Krise bei Volkswagen In Wolfsburg fehlt die zündende Idee
Der VW-Konzern steckt in einer tiefen Krise. Ein drastisches Sparprogramm soll Europas größten Autohersteller wieder auf Kurs bringen. Doch es sind Zweifel angebracht.
Als vor fast genau neun Jahren der Dieselbetrug bei Volkswagen aufflog, fielen VW-Aktien fast auf einen Schlag von gut 250 auf 96 Euro. Wenn man mal von einem zwischenzeitlichen Höhenflug absieht, hat sich seitdem nicht viel getan. Die Papiere liegen nur deshalb ein bisschen über den Tiefstständen von damals, weil die Reaktionen der Börse auf den gerade angekündigten Kahlschlag bei VW positiv ausfielen.
Eine verständliche Reaktion, sagt Klaus Nieding von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz: "Die Börse nimmt ja immer die Entwicklung sechs bis zwölf Monate vorweg. Da ist natürlich jeder Weckruf immer gut und jedes Kostensenkungsprogramm wird gut aufgenommen", so der Anlegeranwalt.
Jetzt sind sie mal wachgeworden.
Allerdings drohen bei VW erstmals Werksschließungen in Deutschland und ein entsprechender Verlust von Arbeitsplätzen. "Ich möchte nicht in der Haut der einzelnen Mitarbeiter stecken, die sich natürlich Sorge um ihre Arbeit machen. Die schlafen schlecht", so Nieding. Allerdings: "Die Börse goutiert das in dem Sinne: Jetzt sind sie mal wachgeworden."
Manager im Sumpf des Dieselskandals
Es besteht also die Hoffnung, dass VW das Ruder noch einmal herumreißen kann. Nachdem ein vorheriges Kostensenkungsprogramm nicht aufgegangen ist, sollen radikale Schritte folgen. Doch in den vergangenen Jahren fehlte die zündende Idee. Nach dem "Dieselgate" blieb der Befreiungsschlag aus, erklärt der Autoexperte Jürgen Pieper: "Seitdem sieht man sehr viel Unruhe bei VW."
Es habe allein drei Wechsel an der Konzernspitze gegeben, "was alles ein Beleg dafür ist, dass es unrund läuft, und das ist tatsächlich bis heute so geblieben", so Pieper. Die Manager, die damals gehen mussten, seien nicht nur in den Dieselskandal verwickelt, sie seien eben abseits des Betrugs auch gute Auto-Manager gewesen.
Der Kostendruck steigt
Doch die Autoindustrie in Deutschland tut sich ganz allgemein schwer. Die stark gestiegenen Energiepreise machen der Branche ebenso zu schaffen, wie die restlichen hohen Kosten im Hochlohnland Deutschland. Ein herber Schlag war die Entscheidung der Bundesregierung, die Umweltprämie für Elektroautos Ende 2023 ersatzlos zu streichen. Das erhöhte den Kostendruck noch mehr.
Der Kahlschlag bei VW könnte deshalb nur der Anfang sein, warnt Anlegeranwalt Nieding: "Wir haben die Automobilzulieferer, die davon betroffen sein werden. Die Automobilindustrie ist ja eine der nennenswerteren in Deutschland. Wenn der Branchenprimus schon die Schwierigkeiten hat, will ich gar nicht wissen, was bei den anderen los ist."
Zu spät bei E-Autos
In der Fachwelt herrscht Einigkeit darüber, dass die deutschen Hersteller zu spät auf den Umbau zur Elektromobilität reagiert haben. Auch wenn batteriebetriebene BMW zuletzt Tesla bei den EU-Neuzulassungen übertrumpft haben, so erscheint die Konkurrenz aus Asien und vor allem China fast uneinholbar zu sein.
Bei VW kommen hausgemachte Probleme hinzu. Der Massenhersteller benötigt dringend einen neuen Verkaufsschlager, wie in den 1980er-Jahren den Golf. Doch danach sieht es nicht aus. "Die Produktstärke ist VW tatsächlich abhanden gekommen. Sie verlieren kontinuierlich Marktanteile", kritisiert Jürgen Pieper. "Ihnen fehlen einfach die zugkräftigen Produkte, die auch eine Wende signalisieren könnten."
Und so zeuge das drastische Sparprogramm auch von einer gewissen Ideenlosigkeit. Nun muss VW gleichzeitig sparen, in neue Modelle investieren und darüber hinaus ein E-Auto herausbringen, das konkurrenzfähig ist. 25.000 Euro soll ein solches Auto kosten und damit ein Drittel weniger als der günstigste ID3.