Deutsch-ukrainisches Wirtschaftsforum Mehr Geschäfte - trotz Krieg
Deutsche Firmen wollen sich am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen. In Berlin loten sie Möglichkeiten zur Kooperation aus - zumal die Wirtschaft des kriegsgeplagten Landes wieder wächst.
Die ukrainische Wirtschaft wächst wieder. Zwar noch langsam, aber der große Einbruch, ausgelöst durch den russischen Angriffskrieg, scheint gestoppt. Für die deutsche Wirtschaft bietet das Land viele Möglichkeiten. Aber vor allem die großen Unternehmen zögern noch.
Schon im Konferenzraum wird deutlich, um was es hier geht. Harald Nikutta ist Geschäftsführer beim Beratungsunternehmen Control Risks, eine der weltweit führenden spezialisierten Risikoberatungen. Hinter Nikutta hängt eine große Weltkarte, in denen alle Länder farblich markiert sind hinsichtlich der möglichen Geschäftsrisiken. Grün bedeutet, die Risiken sind sehr niedrig, dunkelrot heißt: sehr hoch.
Außer Ländern wie Somalia oder Myanmar leuchtet auch die Ukraine auf der Karte im tiefen Dunkelrot. Oder wie Nikutta es ausdrückt: "Ein Land mit hohen Risiken, aber auch großen Chancen."
"Wir verschlafen die Chancen"
Erst vor zwei Wochen hat Nikutta eine Reise für acht deutsche Wirtschaftsvertreter in die Ukraine organisiert, alles Mittelständler. Die großen Unternehmen haben ihm alle abgesagt. Probleme mit der Versicherung, Terminschwierigkeiten oder eigene Wirtschaftsbeziehungen nach Russland - die Gründe dafür waren vielfältig.
Mit dem Nachtzug ging es nach Lwiw und Kiew. Sogar Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko haben sie getroffen. Es war die bisher größte deutsche Wirtschaftsdelegation, die im Land unterwegs war, seit Kriegsbeginn. "Und es wird höchste Zeit", sagt Nikutta. Denn die Geschäfte um den Wiederaufbau würden gerade verteilt. Ganz vorne mit dabei sind die Amerikaner, die seien "einfach pragmatischer und machen einfach", so Nikutta.
Nach einem starken Rückgang der ukrainischen Wirtschaft im vergangenen Jahr sagen Experten für 2023 ein Wachstum von rund drei Prozent voraus. Für die Wirtschaft geht es trotz des Krieges langsam wieder aufwärts. Viele verschlafen gerade die Chance, glaubt Nikutta: "Wenn du mein Freund in der Not bist, bist du auch mein Freund in der Zeit." Der Berater ist sich sicher, dass jetzt die entscheidenden Netzwerke aufgebaut und vor allem persönliche Kontakte geknüpft werden müssen.
Was das Land am dringendsten braucht
Ein Ort, wo das passieren soll, ist heute Berlin. Zum 6. Mal findet hier das deutsch-ukrainische Wirtschaftsforum statt. Über 500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben sich angekündigt, wollen sich über die wirtschaftliche Entwicklung der Ukraine informieren oder sich auf Panel-Diskussionen austauschen.
Auch politisch ist das Wirtschafsforum hochkarätig besetzt und zeigt damit seine Bedeutung. Bundeskanzler Olaf Scholz und der Premierminister Dennys Schmyhal halten die Eröffnungsreden. Und der ukrainische Präsident Selenskyj lässt sich online zuschalten.
Doch was benötigt die Ukraine? Das Land selbst hat bereits fünf Schwerpunktbranchen definiert, für die es dringend Unterstützung aus dem Ausland braucht: Energieversorgung, Gesundheitswesen, Infrastruktur, Bauwesen, Agrarindustrie.
Keramiktöpfe aus Lwiw
Dass es möglich ist, in der Ukraine auch während des Kriegs Geschäfte zu machen, zeigt das Berliner Start-up-Unternehmen "our greenery". In ihrem Büro im Berliner Stadtteil Wedding entwickeln insgesamt elf Mitarbeiter stylische Möglichkeiten, um zuhause Kräuter und Gemüse anzubauen. "Smart Indoor-Farming" nennt es der Gründer Daniel Bosman. Die Pflanzensamen kommen aus Brandenburg, ihre Keramikprodukte lassen sie jedoch in der Westukraine produzieren.
Als der Krieg ausbrach, haben sie lange überlegt, ob sie nicht lieber sicherheitshalber den Hersteller wechseln. Sich dann aber bewusst dagegen und für die Ukraine als Standort entschieden. Auch um das Land wirtschaftlich weiter zu unterstützen.
Ab und zu gibt es kleinere Probleme, zuletzt etwa Schwierigkeiten, die Ware aus dem Land zu bekommen. Es sei nicht leicht, ukrainische Männer zu finden, die Lkw mit ihrer Ware aus dem Land fahren, erzählt Bosman. Dann gelte es, kreative Lösungen zu finden. Und so wurde die Ware nur bis Grenze transportiert, und eine zweite Spedition hat den restlichen Weg übernommen. Dadurch sind die Lieferzeiten ab und zu zwar ein wenig länger. Und auch sind nicht immer alle Rohstoffe direkt verfügbar. Aber es geht - und für das Berliner Start-up überwiegen am Ende die Vorteile.