Steigende Nahrungsmittelpreise Sind die Spekulanten schuld?
Wie viel Mitverantwortung tragen Marktspekulanten für hochschießende Preise von Agrarprodukten? Kritiker sprechen von "Zockerei". Ökonomen sehen aber auch sinnvolle Effekte darin, wie Preise entstehen.
Spekulationen auf Nahrungsmittel-Preise sind ein Thema, bei dem die Reaktionen emotional ausfallen. Der Vorwurf richtet sich gegen Hedgefonds, die auf steigende Preise wetten. Damit würden sie die Preise für Weizen oder Mais auf dem Weltmarkt zusätzlich in die Höhe treiben und so die Hungersnot in armen Ländern verschärfen.
Aber stimmt dieser Zusammenhang überhaupt? Ja, sagt die Nicht-Regierungsorganisation Foodwatch. "Dadurch, dass so viel Geld von reinen Finanzinvestoren ist, beeinflusst das auch die realen Spotpreise und den Getreidehändler", erklärt Matthias Wolfschmidt, Internationaler Strategie-Direktor bei Foodwatch. "Denken Sie an die vier oder fünf Großen, die riesige Läger mit Getreide haben." Die Branchenriesen achteten bei ihrem Geschäft genau darauf, was aktuell an den entsprechenden Börsen aufgerufen werde, und orientierten sich genau daran, so Wolfschmidt.
"Eine Einladung, mehr zu produzieren"
Dies zu tun ist ja zunächst nichts Schlechtes - im Gegenteil, sagt Marcus Schreiber, Gründer der Wirtschaftsberatung tws-Partners. Er ist selbst im Agrar-Bereich in Afrika engagiert. Er sagt: Die aktuell steigenden Preise für Agrarrohstoffe können sogar künftige Hungerkrisen abmildern. "Wenn jetzt auf diesen sogenannten Spekulationsmärkten die Preise steigen, ist es nichts anderes als die Einladung an Farmer, an Bauern, mehr zu produzieren."
Künftig gebe es auf dem Weltmarkt dann sogar mehr Weizen, wenn sich die Krise - wie aktuell erwartet - noch verschärft. Nämlich im Herbst, wenn die Ernte aus der Ukraine ausbleibt. Investoren an den Agrarrohstoff-Märkten sind laut Schreiber also eine Art Frühwarnsystem. "Das heißt also, wenn jetzt nichts passieren würde, dann würden in sechs Monaten die Preise wirklich durch die Decke gehen", erklärt er das Prinzip. "Die Nahrungsmittel-Spekulanten, wie sie weiterhin genannt werden, die sind wie ein Frühwarnsystem. Die geben Papiere raus und sagen: 'Wir sind bereit, jetzt Weizen in sechs Monaten für sehr viel mehr Geld zu kaufen'."
Auch staatliches Fehlverhalten spielt eine Rolle
Das ist auch eine Art Versicherung für Bauern, die damit einen garantierten Preis für ihre Ware in der Zukunft gezahlt bekommen. Wirtschaftsethik-Professor Ingo Pies von der Universität Halle-Wittenberg hält den Preismechanismus der Agrarrohstoff-Märkte daher auch volkswirtschaftlich für sinnvoll. "Die Preissignale veranlassen uns, heute sparsam zu sein, damit wir morgen in der Not mehr Getreide zur Verfügung haben."
Ob die Nahrungsmittel dann auch bei den ärmsten Ländern ankommen, ist eine andere Frage. Hier spielte in der Vergangenheit laut Wirtschaftsethiker Pies auch staatliches Fehlverhalten eine Rolle. So hätten Exportländer künstlich ihr Angebot gedrosselt, und gleichzeitig hätten Abnehmerländer mehr aufgekauft als sie brauchten - und damit die Nachfrage und somit auch die Preise - nach oben getrieben.
Irreführende Wortwahl?
Wenn Foodwatch nun von "Zockerei auf Agrar-Rohstoffpreise" spricht, ist das aus Sicht des Wirtschaftsethikers irreführend. "Die zivilgesellschaftlichen Kampagnen verwenden Glücksspiel-Metaphern und erwecken den Eindruck, es sei moralisch verwerflich, wenn Finanzakteure auf dem Terminmarkt für Agrarrohstoffe tätig werden", kritisiert Pies. "Da ist dann von Zocken die Rede, von Kasino, von Wetten auf den Hunger."
Festzuhalten ist: Es gibt keinen eindeutigen Beleg dafür, dass Warentermingeschäfte die Preise von Nahrungsmitteln zusätzlich in die Höhe treiben. Zahlreiche Studien zeigen dagegen, dass es vor allem realwirtschaftliche Faktoren sind, die die Preise am Markt beeinflussen. Ein Markt, an dem es natürlich auch ums Geld verdienen geht.