Deutsch-chinesische Beziehungen "Weit kommt Scholz damit nicht"
Deutschlands Einfluss auf Chinas Führung ist nach Ansicht der Asien-Expertin Shi-Kupfer "nicht substanziell". Kanzler Scholz erreiche wenig mit seiner Forderung nach fairen Handelsbeziehungen - und auch im Ukraine-Krieg folge China den eigenen Interessen.
tagesschau.de: Der chinesische Präsident Xi Jinping hat gegenüber Bundeskanzler Olaf Scholz die Bedeutung des deutsch-chinesischen Handels betont, der für stabile Beziehungen sorge, kein Risiko darstelle und Zukunftschancen eröffne. So haben sich im weitesten Sinne auch die Vorstandsvorsitzenden von Mercedes Benz und BMW gegenüber der ARD geäußert. Das klingt danach, als seien die Handelsbeziehungen in einem guten Zustand. Teilen Sie den Eindruck?
Kristin Shi-Kupfer: Den Eindruck sollte man nur bedingt teilen. Es ist auffällig, dass sowohl Xi als auch die deutschen Vorstandsvertreter sich bemüht haben, aus unterschiedlichen Motiven die positiven Aspekte zu betonen.
Trotz der Bemühungen um Diversifizierung und De-Risking sehen einzelne Unternehmen nach wie vor gute Geschäftschancen in China. Die deutschen Investitionen haben sich insgesamt etwas erhöht, aber auch die Probleme. In der neuesten Blitz-Umfrage der Auslandshandelskammer werden die Probleme, die es nach wie vor gibt und die nicht besser geworden sind, beschrieben - vor allen Dingen bei der Benachteiligung ausländischer Unternehmen beim Marktzugang oder auch öffentlichen Ausschreibungen.
Und dann gibt es das Problem, das der Bundeskanzler am Vortag in Shanghai sehr viel deutlicher angesprochen hat: dass die Volksrepublik China Überkapazitäten zum Beispiel bei der Elektromobilität zu Dumpingpreisen am europäischen Markt anbietet.
Forderungen finden "wenig Gehör"
tagesschau.de: Haben Sie den Eindruck, dass die Forderung nach einem fairen Wettbewerb in der Volksrepublik Gehör findet?
Shi-Kupfer: Sie finden Gehör, aber mir scheint: wenig Gehör. Und ob sie auf Verständnis treffen, ist eine andere Frage - und ob das dann zu Änderungen in der Wirtschaftspolitik führt, noch eine weitere Frage. Mir scheint das jeweils nicht so zu sein. In den privaten Medien und in den sogenannten sozialen Medien wird auf einen Unterschied zwischen Scholz und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verwiesen, die fast zeitgleich EU-Maßnahmen gegen die Volksrepublik angedroht hat. Zwischen ihnen gebe es einen Widerspruch, und der Scholz-Besuch mit zwölf Unternehmensführern zeige, dass man China weiter brauche und ein "De-Risking" weder realistisch noch sinnvoll sei.
Kristin Shi-Kupfer ist Professorin am Institut für Sinologie der Universität Trier und Senior Associate Fellow am Mercator Institut für Chinastudien.
"Offensichtlich, dass es in der Regierung Differenzen gibt"
tagesschau.de: Diesen Unterschied gibt es auch in der Bundesregierung. Das Außenministerium hat im vergangenen Jahr eine China-Strategie veröffentlicht, die China vorwirft, es wolle die Abhängigkeit des Westens bei der Produktion vergrößern. Der Bundeskanzler schlägt einen sanfteren Ton an. Treten hier Differenzen zu Tage?
Shi-Kupfer: Die Chinastrategie war ein notwendiger Prozess, innerhalb der Bundesregierung zumindest einen groben Rahmen für die Prioritäten im Umgang mit China zu setzen. Aber es ist offensichtlich, dass es innerhalb der Regierung Differenzen gibt. Das wird auch in China wahrgenommen.
Der pro-chinesische Sender Hong Kong Satellite Television schreibt auf der chinesischen Plattform Weibo mit sarkastischem Unterton und in Bezug auf - fiktive - deutsche Medienberichte, dass Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck zu Hause geblieben seien, weil sie Scholz nur Ärger bereiteten. Diese Uneinigkeit gegenüber China hilft sicher nicht - das gilt aber auch für die Uneinigkeit innerhalb der Europäischen Union.
"Nicht ganz verständliche Sorge"
tagesschau.de: Was erreicht der Kanzler denn mit seiner etwas zurückgenommenen Herangehensweise?
Shi-Kupfer: Weit kommt er damit nicht. Scholz scheint von einer mir nicht ganz verständlichen Sorge getragen, angesichts der Bedeutung Chinas für einzelne Branchen die chinesische Regierung nicht unnötig zu verprellen. Dabei sprechen wir von einer wechselseitigen Verflechtung. Es gibt kritische Abhängigkeiten bei einzelnen Rohstoffen oder Chemikalien, aber China hat auch weiter ein Interesse an ausländischen und deutschen Investitionen.
Und es spürt, dass EU-Strafmaßnahmen im Handel greifen und sicherlich weh tun würden, ebenso wie Beschränkungen für chinesische Digitalunternehmen auf dem europäischen Markt. Hier könnte und sollte die Bundesregierung China durchaus klarere Bedingungen stellen, so wie es die EU-Kommission auch macht.
"Darüber spricht die chinesische Regierung nicht offen"
tagesschau.de: Bei den geopolitischen Fragen ging es zwischen Scholz und Xi unter anderem um Chinas Position im Krieg gegen die Ukraine. Hier sagte der chinesische Präsident gegenüber Scholz, China sei keine Partei in diesem Kontext. Ist das nicht eine reichlich beschönigende Darstellung?
Shi-Kupfer: In der chinesischen Übersetzung hieß es, China sei keine direkt involvierte Partei. Aber in der Tat beschönigt das die Unterstützung Russlands durch China, sei es durch die Ausweitung des Handels mit Russland, sei es durch Lieferung von zum Beispiel Drohnen, Flugzeugmotoren oder anderen Maschinenteilen, die für Kriegsgerät wie Raketen verwenden werden, was Russland dabei hilft, in diesem Konflikt durchzuhalten und so dazustehen, wie es jetzt dasteht. Das vertuscht China mit dieser Formulierung und ist etwas, worüber die chinesische Regierung nicht offen spricht.
tagesschau.de: Welche Strategie verfolgt China in diesem Krieg?
Shi-Kupfer: Der Krieg verläuft aus Sicht der chinesischen Regierung in ihrem Interesse. Ein anhaltender, nicht eskalierender Konflikt bindet die US-amerikanische und die europäischen Regierungen und beschränkt ihre Möglichkeiten, sich mit der spannungsgeladenen Lage im Südchinesischen Meer zu beschäftigen - mit den Ansprüchen, die China zudem auf Taiwan und weitere Regionen erhebt.
Wenn der Ukraine-Krieg weiter eskalieren und die Sanktionen gegen Russland noch härter würden, könnte China wegen seiner Unterstützung für Russland noch stärker ins Visier geraten. Ich möchte zwar der chinesischen Regierung nicht absprechen, dass sie auch an einem Friedensschluss interessiert ist. Aber unter geopolitischen Gesichtspunkten missfällt der anhaltende Konflikt China sicher nicht.
Ambitionen im "Windschatten" des Ukraine-Krieges
tagesschau.de: Über allem steht aber das Ziel, den Einfluss im südpazifischen Raum auszudehnen, inklusive der Unterordnung Taiwans?
Shi-Kupfer: Stellen wir uns vor, es würde zu einer - und sei es nur unbeabsichtigten - Eskalation in der Taiwanstraße kommen. Dann hätten die liberalen Demokratien, die sich nicht nur im Krieg zwischen Russland und der Ukraine, sondern auch im Nahen Osten engagieren, ein Ressourcenproblem und wahrscheinlich auch innenpolitisch Schwierigkeiten, ein weiteres Engagement zu rechtfertigen. In diesem Windschatten kann China seine zunehmend aggressiver und provokanter vorgetragenen Ambitionen mit Blick auf Taiwan und das Südchinesische Meer weiterverfolgen.
"Keinen substanziellen Einfluss"
tagesschau.de: Es gibt Beobachter, die Scholz dafür loben, China dazu bewegt zu haben, Russland im Ukraine-Krieg vor dem Einsatz von Atomwaffen zu warnen. Hat er also doch eine Form von Einfluss auf Xi?
Shi-Kupfer: Ich glaube nicht, dass die deutsche Bundesregierung hier wirklich substanziellen Einfluss auf China ausüben kann. Zwar gibt es eine auffällig positive offizielle Berichterstattung über den Bundeskanzler, der sehr freundlich gezeichnet wird. Auch in den sozialen Medien gibt es nicht nur nationalistische Stimmen, sondern einen vielfältigen und auch neugierigen Blick auf Deutschland, der weit über das Wirtschaftliche hinausgeht und sich auch auf gesellschaftliche Entwicklungen bezieht.
Aber grundsätzlich ist es Kerninteresse Chinas, dass der Konflikt nicht eskaliert, denn das würde die chinesische Regierung zwingen, sich ganz klar zu positionieren. Und anders als Russland will die Volksrepublik nicht völlig mit der internationalen Gemeinschaft brechen und möchte die dann wohl zwangsläufigen Sanktionen vermeiden. Das allerdings können Deutschland, die EU und die USA weiter unterstützen. Auch das steckt in der Äußerung Xis zu Beginn des Gespräches mit Scholz.
Das Gespräch führte Eckart Aretz, tagesschau.de