US-Außenminister Blinken in Nahost Erhöhen USA Druck auf Israel?
Aus den USA kommt viel Kritik an der israelischen Militäroffensive im Gazastreifen - Konsequenzen bleiben bisher aber aus. Das wird wohl auch der heutige Besuch von US-Außenminister Blinken in Israel nicht ändern.
Die Kritik aus den USA an der Kriegsführung von Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu ist in den vergangenen Wochen immer lauter geworden. "Er schadet Israel mehr, als dass er Israel hilft", sagte US-Präsident Joe Biden im Fernsehsender MSNBC. "Premierminister Netanyahu ist vom Weg abgekommen", kritisierte der führende Demokrat im US-Senat, Chuck Schumer. "Es gibt erste Schritte im Kongress, Waffenlieferungen der USA an Israel einzuschränken", so der demokratische Senator Chris Coons im Radiosender NPR.
Verliert Israels wichtigster Verbündeter tatsächlich die Geduld? Kappen die USA ihre Finanz- und Militärhilfe? "Wohl kaum", meint Aaron David Miller von der Carnegie-Stiftung, früher selbst Nahost-Vermittler im US-Außenministerium. Biden habe sich bisher geweigert, "die Hebel, die er tatsächlich hat, in Bewegung zu setzen", sagt Miller. Der Präsident habe die für Israel lebenswichtige Finanz- und Militärhilfe der USA weder eingestellt, noch eingeschränkt, noch an Bedingungen geknüpft.
Aggressiv mit Worten, passiv im Handeln
Millers Worten zufolge verfolge Biden zugleich eine passive und aggressive Politik: Aggressiv vor allem mit Worten, auch mit öffentlicher Kritik an Netanyahu. Doch am Ende passiv, weil Biden das größte Druckmittel - das Streichen der Militärhilfe - nicht einsetze.
Die amerikanisch-israelischen Beziehungen sind in einer Vertrauenskrise, die tiefer geht als in allen bisherigen Spannungsphasen des Verhältnisses.
"Ich denke, er hat das Vertrauen in Benjamin Netanyahu verloren", führt Miller aus. Aber Biden wisse eben auch, dass er sein wichtigstes Ziel derzeit nicht ohne Netanyahu erreichen könne - eine Waffenruhe, verbunden mit der Freilassung von Geiseln, so Miller weiter: "Das Wichtigste, was im Moment stattfindet, sind die Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas." Beteiligt seien CIA-Chef William Burns, ebenso die Vermittlerstaaten Katar und Ägypten. Dabei gehe es auch um mehr humanitäre Hilfe für den Gazastreifen.
Von Außenminister Antony Blinkens sechstem Israel-Besuch seit Kriegsbeginn erwartet der Nahost-Experte Miller keinen entscheidenden Durchbruch, sondern bestenfalls eine Vorbereitung der nächsten Schritte.
Israel-Politik beeinflusst Wählerverhalten
Biden steht wegen seiner Israel-Politik auch innenpolitisch unter Druck. Muslimische Amerikanerinnen und Amerikaner und vor allem junge Wählerinnen und Wähler wenden sich zunehmend von ihm ab, weil sie seine Politik als einseitig pro-israelisch empfinden. Dies könnte Biden bei der Präsidentschaftswahl Anfang November entscheidende Stimmen kosten.
Der Präsident brauche im Wahlkampf dringend andere Fernsehbilder aus dem Gazastreifen, meint Miller: "Jetzt ist März. Wenn die Bilder im Juni oder Juli immer noch die gleichen sind, wäre ich an seiner Stelle sehr beunruhigt." Auf der anderen Seite werfen die Republikaner Biden vor, er unterstützte Israel nicht entschieden genug. Der Präsident sitzt im Wahlkampf zwischen vielen Stühlen.
Mit Blick auf die kommenden Monate sagt Miller, der unter Ex-US-Präsident Bill Clinton mit Israelis und Palästinensern verhandelte: "Bis Juni ist das Beste, worauf wir hoffen können, eine Waffenruhe, verbunden mit der Freilassung von wahrscheinlich der Hälfte der Geiseln der Hamas." Der Nahost-Experte geht von einer möglicherweise sechs bis acht Wochen dauernden Waffenruhe aus, in denen verlässliche Korridore für humanitäre Hilfe geschaffen werden könnten, möglicherweise verbunden mit der Rückkehr einer erheblichen Zahl von Zivilisten in den Norden des Gazastreifens. "Aber", betont Miller, "der Krieg wird nicht zu Ende sein."