Nach dem Putsch in Niger Furcht vor einem militärischen Eingreifen wächst
Der westafrikanische Staatenbund ECOWAS hat die Putschisten in Niger aufgefordert, die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen. Eine entsprechende Frist ist nun ausgelaufen - es droht eine bewaffnete Intervention.
Die Zeit ist abgelaufen für die Militärputschisten - jedenfalls soweit es das westafrikanische Staatenbündnis ECOWAS betrifft. Bis zum Sonntag hatten die Staatschefs der Führung in Nigers Hauptstadt Niamey Zeit gegeben, die Demokratie wieder herzustellen und den gestürzten und dann festgesetzten Präsidenten Mohamed Bazoum freizulassen. Gleichzeitig wurden finanzielle und wirtschaftliche Sanktionen in Kraft gesetzt, wie Grenzschließungen oder Stromsperren.
Spitzenmilitärs beraten über Intervention
Drei Tage berieten die Spitzenmilitärs der Länder, mit wem sich ein Waffengang durchführen ließe - und wie. Als Truppensteller sind vor allem Senegal, Elfenbeinküste, Benin und Nigeria im Gespräch. Jetzt müssen die Staatschefs erneut entscheiden, wie es weitergehen soll. "Alle Elemente für eine mögliche Intervention sind nun da", erklärte Abdel-Fatau Musah, ECOWAS-Kommissar für Politik und Sicherheit, nach dem Treffen. Mit der Strategie "Zuckerbrot und Peitsche" hat sich ECOWAS nun in eine schwierige Lage gebracht.
Ein Drittel der 15 Mitglieder des Bündnisses waren an allen Beratungen allerdings nicht beteiligt - die Militärregierungen der Region und das politisch unübersichtliche Guinea-Bissau. So kämpft ECOWAS nicht nur gegen die neuen Militärs in Niamey, sondern auch um die eigene Glaubwürdigkeit. Denn ECOWAS und ihr neuer Vorsitzender, Nigerias Präsident Bola Tinubu, werden womöglich schmerzhafte Entscheidungen treffen müssen. Der Staatenbund soll nicht noch mehr Einfluss und Ansehen in der Region verlieren.
Militärisches Einschreiten stellt Nigeria vor Probleme
Je näher ein militärisches Einschreiten rücken könnte, desto mehr Probleme entstehen - auch für dessen Befürworter. Das gilt vor allem für Nigerias Präsidenten Tinubu, der gleichzeitig ECOWAS vorsteht.
Als bevölkerungsreichstem Land Afrikas, das noch dazu eine lange und besonders wichtige Grenze mit Niger hat, kommt Nigeria eine besondere Bedeutung zu. Militärische Auslandseinsätze müssen vom Senat beschlossen werden, es sei denn, es gäbe eine "unmittelbare Bedrohung" für die nationale Sicherheit. Die sieht der Senat offenbar nicht, dafür aber die Gefahr vieler mitunter ziviler Opfer. So wies er den Präsidenten an, weiter nach diplomatischen Lösungen zu suchen.
Viele Fragen unbeantwortet
Käme es zum Militäreinsatz, lautete eine Frage: Wie reagieren bei einem militärischen Einschreiten die Nachbarjunten in Mali und Burkina? Angekündigt haben sie, eine Intervention als Kriegserklärung anzusehen und Niger zu unterstützen. Aber selbst wenn ein militärisches Einschreiten erfolgreich wäre, würde dann Bazoum wieder eingesetzt? Ein Präsident, der in den vergangenen Tagen eher Einfluss und Zustimmung beim Volk verloren hat? Oder wollen die ECOWAS-Staatschefs am Ende gar warten, bis die in Kraft gesetzten Sanktionen greifen?
Mali und Burkina Faso sind die Verbündeten der Putschisten in Niger.
Lage in Niger schon jetzt ernst
Schon gibt es Probleme, Geld abzuheben, die Preise für Nahrungsmittel steigen, weil Transporte an den Grenzen zu Nigeria oder Benin festhängen. Niger hat keinen Meerzugang und ist auch bei Grundnahrungsmitteln auf Importe angewiesen. Erstmals hat Nigeria auch Stromsperren zum Nachbarland als Druckmittel eingesetzt.
"Nigrer im Ausland haben jetzt Schwierigkeiten, Geld nach Hause zu schicken, das wird Familien vor Ort hart treffen", sagt der Leiter des Sahel-Programms der Konrad-Adenauer-Stiftung, Ulf Laessing. "Das Problem ist, dass diese Sanktionen zwar auf die Regierenden zielen. Aber sie treffen den Mann auf der Straße." Das könnte dazu führen, dass die Menschen noch dichter an ihre neue Führung rücken - das Gegenteil von dem, was beabsichtigt ist.
Nigrer fühlen sich benachteiligt
Auch wenn die Bilder der Demonstrationen nicht die ganze Gefühlslage der Menschen in Niger widerspiegeln: Die Rufe nach einem Abzug der alten Kolonialmacht Frankreich - und oft des Westens allgemein - sind nicht zu überhören.
Viele haben das Gefühl, in der Vergangenheit nicht vom demokratischen System profitiert zu haben. Die Sicherheitslage hat sich zumindest nach dem Gefühl der Menschen nicht verbessert. Es gibt immer mehr Flüchtlinge aus den Nachbarländern - und kaum Erfolgsmeldungen beim Kampf gegen die grassierende Armut.
Andererseits ist Niger reich an Bodenschätzen wie Kohle, Gold und Uran. Viele Menschen verstehen nicht, warum Niger etwa Uran in die westliche Welt liefert und für Strom sorgt, die meisten Nigrer aber im Dunkeln sitzen.
Russland verbreitet Desinformation
Da haben es Desinformationskampagnen leicht, wie sie Russland - meist über Unterabteilungen der russischen Söldnerfirma Wagner - im Volk führt. "Die Desinformationskampagne hat seit letzter Woche dramatisch zugelegt", sagt Lessing. "Da werden die abstrusesten Dinge verbreitet, etwa, dass die Franzosen angreifen wollen. Davon abgesehen: Irgendjemand muss ja auch die russischen Fahnen besorgen."
Kein Wunder, dass nun eine der ersten Dienstreisen des nun zweitmächtigsten Mannes in Nigers, Salifou Mody, in Malis Hauptstadt Bamako führte. Dort sei es auch um eine schnelle Stationierung von Wagner-Söldnern gegangen sein, erklärte der für gewöhnlich gut informierte französische Journalist Wassim Nasr dem Sender france24.
Gestürzter Präsident machte sich Feinde
Salifou Mody war Generalstabschef unter dem gestürzten Präsidenten Bazoum, dann wurde er von ihm abgesetzt. Nun also ist er Stellvertreter von Junta-Chef-General Abdourahamane Tiani. Auch der stand offenbar kurz davor, seinen Job als Kommandeur der Präsidialgarde zu verlieren.
Zwei Enttäuschte, die persönliche Gründe hatten, den Präsidenten zu entmachten. Sie waren nicht die Einzigen: Die Pläne des Präsidenten, die Armee neu aufzustellen und gegen Korruption vorzugehen, hatten bei Teilen der Elite zu Verunsicherung geführt.
Bazoum schaffte Unsicherheit in der Elite und machte sich damit Feinde.
Motive der Putschisten letztlich unklar
Interessant ist zudem, dass es nach dem Putsch durchaus auch Sympathiekundgebungen für den abgesetzten Präsidenten gegeben hat. All das sind Unterschiede zu den Putsch-Nachbarländern Mali und Burkina Faso. Auch das Argument, dass die Sicherheitslage dringend einen Putsch in Niger erfordert hat, ist vage.
Die Lage ist zwar schlecht, aber bei einem objektiven Blick auf die Opferzahlen bei weitem nicht so schlecht wie in Mali oder Burkina Faso. "Die allgemeine Sicherheitslage in unserem Land hat sich verbessert", erklärte Modi noch zum Jahresbeginn vor ranghohen Militärs - nun wird eine desaströse Sicherheitslage plötzlich als ein Hauptgrund für den Umsturz angeführt.
Der Westen hofft auf ECOWAS
Die neusten Ereignisse könnten den Westen um seinen letzten nennenswerten Partner in der Sahelzone bringen. Europa geht es um Energie und Bodenschätze, aber auch um eine Kontrolle der Flüchtlingsrouten. Deutschland sorgt sich zudem vor allem um die Luftwaffenbasis in Niamey, die für den Abzug der Bundeswehr aus Mali fast unverzichtbar ist. Den USA geht es darüber hinaus um seine - nach Dschibuti - größten und wichtigsten Truppenbasen auf dem Kontinent. Wichtig ist vor allem der Drohnenstützpunkt inmitten des Landes, in Agadez.
So ist es denn auch kein Wunder, dass der Westen ECOWAS freie Hand bei seinen Entscheidungen lässt und politisch jede Unterstützung angeboten hat. Für ECOWAS ist die Zeit nun gekommen, Entscheidungen auch zu treffen.