Zehn Jahre nach der Troika Die Verarmung griechischer Rentner
Vor zehn Jahren forderte die Troika erstmals Rentenkürzungen in Griechenland. Heute haben viele Ältere viel weniger Rente als früher. Gelöst sind die Probleme der Rentenkasse trotzdem nicht.
Yannis Agapitos steht in Athen am Kydathineon Platz und trinkt einen Kaffee mit seiner Frau. Der 86-Jährige hat alle Rentenkürzungen seit der Finanzkrise mitgemacht. Geblieben sei ihm nach insgesamt drei großen Reformen noch knapp die Hälfte seines Altersgelds, erzählt Agapitos: "Damit decken wir gerade den täglichen Bedarf ab. Wir rechnen immer genau, und das Geld geht dahin, wohin es gehen muss". Für Extras sei nicht viel übrig. "Der tägliche Kaffee", meint der Mann mit dem mächtigen, grauen Schnurrbart, "ist der einzige Luxus, den wir uns noch gönnen".
Für das Ehepaar Agapitos ist der tägliche Kaffee zum Luxus geworden.
960 statt 2000 Euro
Knapp 2000 Euro Rente erhielt Agapitos vor zehn Jahren. Dann kam die sogenannte Troika mit Vertretern der EU-Kommission, der Europäischen Zentralbank und des Internationalen Währungsfonds und drängte Athen zu Rentenkürzungen. Jetzt muss der ehemals festangestellte Journalist statt mit 2000 mit 960 Euro Rente im Monat auskommen.
"Wenn man berücksichtigt, dass ich noch meine Kinder unterstütze, weil deren Löhne drastisch gesunken sind, dann versteht man, dass ich am Monatsanfang erst mal sehe, dass ich alle festen Ausgaben bezahle", sagt der Rentner. Strom, Wasser, Telefonrechnungen, dann kämen die Einkäufe, der Schlachter, das Brot. "Und dann", meint Agapitos schulterzuckend, "schauen wir, was für den Rest des Monats noch übrigbleibt".
Rentner kommen oft für Angehörige auf
Die Folgen der Rentenkürzungen sind noch schmerzhaft in einem Land, in dem die Rente bis heute wichtigste Säule des Sozialsystems ist. In Griechenland gibt es nach wie vor keine Sozialhilfe, kein BAföG; Berufseinsteiger müssen mit geringen Gehältern auskommen. Die Rente half schon immer, ganze Familien finanziell über Wasser zu halten. Jetzt aber muss ein Fünftel aller Rentnerinnen und Rentner mit weniger als 500 Euro Altersgeld im Monat auskommen.
Dimitrios Andreadakis, Chef der Allgemeinen Griechischen Rentnergewerkschaft, sagt: "Es herrscht Armut unter einer großen Masse älterer Rentner, die nicht von irgendwelchen Zusatzfonds profitieren, sondern nur von einer Rente leben". Da gebe es schwerwiegende Probleme. Aber auch alle, die etwas mehr Rente bekämen, seien in Schwierigkeiten, "weil es hier keinen einzigen Rentner gibt, der mit seinem Geld nicht auch versucht, die Familie seiner Kinder zu unterstützen".
Später im Leben weniger Geld
Laut Zahlen der OECD ist in Griechenland durch die Kürzungen seit 2012 das Rentenniveau der Durchschnittsverdiener von rund 80 auf 51 Prozent gesunken. Gleichzeitig hat die Regierung, noch unter Ministerpräsident Alexis Tsipras, das Renteneinstiegsalter erhöht. Anfang der 2000er-Jahre konnten die Griechen noch mit 57 Jahren in den Ruhestand. Jetzt liegt das gesetzliche Renteneintrittsalter bei 67 Jahren - und damit höher als in Deutschland.
Das Problem: Das Konzept "Renten kürzen und länger arbeiten" hat die Schwierigkeiten der griechischen Altersversorgung nicht gelöst. Einerseits, sagt Platon Tinios, Wirtschaftswissenschaftler und Rentenexperte der Universität Piräus, hätten aktuell in Griechenland junge Familien mit Kindern das größte Armutsrisiko. Andererseits aber seien die Renten nach wie vor eine Riesenbelastung für die öffentlichen Kassen. Trotz der mehrfachen Kürzungen bei der Altersversorgung sei in Griechenland der Anteil der Renten am Bruttosozialprodukt im vergangenen Jahrzehnt sogar gewachsen und "nach wie vor der höchste in Europa", betont der Wirtschaftsprofessor.
Staat muss mehr für Renten ausgeben
Athen hat 2009 rund 13 Prozent seines Bruttosozialprodukts in Rentenzahlungen gesteckt. Jetzt ist das Volumen auf rund 18 Prozent gestiegen. Die Gründe, sagt Tinios, lägen auf der Hand: Zwar seien in Griechenland die Ausgaben für die Renten in absoluten Zahlen wegen der Kürzungen zurückgegangen. Aber, sagt der Rentenexperte, "die Wirtschaftsleistung ist halt ebenfalls gesunken". Mit dem Ergebnis, dass das Rentenbudget stärker als zuvor auf die Staatskasse drücke, aus der rund 50 Prozent der Renten finanziert werden. Die andere Hälfte komme aus Beitragszahlungen.
Den Teufelskreis aus sinkenden Renten und schwächelnder Wirtschaft bei zunehmender Alterung der Gesellschaft will Griechenland durchbrechen: durch mehr Wachstum nach der Covid-Krise - damit sich die finanziellen Opfer der jetzigen Rentner wie Yannis Agapitos gelohnt haben. "Durch die Kürzungen", meint der 86-Jährige und stellt seine Kaffeetasse ab, "ist für Extravergnügen in den letzten Jahren unseres Lebens nicht mehr viel übriggeblieben".