Neues Abtreibungsrecht US-Amerikanerinnen löschen Zyklus-Apps
Wegen des neuen US-Abtreibungsrechts müssen Frauen befürchten, dass per Gerichtsbeschluss auf die Handys zugegriffen wird. Viele von ihnen löschen deshalb ihre Zyklus-Apps. Die Techkonzerne schweigen.
Für Kelly aus dem US-Bundesstaat Kentucky war wenige Stunden nach dem Urteil des Verfassungsgerichts klar, dass sie ihre Zyklus-App von ihrem Smartphone löschen wird. "Es ist eine beängstigende Zeit für uns Frauen. Daten aus diesen Apps können jetzt gegen einen verwendet werden."
Kentucky ist einer der Bundesstaaten, in dem das Abtreibungsverbot sofort nach Verkündigung des Urteils in Kraft trat. Ähnlich wie Kelly haben vermutlich Hunderttausende Frauen in den USA in den vergangenen Tagen Zyklus-Apps wie "Flo" gelöscht. Diese Apps speichern intimste Informationen. Zum Beispiel, ob die Nutzerin schwanger ist.
Datenschützer raten zur Vorsicht
"Flo" ist eine der beliebtesten Apps. Sie kommt nach eigenen Angaben auf 43 Millionen Nutzerinnen weltweit. Das Unternehmen, mit Hauptsitz in Großbritannien und Niederlassung in den USA, ist aber nicht gerade bekannt dafür, sonderlich sorgsam mit sensiblen Informationen umzugehen.
Vor drei Jahren, so berichtete das "Wall Street Journal", soll es unerlaubt Daten seiner Userinnen an Facebook weitergeleitet haben. Und zwar immer dann, wenn diese ihre Periode hatten oder schwanger werden wollten.
Datenschützer in den USA raten Frauen in betroffenen Bundesstaaten jetzt generell zur Vorsicht im Umgang mit diesen Apps: "Das könnte dazu führen, dass ein übereifriger Staatsanwalt in einem Staat, in dem Abtreibungen illegal geworden sind, Frauen schon wegen des Verdachts auf einen Schwangerschaftsabbruch verfolgt", sagt Bill Budington von der gemeinnützigen Electronic Frontier Foundation in San Francisco. Die Organisation macht sich für Grundrechte im Internet stark.
Der Datenschutzexperte meint, es gehe nicht nur um die Zyklus-Apps. Betroffen seien im Grunde alle Techunternehmen, die Daten sammelten - also Google, Facebook, aber auch kleine Start-Ups oder Fahrdienstleister wie Uber und Lyft.
Schweigen der Techkonzerne verwundert
Was viele Datenschützer dieser Tage jedoch wundert, ist, dass so viele Techunternehmen derzeit schweigen, allen voran die Großen: Google und der Facebook-Mutterkonzern Meta.
Ich vermute, sie wollen Fragen nach dem Umgang mit gesammelten Daten vermeiden und hoffen, sozusagen unter dem Radar fliegen zu können."
Kein Wunder: Der Markt für den Kauf und Verkauf persönlicher Daten hat in den USA ein jährliches Volumen von 29 Milliarden Dollar. Das Handy-Betriebssystem Android von Google funktioniert auch deshalb so gut, weil - anders als bei Konkurrent Apple - die Auswertung der Nutzerdaten zum Geschäftsmodell gehört.
Untätigkeit in Sachen Datenschutz rächt sich nun
Riana Pfefferkorn forscht an der Stanford-Universität zum Thema elektronische Überwachung. Sie sagt, die jahrelange Untätigkeit der Politik in Sachen Datenschutz räche sich jetzt - zum Nachteil vieler Frauen in Bundesstaaten, in denen Abtreibungen nun verboten sind.
Auch die Unternehmen hätten darüber nachdenken müssen, wie viele Daten sie sammeln. Wofür werden sie benötigt? Warum werden sie dauerhaft gespeichert? Sie hätten längst klären können, welche Daten man verschlüsselt, damit weder Unternehmen noch Strafverfolgungsbehörden darauf zugreifen können.