribas, Daikin, Deutsche Telekom, Rossmann, dm, EnBW, Encavis, Encory, Enpal, E.ON, Eppendorf, EWE, Fraport, GLS Bank, Goldbeck, Heidelberg Materials, Hermes, Hoffmann + Voss, Hugo Boss, IKEA, Interseroh, Naturstrom, Meyer Burger, Miele, Otto Group, Otto Fuchs, Varel, Phoenix Contact, Puma, Salzgitter AG, Schüco, Schwan Stabilo, SMA, Stadwerke München, Strabag, Ströer, Sunfire, TeamBank, Thermondo, ThyssenKrupp, Triodos Bank, Union Investment, Vaude, VR Payment, VTG, Wacker, Zinq.
"Grüne" Transformation als Chance - Kritik an Politik
Die unterzeichnenden Unternehmen bekennen sich zum klimaneutralen Umbau der Wirtschaft ("Transformation") und betonen dabei nicht die Risiken, sondern die Möglichkeiten. Es gelinge aber "weder Regierung noch Opposition", die Chancen für "Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz, gute Jobs und Wohlstand zu vermitteln."
Dazu kommen nach Einschätzung der Unternehmen "Versäumnisse in der deutschen Wirtschafts-, Energie- und Umweltpolitik". Die Konsequenz: ""soziale Sprengkraft", die die "neue Rechte" sich zunutze mache, was sowohl die Demokratie als auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit Deutschlands bedrohe.
Dass der Unternehmensappell sich sowohl an die Ampel richtet als auch an die Opposition (gemeint sind damit offensichtlich nur CDU und CSU), zieht sich wie ein roter Faden durch das Papier. Die Unternehmen sind der Ansicht, "ein parteiübergreifender Schulterschluss der demokratischen Parteien" sei nötig, zumal der politische Rahmen für den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft auch etwaige Regierungswechsel überstehen müsse.
Aldi Süd und Deutsche Bahn haben nicht unterzeichnet
Die Unternehmen, die den Appell an die Politik unterzeichnet haben, sind zum großen Teil Förderunternehmen der Stiftung KlimaWirtschaft (früher: "Stiftung 2°"), aber auch Nichtmitglieder wie Ritter Sport, Ikea oder E.ON sind dabei. Andererseits gibt es auch Fördermitglieder der Stiftung KlimaWirtschaft, die den Unternehmensappell nicht unterzeichnet haben - Aldi Süd und die Deutsche Bahn.
Aldi Süd nennt auf Nachfrage des ARD-Hauptstadtstudios keinen konkreten Grund für die Nichtunterzeichnung. Das Unternehmen sei aber aus Überzeugung Teil der Stiftung KlimaWirtschaft und arbeite aktiv an Projekten mit, die konkret den Lebensmitteleinzelhandel betreffen. Die Deutsche Bahn erklärte auf Anfrage, die Stiftung KlimaWirtschaft habe mit ihrem Appell Haltung gezeigt. Einen Grund für die Nichtunterzeichnung nannte die Bahn nicht.
Die Stiftung KlimaWirtschaft geht davon aus, dass sich dem Appell der 54 Unternehmen weitere Firmen anschließen. Vorständin Sabine Nallinger sagte dem ARD-Hauptstadtstudio, der gemeinsame Appell zeige deutlich, dass die Wirtschaft zur Transformation und zum Standort Deutschland stehe.