Begehrte IT-Experten Wie Kanada digitale Nomaden aus aller Welt anlockt
Im Werben um Fachkräfte aus der Tech-Branche geht Kanada einen besonderen Weg. Statt mit Geld lockt die kanadische Regierung mit Sicherheiten - und wenig Bürokratie.
Seit ein paar Wochen träumt Software-Ingenieur Sriram V. vom großen Umzug ins Nachbarland. "Vancouver, Toronto, British Columbia: Es gibt viele Möglichkeiten, techmäßig."
Der gebürtige Inder lebt und arbeitet seit ein paar Jahren für eine Firma im Großraum New York. Meist im Homeoffice und sehr flexibel. Doch sein Visum ist an die Firma gebunden, für die er in den USA arbeiten kann. Und seine mit eingereiste Partnerin kann unter den Visum-Bestimmungen dort nicht arbeiten.
Dann hört Sriram von der Einladung, die Kanadas Einwanderungsminister Sean Fraser kürzlich auf einer Tech-Konferenz in Toronto bewarb. "Stellt Euch ein Leben in Kanada vor", sagte er vor dem Publikum. "Nicht nur für ein paar Wochen, sondern möglicherweise für eine lange Zeit."
Dauerhaftes Bleiberecht winkt
Die Initiative "Tech Talent Strategy" soll es möglich machen. Mit dem angelaufenen Programm wirbt das nordamerikanische Land um digitale Nomaden aus der ganzen Welt - und nicht nur, um durchs Land zu reisen, wie Fraser im Wirtschaftssender Bloomberg erklärt: "Du kannst eine kanadische Arbeitserlaubnis bekommen, die dich vielleicht sogar auf den Weg bringt, hier dauerhaft ansässig zu werden."
Die Initiative ermöglicht es Tech-Talenten zunächst, maximal sechs Monate aus der Distanz per Telearbeit für ihren heimatlichen Arbeitgeber von Kanada aus tätig zu sein - und zwar ohne, dass sie dafür ein Visum beantragen müssen. In dieser Zeit erhebt Kanada keine Steuern. Die müssen die Beschäftigten ganz normal weiter in ihrem Heimatland entrichten.
Wer sich nach diesem "Schnupperkurs" in das Leben in Kanada verliebt, dem öffnet das Anwerbe-Programm gleich eine zweite Tür. Fraser frohlockt: "Wenn die IT-Kräfte ein Jobangebot in Kanada haben, können sie einfach bleiben und ein paar Jahre hier arbeiten. Dann können sie sich entscheiden, ob sie permanent ansässig werden wollen." Der große Preis sei also am Ende nicht, für ein paar Wochen nach Kanada zu fahren, sondern dort eine vollwertige Arbeitserlaubnis zu bekommen.
Höhere Löhne in den USA, aber unsicherere Jobs
Fraser gesteht offen: Die Initiative entstehe aus dem Druck heraus, in der Tech-Entwicklung weiter mit vorn zu bleiben. Der Minister behauptet, inzwischen gebe es mehr Tech-Talente in der Provinz Ontario als in der San Francisco Bay.
Während die IT-Branche in großen Städten wie Montreal, Vancouver und Toronto gerade massiv wächst, laufen Kanada insgesamt aber viele Tech-Talente davon. Nach Informationen des Personaldienstleisters "Randstad Canada" verliert das Land in diesem Sektor jährlich knapp ein Prozent seiner arbeitenden Bevölkerung an das große Nachbarland USA.
Und das hat Geldgründe: Während Tech-Experten in Kanada im Schnitt umgerechnet rund 70.000 Euro im Jahr verdienen, können sie in US-Hubs wie New York oder San Francisco knapp das Doppelte für ihre Arbeit bekommen. Allerdings: In den USA haben zu Beginn des Jahres viele Tech-Firmen von Google bis Amazon Zehntausende Mitarbeiter entlassen.
Kostenlose Gesundheitsversorgung
Angestellte wie Sriram V. schätzen daneben auch die Stabilität von Kanadas Sozialsystem. "Das ist attraktiv", sagt er. "Du musst nicht um deine soziale Grundversicherung bangen. Du hast auch nicht dauernd die Handschellen der Einwanderungsbehörden um dich."
Kanadische Staatsbürger und Personen mit ständigem Wohnsitz dort haben Anspruch auf eine kostenlose öffentliche Gesundheitsversorgung. Tech-Nomaden, die ihren Aufenthalt über die ersten sechs Monate ausdehnen, müssen ihren Lohn allerdings in Kanada versteuern. Dort zahlt ein alleinstehender Arbeitnehmer in diesem Jahr im Durchschnitt 25,6 Prozent Einkommenssteuer.
Trotz der horrenden Mietpreise und Lebenshaltungskosten in kanadischen Metropolen ist das Projekt für Digitalnomaden attraktiv. So auch für IT-Fachkräfte wie die Qualitäts-Managerin Soumya J.: Sie gehört zu den ersten 10.000 Bewerberinnen, die über ein gebundenes US-amerikanisches H1B-Arbeitsvisum als digitale Nomaden in Kanada zugelassen worden sind.
Ein Gewinn für alle?
Erfolgreich hat sie sich von New Jersey aus auf die Arbeitserlaubnis in Kanada beworben. Das sei, verglichen mit den US-Behörden, sehr einfach gewesen, schwärmt sie. Sie habe alles selbstständig auf dem Computer machen können. Die Behördenmitarbeiter in Kanada seien sehr hilfsbereit gewesen.
Jetzt schreibt Soumya J. viele Bewerbungen. "Obwohl ich so viele losgeschickt habe, hat mich allerdings noch kein Arbeitsvermittler zurückgerufen", sagt sie. "Ich muss abwarten und sehen, wie es läuft."
Wie die US-Firmen zu solchen Abwerbe-Kampagnen des Nachbarn Kanada stehen, ist unklar. Kanadas Einwanderungsminister Fraser jedenfalls sagt, es könnten alle nur gewinnen: "Es wird ein großer Gewinn für Kanada, es wird ein großer Gewinn für die Arbeitenden, und es könnte ein Gewinn für die USA werden, die ihre Verbindung zu den Tech-Talenten halten können. Denn anstatt auf der anderen Seite der Welt nach Arbeit zu suchen, bleiben sie in Nordamerika."