Getreidefeld
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Gentechnik-Einsatz Gen-Schere spaltet Landwirtschaft

Stand: 27.06.2021 15:51 Uhr

Neue genetische Zuchtverfahren könnten die Landwirtschaft revolutionieren, sagen die einen. Einen unzulässigen Eingriff in die Natur sehen darin die anderen. Noch ist die viel diskutierte Gen-Schere nur wenig im Einsatz.

Brusthoch steht der Roggen auf den Versuchsflächen des Dottenfelder Hofs nördlich von Frankfurt. Emmer, ein Ur-Weizen, wächst hier in vielen Variationen - und auch moderner Weizen: Jede der vielen kleinen Parzellen sieht anders aus. Hier ist das größte Forschungszentrum für den ökologischen Landbau in Deutschland. Carl Vollenweider ist der verantwortliche Züchter. Für ihn ist Gentechnik keine Option.

"Der Züchter hat 35 bis 40 Merkmale im Kopf, die er beachten muss", sagt er. Ertrag, Halmlänge, Wurzelbildung: Alles hänge mit allem zusammen. "Da nützt es fast gar nichts, wenn man nur an einer Schraube dreht. Und wenn man es tut, dann muss einem klar sein, dass die anderen 34 Rädchen mitdrehen und dass man schauen muss, was man da wieder angerichtet hat." Ob klassische Gentechnik oder die moderne Genom-Editierung: Für Vollenweider sind das sinnlose Versuche, die Natur zu überlisten.

Ist die Gen-Schere Gentechnik?

Viele konventionelle Züchter hingegen würden das Genom-Editieren mit der Gen-Schere schon gerne nutzen. Es ist quasi die redaktionelle Überarbeitung des Erbgutes durch Menschen. Der Unterschied zu bislang genutzten Gentechnik-Verfahren: Anstatt fremde Gensequenzen einzubauen - etwa ein Stück Fisch-Gen in die Erbmasse eines Tannenbaums oder die Resistenz eines Bodenbakteriums in Weizen -, bearbeiten die Wissenschaftler das von der Natur der Pflanze vorgegebene Material. Die Frage, an der sich die Geister scheiden: Ist das dann auch schon Gentechnik - oder kann dieses Label weggelassen werden?

Der Europäische Gerichtshof hat vor drei Jahren entschieden: All das unterliegt dem Gentechnikgesetz, und der Anbau ist strikt verboten, solange die Pflanzen nicht ausdrücklich und nach intensiver Prüfung zugelassen wurden. Doch nun will die EU-Kommission will ihr 20 Jahre altes Gentechnikrecht auf den Prüfstand stellen.

Sie hatte im April eine Studie vorgelegt, die zu dem Schluss kommt, dass diese neuartigen gentechnischen Verfahren keine größeren Risiken bergen als konventionelle Verfahren. Ein weiteres Ergebnis der Studie lautet, dass es - was die Einordnung betrifft - sehr verschiedene denkbare Anwendungen gibt. In manchen Fällen kann das Ergebnis nach Einsatz der Gen-Schere klar als gentechnische Veränderung identifiziert werden - in anderen Fällen hingegen nicht. Und dann wird es schwierig, auf einer Kennzeichnung zu bestehen, die man im Zweifel nicht kontrollieren kann.

Viel Forschung, wenig Anwendung

Die großen Agrarkonzerne setzen voll auf diese Verfahren. Denn im Gegensatz zur konventionellen Züchtung sind die Ergebnisse von gentechnischen Verfahren patentierbar - und damit lässt sich Geld verdienen. Matthias Berninger ist Chef-Lobbyist der Bayer AG, die spätestens seit dem Kauf von Monsanto das größte private Forschungsbudget weltweit hat. In drei bis vier Jahren will der Konzern eine Maissorte in den Markt bringen, die stärkere Wurzeln und einen kürzeren Halm hat. Damit solle sie an den Klimawandel angepasst sein, sagt Berninger, weil die Pflanze weniger Wasser brauche und besser mit Stürmen klarkomme. Das Versprechen: 20 Prozent mehr Ertrag - oder wie Berninger es lieber formuliert: 20 Prozent weniger Flächenverbrauch.

Allerdings wird bislang noch viel mehr über die Gen-Schere geredet, als dass sie faktisch angewandt wird. Das Joint Research Center der EU hat einen Überblick zum Stand der Entwicklung geliefert: Danach gibt es zwar weltweit mehr als 400 Forschungsprojekte. Doch stehen viele davon erst am Anfang. Bislang gibt es nur eine einzige Pflanze im Anbau, deren Erbgut per Gen-Schere verändert wurde: eine Sojabohne mit verändertem Ölsäuremuster.

Stephanie Franck, die Präsidentin des Bundesverbands Deutscher Pflanzenzüchter (BDP), ist dementsprechend vorsichtig. Den neuen Züchtungsverfahren werde das Potenzial zugeschrieben, die Entwicklung von neuen Sorten zu verkürzen, formuliert sie. Um herauszufinden, ob die Gen-Schere hält, was sie verspricht, hat der BDP ein Pilotprojekt mit pilztolerantem Weizen gestartet. Das Interesse der Branche ist erheblich: 54 Züchtungsunternehmen wollen sich daran beteiligen.

Nur ein kleiner Teil des Zuchtprozesses

Eines ist bereits jetzt sicher: Die Technik alleine macht noch keine Sorte. Das wissen konventionelle wie ökologische Züchter gleichermaßen. Schon immer lebt die Züchtung von Mutationen. Die kommen zwar in der Natur massenweise vor, doch um die Veränderung der Erbmasse zu beschleunigen, wird nachgeholfen: beispielsweise mit radioaktiver Bestrahlung, dem Einsatz von Chemie-Cocktails - oder eben neuerdings mit der Gen-Schere. Das eigentlich Komplizierte aber kommt erst danach: Die gewünschten Effekte der Mutationen müssen von den unerwünschten getrennt werden. Die Eignung der gesamten Pflanze - und nicht nur die des neu entstandenen genetischen Konstrukts - muss in der Natur getestet werden. Das Editieren des Genoms mit der Gen-Schere ist also nur ein kleiner Teil des Gesamtverfahrens.

Ökozüchter Vollenweider sieht es so: Auch unter dem Blickwinkel der Welternährung brauche man zuerst einmal Pflanzen, die von Natur aus mit ihrem jeweiligen Umfeld klarkommen und einen stabilen Ertrag bringen. Dann brauche man Anbausysteme, die unter den jeweiligen äußeren Bedingungen funktionieren - und Schulung für die Bauern. Und ehe nicht das alles klappt, hält er es für sinnlos, mit Hilfe gentechnischer Verfahren an einem einzelnen der vielen Züchter-Schräubchen zu drehen. Ob man später einmal eine Detailverbesserung auch mit einer Gen-Schere machen könnte? Das schließt er gar nicht völlig aus.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 25. Juli 2018 um 12:00 Uhr und Deutschlandfunk am 12. Januar 2021 um 19:15 Uhr.