Ein Tesla-Besitzer, demonstriert wie er während der Fahrt Videospiele auf der Konsole des Fahrzeugs spielen kann.
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Milliardenmarkt Fahrerdaten Das Auto als Spion

Stand: 22.11.2023 08:14 Uhr

Mindestens alle zwei Minuten speichern Autos Fahrerdaten. Das hat eine ADAC-Studie ergeben. Was genau speichern sie? Was passiert mit den Daten? Und wem gehören sie?

Von Melanie Böff, Antje Erhard und Constantin Röse, ARD-Finanzredaktion

"Moderne Autos wissen im Prinzip alles über ihre Fahrer", so fasst Volker Lüdemann, wissenschaftlicher Leiter des Niedersächsischen Datenschutz-Zentrums an der Hochschule Osnabrück, bei tagesschau24 den Kenntnisstand unserer Fahrzeuge zusammen.

Bis zu 150 Sensoren sind in modernen Autos verbaut. Sie messen das Fahrverhalten, die Sitzbelegung, die Beschleunigung; sie kennen den Musikgeschmack der Fahrer, erkennen Fahrfehler, erheben den Standort des Fahrzeugs. Mit diesem Datenschatz haben die Hersteller ein großes Wissen über Fahrer und Fahrzeuge: Das Auto - ein Spion zum Geldverdienen?

Was passiert mit den Autodaten?

Einige Daten werden seit Jahren verwendet, um in der Werkstatt Fehler auszulesen. Zum Teil ist ihre Erhebung gesetzlich vorgeschrieben - zum Beispiel, um die Einhaltung der Emissionsvorgaben zu kontrollieren, indem erfasst wird, wie viel Kraftstoff ein Fahrzeug verbraucht. Seit dem Sommer 2022 müssen Autos, die neu zugelassen werden, außerdem mit einem Unfalldaten-Speicher ausgestattet sein.

"Einzelne Beobachtungen für sich mögen harmlos sein, aber werden die Daten zusammengeführt, kombiniert und ausgewertet, kann das zu folgenschweren Verletzungen der Privatsphäre führen", erklärt Lüdemann an einem Beispiel, etwa wenn Daten zur Sitzbelegung mit Fahrzielen kombiniert werden.

"Wenn das Gewicht auf einem Sitz über einen Zeitraum von neun Monaten kontinuierlich zunimmt und häufig ein Baby-Fachmarkt angesteuert wird, dann wissen alle, die Zugriff auf diese Daten haben, dass bei diesen Fahrern beziehungsweise der Familie einschneidende Veränderungen der Lebenssituation anstehen."

Wer die Daten hat, macht das Geschäft

Die Fahrerinnen und Fahrer wissen meist nicht, wer welche ihrer Daten hat und was damit geschieht. "Das meiste wird auf den Servern der Hersteller gespeichert", bringt Lüdemann Licht ins Dunkel. "Sie können entscheiden, wer die Daten bekommt." Bislang können nur die Autohersteller auf diese Daten zugreifen und sie nutzen. Und das tun sie auch.

Denn wer den Zugriff auf die Daten hat, macht das Geschäft damit. Dabei geht es nach Einschätzung von Lüdemann nicht nur um die Daten der Fahrzeuginsassen: So setzt der Notruf in der EU, der sogenannte E-Call, automatisch einen Notruf ab, wenn sich ein Airbag öffnet. "Der Notruf geht aber nicht, wenn die Fahrzeuge an das E-Call-System angeschlossen sind, an die Rettungsnummer 110 oder 112, sondern an den Hersteller oder an einen von ihm beauftragen Dienstleister." Und der bestimme dann, welcher Abschleppdienst beauftragt wird und welche Werkstatt den Reparaturauftrag erhält.

Milliarden mit der Unwissenheit der Kunden

Diese Möglichkeiten rufen die Versicherer auf den Plan. Würde die Versicherung bei einem Unfall sofort informiert, könnte sie bestimmen, welche Abschlepper, welche Werkstätten und so weiter eingesetzt werden - und so viel Geld sparen. Und noch mehr: Versicherer können Rabatte für regelkonformes Fahren gewähren - aber auch die Prämien risikoaffinerer Fahrer erhöhen. Entsprechendes Interesse haben sie an den Fahrerdaten.

Die Möglichkeiten sind für viele Anwendungen und Geschäftsfelder derartig groß, dass sie viele Begehrlichkeiten wecken: Es ist ein Ringen zwischen Autoherstellern, Rettungsdiensten, Softwareunternehmen, Werkstätten, Krankenhäusern und Versicherern. Sie haben erkannt, was Experten mit Zahlen belegen: Mit der Unwissenheit der Kunden lässt sich Geld verdienen.

Die Vernetzung von Fahrzeugen und die Nutzung von Daten aus dem Auto haben nach Einschätzung des Beratungsunternehmens McKinsey großes wirtschaftliches Potenzial: Insgesamt könnten Hersteller, Zulieferer und Service-Anbieter bis zum Jahr 2030, wenn 95 Prozent aller Fahrzeuge vernetzt sind, mit rund 400 Milliarden Dollar jährlich rechnen: 250 Milliarden Dollar Umsatz und weitere 150 Milliarden Dollar Einsparpotenzial.

Wem gehören eigentlich die Daten?

Unser Alltag wird immer vernetzter - Kuscheltiere, Toaster, Kühlschränke sind "smart". Doch wem gehören die Daten? Verbraucher gehen meist davon aus, dass sie die Rechte an von ihnen erzeugten Daten haben, auch beim Auto. "In Wirklichkeit sind die Rechte, wem was gehört, unklar", sagt Lüdemann. Wirtschaftlichen Interessen, Geschäftsgeheimnissen und Zuliefererdaten steht der Datenschutz gegenüber.

Noch gehören die Daten den Herstellern. Doch mit einem neuen Gesetz wird es erstmals möglich, dass Nutzer bestimmen können, ob und in welchem Umfang Dritte Zugriff auf ihre Daten haben - und zu welchem Zweck: mit dem EU Data Act, der 2025 in Kraft treten soll. Er wird regeln, wann Unternehmen und Privatpersonen Informationen von vernetzten Geräten erhalten und weitergeben dürfen. Rechtswidrige Datenübertragung soll zugleich verhindert werden. "Das ist in gewisser Weise eine Regelung, die sinnvoll ist", erklärt Lüdemann.

Doch viele Unternehmen sträuben sich vor noch mehr Datenschutz, sagt hingegen Michael Heise, Chefvolkswirt von HQ Trust, bei tagesschau24: "Man kann eine Abwägung machen, wie viel einem der Datenschutz Wert ist, der natürlich eine große Bedeutung hat." Es bringe jedoch auch wirtschaftliche Nachteile, wenn die Regeln zu streng gefasst würden, gibt Heise zu bedenken. "Im Moment sind wir da ein bisschen zu sehr auf der restriktiven Linie."

Kritik von Verbraucherschützern und ADAC

Deutsche Autohersteller wie beispielsweise BMW verweisen auf die Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften und darauf, dass Kunden selbst ihre Privatsphäre-Einstellungen anpassen könnten. Doch dem ADAC reicht das nicht. Der Verband fordert, Fahrerinnen und Fahrer müssten wissen, welche Daten ihres Autos erhoben, gespeichert und ausgewertet werden, sie müssten die Datenverarbeitung und -weiterleitung abschalten können und selbst entscheiden, wer Zugang zu ihren Fahrzeugdaten bekommt.

Und auch Verbraucherschützern geht das geplante Gesetz nicht weit genug. Sie wünschen sich klarere Regelungen auf EU-Ebene. Digital-Experte Roland Fiege erkennt an, dass Unternehmen auch Daten nutzen, um Dienstleistungen und Produkte zu verbessern. Aber bei tagesschau24 gibt er auch zu bedenken: "Wir verlieren dadurch, dass wir die Daten freiwillig hergeben und quasi mit den Daten bezahlen, Stück für Stück die Souveränität über unsere eigenen Daten."

Fazit: Es fehlt bislang an praktikablen Lösungen, um mehr Einfluss auf die eigenen Daten zu nehmen, die das eigene Fahrzeug sammelt. Und so ist und bleibt das Auto nicht nur "der Deutschen liebstes Kind", sondern auch eine Schatzkiste für Datensammler.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete WDR2 Impuls, Wissen aktuell, am 21. November 2023 um 16:05 Uhr.