Klimawandel in Deutschland Melonen statt Äpfeln und Birnen?
Die Klimakrise verschiebt die Jahreszeiten: Die Obstblüte kommt nach BR-Recherchen immer früher. Doch trotz der Erderwärmung könnten die Blüten künftig häufiger erfrieren - und Äpfel vom Bodensee zum Luxusgut werden.
Daniel Willhalm bückt sich zwischen die grünen Blätter und hebt eine handgroße Kugel auf. "Die Sorte heißt Gandalf", sagt er. Es ist eine besonders süße Zuckermelone. In rund zwei Wochen sind die Früchte reif. Die Melone mit dem orangefarbenen saftigen Fleisch verkauft Willhalm dann frisch geerntet auf Wochenmärkten im Allgäu.
"Viele waren erst skeptisch: 'Die können hier doch nicht schmecken, viel zu wenig warm, viel zu wenig Sonne, die kommen doch eigentlich aus Spanien, der Türkei, irgendwie aus den heißen Ländern.' Aber: Wir haben überzeugt", sagt er. Die Früchte wachsen hier oberhalb von Lindau am Bodensee in sechs Reihen unter einem offenen Folientunnel. Nebenan wachsen zahlreiche Wassermelonen im Freien. Sie müssen noch ein wenig länger reifen.
Trockene Böden
Seit einigen Jahren macht Willhalm nicht nur die Erfahrung, dass am Bodensee neben Birnen, Kirschen und Erdbeeren auch Pfirsiche, Aprikosen und neuerdings Melonen gut mit den klimatischen Bedingungen zurechtkommen. Mittlerweile wachsen dort auch andere Apfelsorten als früher. Etwa "Fuji". Eine knackige, späte Sorte. Der Gärtnermeister nennt auch "Braeburn" und sagt: "Als wir in Lindau mit Obstbau angefangen haben, wäre das noch nicht möglich gewesen." Künftig müsse man da auch ein wenig experimentierfreudig sein. Schon jetzt bereitet ihm die Veränderung des Klimas Sorge.
Der Boden in den Apfelplantagen ist hart, trocken und zerfurcht. Weiter unten, sagt Willhalm, ist es noch feucht. Trotzdem denkt er darüber nach, seine Bewässerung auszubauen. Über Schläuche gelangt dann Tropfen um Tropfen direkt an die Wurzeln der jungen Apfelbäume.
In der Region im Lindau wird traditionell viel Obst angebaut.
Zehntausende Euro für Hagelschutz
Gerade erst hat er Hagelnetze für Zehntausende Euro zum Schutz über die Bäume gespannt. Willhalm sagt: "Es ist so, dass wir in Lindau früher sehr wenig Hagel hatten. Klar gab's das immer wieder mal. Die Stärke der Unwetter nimmt einfach zu." Er beobachtet seit einiger Zeit auch längere, viel konstantere Wetterphasen als früher.
Wie in diesem Jahr. Erst regnete es über Wochen, jetzt ist es seit Wochen sonnig und warm, Regen fällt kaum. Künftig kommen noch ganz andere Probleme auf Willhalm und seine Kolleginnen und Kollegen zu, überall in Deutschland.
Immer frühere Blüte
Und das klingt zunächst paradox: Die Erde erwärmt sich immer stärker und insgesamt nehmen die Frosttage ab, zugleich erfrieren die Blüten der Apfel- und Birnbäume im Frühling. Die Folge sind Ernteausfälle und Schäden an den Früchten. Die können selbstverständlich noch gegessen werden, in den Handel dürfen sie aber nicht. Tatsächlich ist das schon Realität.
In den vergangenen Jahren war die Blüte immer wieder rund zwei Wochen früher dran als im Vergleich zum 30-Jahres-Mittel. Die folgenden Frosttage im Jahr 2017 zum Beispiel haben zu Einbußen geführt. Landwirt Willhalm sagt: "Das war das erste Jahr, in dem wir das massiv hatten bei uns in der Region. Da hatten wir im Betrieb noch 35 Prozent Ernte."
Umfangreiche Datenanalyse
Und die Entwicklung wird zunehmen, je stärker die Klimakrise voranschreitet. Alle zehn Jahre setzt die Blüte derzeit nämlich rund fünf Tage früher ein. Das zeigen Daten des Deutschen Wetterdienstes (DWD) und vom Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU), die sich Daten-Journalisten des BR genauer angeschaut und interaktiv aufbereitet haben.
War die Apfelblüte in Bayern demnach in den 1990er-Jahren noch Anfang/Mitte Mai (4.-9. Mai), beginnen die Bäume heute schon Ende April (24.-29. April) die Knospen auszutreiben. Im Süden und Osten Bayerns wird diese Entwicklung in Zukunft stärker sein, als etwa in Franken und der Oberpfalz.
Apfelanbau grundsätzlich in Gefahr
Bundesweit gesehen wird sich das Risiko von Frost in der frühen Blüte in den nördlichen Anbaugebieten laut Forschungen beispielsweise der Humboldt-Universität zu Berlin weiterhin verstärken. Im Süden könnten die klimatischen Veränderungen einigen Modellen zufolge sogar dazu führen, dass die Obstanbaugebiete etwa am Bodensee grundsätzlich in Gefahr geraten. Und zwar schon Mitte des Jahrhunderts. Deutschland im Jahr 2050 ohne Äpfel vom Bodensee?
Klimaforscher Carl-Friedrich Schleußner hat das mit einer Kollegin und einem Kollegen der HU Berlin genauer untersucht. Landwirte sind auf die Wissenschaftler selbst zugegangen. Sie haben sich gefragt, ob es trotz der wärmeren Winter und des Klimawandels mehr Frostschäden geben kann. "Und diese Frage können wir bejahen", sagt Schleußner.
Höhere Gefahr für Ernteausfälle
Es gilt: Je weniger Klimaschutzmaßnahmen, desto stärker die Erwärmung und umso früher der Frühling und je früher die Blüte, desto höher ist die Gefahr für Ernteausfälle: "Denn Frost heiß nicht, dass wir minus zehn Grad haben müssen, um Frostschäden an Obstbäumen oder Blüten zu bekommen, sondern eben nur unter null." Und der Wissenschaftler sieht noch ein weiteres Problem.
Damit etwa Apfelbäume ihre Blüten überhaupt austreiben können, brauchen sie Ruhephasen und Kälte. Landwirte sprechen vom Kälteschock. Die Vegetation muss runterfahren, um dann im Frühling wieder starten zu können. "Und das Problem ist, dass diese Kältephase nicht mehr ausreicht, um die Pflanze überhaupt in diesen Zustand zu versetzen", sagt Klimaforscher Schleußner.
Nicht mehr kalt genug für Apfelbäume
Während im Norden des Landes, zum Beispiel in Anbaugebieten wie dem Alten Land und am Niederrhein zwischen Köln und Kleve, die Risiken für Frostschäden künftig noch weiter zunähmen, könnten die Erhebungen mit Blick insbesondere in Richtung des Bodensees sogar darauf hindeuten, "dass vielleicht an sich der Apfelanbau in Gefahr gerät, weil die Winter quasi nicht mehr kalt genug sind."
Schleußner spricht von "zunehmend mediterranen Klimabedingungen", die man in Teilen Süddeutschlands sehen werde. Er sagt dazu: "Wir haben keine Apfelplantagen in Süditalien - das hat ja auch einen Grund."
Eine Melonenpflanze mit Frucht - die Früchte wachsen hier oberhalb von Lindau am Bodensee in sechs Reihen unter einem offenen Folientunnel.
Versicherung gegen Frostschäden
Obstbauer Willhalm experimentiert deshalb immer mehr mit Unbekanntem. Seine Melonen etwa scheinen gut zu gedeihen. Und was den Frost angeht, habe man nicht viele Möglichkeiten, sagt er. Im Kampf gegen kalte Nächte zünden die Landwirte am Bodensee beispielsweise kleine Feuer in den Plantagen an. Ein, zwei Grad mehr durch den warmen Rauch nehmen da manchmal schon Schaden von den Bäumen.
An anderen Orten, die näher an Flüssen liegen, beregnen die Landwirte ihre Anlagen, zum Beispiel am Niederrhein und im Alten Land - das gefrorene Wasser legt sich dann wie ein Schutzschild um die Blüten. Allerdings ist die Frostschutzberegnung aufwendig, enorm viel Wasser ist notwendig. Willhalm hat seinen Betrieb inzwischen versichert, um für den Frostfall wenigstens finanziell abgesichert zu sein.