Hamas-Großangriff auf Israel Weiter Kämpfe an mehreren Orten
Nach den massiven Angriffen der Hamas gehen die Gefechte auf israelischem Boden weiter. Die Zahl der Toten steigt auf beiden Seiten: Insgesamt wurden mehr als 600 Opfer gemeldet. Laut Israel hält die Hamas weiterhin Geiseln fest.
Die israelische Armee hat die Lage rund um den Gazastreifen noch immer nicht vollständig unter Kontrolle. Weiterhin sind militante Palästinenser auf israelischem Gebiet. An acht Orten gebe es Gefechte, teilte das Militär mit. Dabei seien 26 Soldaten getötet worden. Man habe Hunderte Angreifer der Terrororganisation Hamas getötet, Dutzende Angreifer seien festgenommen worden.
Der Sperrzaun zum Gazastreifen sei an 29 Stellen durchbrochen worden, diese seien inzwischen alle unter Kontrolle, erklärte die Armee weiter. Israel hatte entlang der Grenze zum Gazastreifen einen massiven Zaun errichtet, der Infiltrationen verhindern sollte. Er verläuft auch tief unter der Erde und ist mit aufwendiger Technik ausgestattet.
Die Armee evakuierte die israelischen Ortschaften an der Grenze zum Gazastreifen. Tausende Menschen sollten an andere Orte in Israel gebracht werden. Auch im Norden Israels, nahe der Grenze zum Libanon, wurden die Bewohner aufgerufen, das Gebiet zu verlassen.
Hunderte Todesopfer
Insgesamt wurden beim Angriff der palästinensischen Terroristen laut offiziellen Angaben etwa 300 Israelis getötet. Etwa 1.600 Menschen wurden demnach verletzt.
Aufseiten der Palästinenser im Gazastreifen wurden mehr als 300 Menschen bei israelischen Gegenangriffen getötet und fast 2.000 verletzt, wie das dortige Gesundheitsministerium bekannt gab. Israel griff nach eigenen Angaben 426 Ziele im Gazastreifen an.
Hisbollah beschießt Israel aus dem Libanon
Am Morgen töteten israelische Soldaten nach Angaben des israelischen Rundfunks fünf weitere militante Palästinenser, die über den Strand nach Israel eindringen wollten. Ein Armeesprecher bestätigte allerdings lediglich, dass die Männer aufgehalten worden seien.
Zudem meldete Israel Beschuss aus dem benachbarten Libanon. Die Hisbollah-Miliz erklärte, sie habe das von Israel besetzte Gebiet der Scheeba-Farmen an der Grenze zum Libanon mit Raketen und Artillerie angegriffen. Die israelische Armee nahm nach eigenen Angaben das Gebiet, aus dem geschossen worden sei, als Reaktion unter Beschuss. Die UN-Beobachtertruppe im Libanon rief Israel und die Hisbollah zur Zurückhaltung auf.
Die Schebaa-Farmen gehören nach Auffassung der UN zu den 1967 von Israel besetzten syrischen Gebieten. Syrien und einigen Parteien im Libanon sehen das Gebiet jedoch als libanesisches Territorium an. Die Hisbollah hatte der Hamas zuvor zu ihrem "heldenhaften, groß angelegten" und "siegreichen" Einsatz gegen Israel gratuliert.
Der Sprecher der Hamas, Ghazi Hamad, sagte dem Sender BBC, die Gruppe habe direkte Unterstützung für den Angriff vom Iran erhalten. Der Iran habe sich verpflichtet, "den palästinensischen Kampf bis zur Befreiung Palästinas und Jerusalem beizustehen".
Militär: Zwei Geiseln befreit
Außerdem hielten die Angreifer aus dem Gazastreifen weiterhin Geiseln fest, berichtete das israelische Militär. Zwei Geiselnahmen habe man beendet. Die Kämpfe "zur Befreiung von Geiseln" dauerten an, sagte Armeesprecher Daniel Hagarivor. Die genaue Zahl der Geiseln ist unklar. Israelische Medien berichten von Dutzenden. Um sich ein genaueres Bild der Lage zu verschaffen, stellten die israelischen Verteidigungskräfte ein Team zusammen, wie die Zeitung "The Times of Israel" berichtete.
Laut übereinstimmenden Medienberichten soll sich unter den Geiseln auch eine Frau mit deutscher Staatsbürgerschaft befinden. Ihre Mutter habe sie auf einem Video erkannt, das online geteilt wurde. Ihre 22-jährige Tochter, die in Israel lebe, habe ein Festival nahe der Grenze zu Gaza besucht, als der Angriff begann. Auf dem Video war zu sehen, wie Palästinenser eine halbnackte und verletzte Frau auf einem Pickup offenbar in den Gazastreifen verschleppen. Die Frau auf dem Video wirkt leblos und ist offenbar verletzt.
Der "Spiegel" berichtete unter Berufung auf die Angaben der Mutter, dass die Kreditkarte der Tochter im Gazastreifen benutzt worden sei. Dies sei den Eltern von der Bank mitgeteilt worden. Eine Bestätigung des Auswärtigen Amts gab es bislang noch nicht. Zuletzt erklärte es aber, dazu in Kontakt mit den israelischen Behörden zu sein.
Netanyahu kündigt Vergeltung an
Als Reaktion auf die palästinensischen Angriffe beschloss Israel, unter anderem die Einfuhr von Strom-, Brennstoff- und Warenlieferungen in den Gazastreifen abzuschneiden. Ziel sei es, die militärischen und administrativen Möglichkeiten der Hamas und des Islamischen Dschihad so zu zerstören, "dass sie für viele Jahre nicht mehr in der Lage und bereit sind, die Bürger Israels zu bedrohen und anzugreifen", gab das Büro von Regierungschef Benjamin Netanyahu nach einer Sitzung des Sicherheitskabinetts bekannt.
"Wir beginnen einen langen und schwierigen Krieg, der uns durch einen mörderischen Angriff der Hamas aufgezwungen wurde", wurde Netanyahu zitiert. Die erste Phase ende jetzt mit der "Vernichtung des größten Teils der feindlichen Kräfte, die in unser Gebiet eingedrungen sind", hieß es nach der Sitzung des Sicherheitsrats. Zugleich habe man eine Offensivphase eingeleitet, die ohne Einschränkung solange fortgesetzt werde, bis die Ziele erreicht seien. Die Bewohner des Gazastreifens forderte er auf: "Flieht jetzt von dort, denn wir werden überall und mit all unserer Kraft handeln."
Im Hintergrund liefen am Abend zudem Gespräche über die Bildung einer Notstandsregierung. Netanyahu habe den beiden Oppositionsführern Jair Lapid und Benny Gantz den Eintritt in eine Notstandsregierung angeboten, teilte ein Sprecher von Netanyahus Likud-Partei mit.
Großangriff an jüdischem Feiertag
Die Hamas hatte Israel am Samstag mit einer beispiellosen Kombination von Großangriffen überrascht. Sie feuerte Tausende Raketen auf Israel ab, zugleich überwanden deren Kämpfer die schwer gesicherte Grenze zu Israel. Für die kommenden Tage wird mit einem massiven israelischen Einsatz im Gazastreifen gerechnet - möglicherweise auch mit Bodentruppen.
Der gestrige Angriff erfolgte am jüdischen Feiertag Simchat Tora, dem letzten einer ganzen Reihe von Festen. Er überraschte Israel offenbar, was an den Beginn des Jom-Kippur-Kriegs 1973 erinnert, als Ägypten und Syrien Israel zunächst überrumpelt hatten.
Mit Informationen von Jan-Christoph Kitzler, Tel Aviv